Mobilfunkanlagen auf landwirtschaftlichen Betrieben

Naturland Nachrichten 05 / Oktober 2012 – Über Mobilfunkrisiken auf landwirtschaftlichen Betrieben befragten wir die Landwirtin Ingrid Kürzinger und Dr. Hans Schmidt, beide Mitglieder im Landesverband Bayern der bundesweiten Umwelt- und Verbraucherorganisation diagnose-Funk. Diagnose-Funk setzt sich für den Schutz vor elektromagnetischen Feldern und Strahlung ein.

NN: Sie und Ihr Verein „diagnose-Funk“ setzen sich schon seit Jahren für einen besseren Schutz vor elektromagnetischen Feldern und Strahlung ein. Welche Mobilfunkrisiken bei Tieren sind ihnen konkret bekannt?

Diagnose-Funk: Es gibt zwei Hauptgebiete, zu denen Erkenntnisse vorliegen. Am Lehrstuhl von Prof. Michael Winklhofer von der Ludwig Maximilians Universität wurde 2012 der Nachweis erbracht, dass sich Fische, Vögel, Meeresschildkröten, Rehe, Hirsche und Kühe am Magnetfeld der Erde durch Magnetite im Körper, die wie ein Kompass funktionieren, orientieren. Tiere, die ihre Richtungsinformation aus dem Erdmagnetfeld gewinnen, wie Zugvögel, Brieftauben oder Bienen, können durch Veränderungen die Orientierung verlieren. Winklhofer führte aus, dass diese Erkenntnisse wichtig sind im Zusammenhang mit Elektrosmog – und den erzeugen unter anderem auch die Mobilfunksendeanlagen.

NN: liegen auch Erkenntnisse zu Nutztieren vor? Das interessiert die Landwirte besonders.

Diagnose-Funk: Ja, das ist das zweite Hauptgebiet. Dass hier eine Menge an Erkenntnissen über Schädigungen vorliegen war bis zum Jahr 2000 gar nicht umstritten.

NN: Was für Erkenntnisse lagen damals vor?

Diagnose-Funk: Dazu möchten wir aus der Bundestagsdrucksache 15/1403 zitieren. 2003 wurde die Feldstudie „Die Auswirkungen elektromagnetischer Felder von Mobilfunksendeanlagen auf … landwirtschaftlicher Nutztiere …“ der Tierärztlichen Hochschule Hannover veröffentlicht (siehe unter Literatur). Diese vom Freistaat Bayern in Auftrag gegebene Studie wies die krankmachende Wirkung der Strahlung an Lebewesen nach. Darin heißt es auszugsweise: „Von besonderem Interesse ist hierbei eine Veröffentlichung zu Rindern (Löscher / Käs 1998), in welcher erheblich reduzierte Milcherträge, Auszehrung sowie spontane Fehl- und Totgeburten dokumentiert wurden. Von besonderer Relevanz sind die folgenden Sachverhalte:

  • Der Gesundheitszustand der Rinder verbesserte sich erheblich, nachdem sie auf Weideland gebracht wurden, das weit entfernt von dem Sendemast lag, verschlechterte sich jedoch sofort wieder bei Rückkehr an den alten Standort;
  • Die negativen gesundheitlichen Effekte traten erst auf, nachdem auf einem Turm GSM Mikrowellenantennen installiert wurden, der zuvor lediglich für die Übertragung (analoger) TV- und Radiosignale genutzt worden war….
  • Schließlich wird über Rückgänge von Vogel- und Bienenpopulationen nach Inbetriebnahme neuer Basisstationsmasten berichtet.

Das Auftreten negativer Effekte bei Tieren ist deshalb von besonderer Relevanz, weil dadurch deutlich wird, dass die Effekte möglicherweise real und nicht nur psychosomatischer Genese sind. Darüber hinaus könnte aus der oftmals höheren Elektrosensitivität von Tieren gefolgert werden, dass eine Langzeitexposition beim Menschen ähnliche Folgen haben könnte.“ (Bericht des Technikfolgenausschusses an den Bundestag – Bundestagsdrucksache 15/1403, S.24).

NN: Wurden diese Erkenntnisse weiterverfolgt?

