Polareis schmilzt so stark wie nie

Süddeutsche Zeitung, 29.August 2012 – www.süddeutsche.de
Klimaforscher sind besorgt über den drastischen Rückgang in diesem Sommer. Die Arktis erwärmt sich schneller als jede andere Region – mit weltweiten Folgen
von Christopher Schrader

Berlin – Das Polareis schmilzt in diesem Jahr stärker, als es die Menschheit bisher erlebt hat. Bereits im vergangenen Sommer war die Fläche des Meereises in der Arktis kleiner als im Rekordjahr 2007, meldete jetzt das amerikanische Nationale Datenzentrum für Schnee und Eis (NSIDC) in Denver. Laut Satellitenaufnahmen ist der Nordpol nur noch in einer Fläche von 4,1 Millionen Quadratkilometern mit Eis bedeckt. Der bisherige Negativrekord war am 18. September 2007 registriert worden. Im Vergleich dazu ist derzeit das Eis um eine Fläche kleiner, die etwa der Bayerns entspricht. Klimaforscher erwarten, dass bis Mitte September, dem Ende der Schmelzsaison, das Eis sogar noch weiter abnehmen wird.

In allen Sommern seit 2007 ist die Eisfläche in einem Maß geschrumpft, das Klimaforscher bis dahin nicht kannten. Das Eis wird seit 1979 von Satelliten beobachtet. So extrem wie dieses Jahr war das Eis laut den Messungen 20 Jahre lang sehr viel größer als jetzt, und zwar um die achtfache Fläche Deutschlands. Die Folgen der Eisschmelze bleiben vermutlich auf Dauer nicht auf die Arktis beschränkt. Sie kann einen Anstieg der Ozeane auslösen. Die ganze Arktis -Region heizt sich auf, weil Wasser 90 Prozent des einfallenden Sonnenlichts absorbiert.Früher hingegen warf das Eis 80 Prozent davon zurück ins All. Die Wärme wirkt auf das Festlandeis etwa auf Grönland, wo bereits Ende Juli zum ersten Mal fast die ganze Oberfläche angetaut war. Fließt von hier Schmelzwasser ins Meer, steigt der Spiegel der Ozeane. Zum anderen könnte das Wetter in Europa extremer werden. Es gibt Anzeichen, dass der sogenannte Jetstream instabil wird. Diese kräftige westliche Windströmungen rings um den Pol beeinflusst das Wetter in mittleren Breiten. Schon 2010 hatte eine Blockade im Jetstream eine Hitzewelle mit Waldbränden in Russland und extreme Regenfälle mit Überschwemmungen in Pakistan ausgelöst. Solche Blockaden könnten häufiger auftreten, wenn das Meereis am Nordpol immer dünner und kleiner wird.

Klimaforscher hatten den neuen Rekord erwartet und sind trotzdem verblüfft. ,,Seit Ende Juli ist die Fläche viel schneller als in früheren Jahren zurückgegangen“, sagt Christian Melsheimer von der Universität Bremen. Joey Comiso von der Nasa ergänzt:,, Anders als 2007 war es dieses Jahr nicht besonders warm in der Arktis.“ Bis auf einen Sturm Anfang August, der viele Schollen zerschlug, war das Wetter unauffällig. Als Grund für die Entwicklung der vergangenen Jahre nennen Wissenschaftler die globale Erwärmung. In der Arktis stiegen die Temperaturen dreimal so schnell wie im globalen Mittel. ,, Die Polarregion ist unser Frühwarnsystem, dort zeigen sich Klimaeffekte zuerst“, sagt Lars Kaleschke von der Universität Hamburg.

Verschärft wird die Lage durch die strukturellen Veränderungen im Eis. ,, Die Arktis bestand früher aus mehrjährigem Eis“, sagt Walt Meier vom NSIDC. Es hatte mindestens eine Schmelzsaison überstanden und schob im Winter zu dicken, stabilen Schichten zusammen. Inzwischen sind 80 Prozent der Fläche von einjährigem Eis bedeckt. ,, Was in den vergangenen Jahren passiert, ist ein Zeichen, dass sich die Eiskappe fundamental wandelt“, sagt Meier.

,, Wir sehen heute schon viele Folgen des Klimawandels, obwohl sich die Erde erst um 0,8 Grad erwärmt hat“, sagt Stefan Rahmstorf vom Postdam – Institut für Klimafolgenforschung, der dem wissenschaftlichen Beratergremium der Bundesregierung angehört. ,, Es ist deswegen wichtig, dass wir die globale Erwärmung bei höchstens zwei Grad stoppen“.

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