Diagnose-Funk: Nein, offiziell nicht. Im Jahr 2001 zahlten die Mobilfunkbetreiber 50 Milliarden Euro Lizenzgebühren für UMTS. Im Gegenzug machte der Staat den Weg frei für das Milliardengeschäft mit den Handys und sorgte dafür, dass keine unbequeme Forschung mehr finanziert wird. Der Staat ist über die Telekom und jetzt über den TETRA-Behördenfunk ja selbst Mobilfunkbetreiber. Deshalb werden die Erkenntnisse der bayerischen Rinderstudie, ebenso wie die Erkenntnisse über den Zusammenhang von Mobilfunkstrahlung und Bienensterben, die an der Universität Saarbrücken und Landau veröffentlicht wurden, nicht weiterverfolgt. Wir nennen das verkaufte Gesundheit.
So wurde auch der von der Fraktion Bündnis90 / Die Grünen 2010 gestellte Antrag auf Fortführung der Rinderstudie von der Bayerischen Staatsregierung abgelehnt. Der Diagnose-Funk e.V. Landesverband Bayern hat sich 2010 zweimal an das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit gewandt und um Stellungnahme gebeten, was die Bayerische Staatsregierung in Anbetracht der auch von der Tierärztlichen Hochschule Hannover angemahnten Fortführung der Rinderstudie unternehmen werde.
Wir forderten die Staatsregierung auch auf, sich für die Fortführung der Studie an Rindern und anderen Nutztieren einzusetzen.
Die Antwort des Umweltministeriums enthielt u.a. den bezeichnenden Hinweis: „die Fortführung der Rinderstudie kam nicht in die Gruppe der zu fördernden Untersuchungen“.

NN: Dennoch wird immer wieder von Schädigungen auf Bauernhöfen berichtet.

Diagnose-Funk: Wir haben eine Vielzahl an Berichten von Landwirten, insbesondere über Schädigungen an Rindern und Schweinen, wenn in der Nähe des Hofes ein Mobilfunkmast steht. Hier nur zwei Beispiele:

In Zusammenarbeit mit der Universität Zürich dokumentierte der Bauer Sturzenegger aus Winterthur in der Schweiz das Ansteigen von Fehlgeburten und Katarakten (Grauem Star) bei Rindern seit Inbetriebnahme eines Mobilfunksenders. Auch der Schweinezüchter Josef Hopper aus Bayern dokumentierte seine Beobachtungen. Bis zur Errichtung eines Sendemastes in ca. 300 m Entfernung zu seinem Hof hatte Hopper einen gesunden Schweinebestand. Das Bayerische Landwirtschaftliche Wochenblatt schreibt dazu in seiner Ausgabe 20/2011: „In den Jahren zuvor waren es null bis zwei (Anomalien), 2009 der erste deutliche Anstieg auf 15 und 2010 auf 34 Missbildungen…. Für Hopper führen die verstärkt auftretenden Fruchtbarkeitsprobleme wie Nichtrauschen/ Umrauschen zu kleineren Würfen und damit zu einer geringeren Wirtschaftlichkeit der Ferkelproduktion. Bei der Ursachenforschung konnten betriebsinterne Probleme ausgeschlossen werden. Der Bestandseber war bereits seit Oktober 2007 im Einsatz und für die Remontierung der Jungsauen kam nur Top-Genetik von geprüften Ebern zum Einsatz. … Der enorme Anstieg von Missbildungsraten bei seinen Ferkeln ist für Hopper der deutliche Hinweis, dass die Auswirkungen der gepulsten Hochfrequenzstrahlung, wie sie beim Mobil- und Tetra- sowie den Schnurlos-DECT Telefonen verwendet wird, auf den Prüfstand gehören.“
Unsere Gespräche und Informationen mit/von betroffenen Landwirten haben jedoch gezeigt, dass sich viele mit ihren Problemen nicht an die Öffentlichkeit wagen, geschweige denn an die Politik, da sie aus eigener oder der Erfahrung von anderen Betroffenen wissen, dass sie nicht ernst genommen werden und zudem Repressalien von den Veterinärbehörden befürchten.

NN: Wie reagieren die Behörden und landwirtschaftlichen Universitäten auf solche Berichte?

Diagnose-Funk: Der Landwirt Josef Hopper zum Beispiel forderte die Bayerische Staatsregierung und die Universität München auf, seine Beobachtungen zu untersuchen. Das wird nicht gemacht. Hier zeigen also die Milliarden Lizenzgebühren ihre Wirkung.
Auch für die neue Technologie LTE wurden wieder 4,4 Milliarden Euro bezahlt. Der TETRA-Behördenfunk soll durchgesetzt werden und die Forschung der Universitäten wird inzwischen zum Großteil von der Industrie finanziert.

NN: Was weiß man über die Ursachen der Schädigungen? Wie muss man sich die Wirkung vorstellen?

Diagnose-Funk: Die Mobilfunkstrahlung funkt gerade in den Frequenzen, in denen die Zellen der Lebewesen kommunizieren. Sie wirkt als Störstrahlung, weil es sie als natürliche Strahlung in der Umwelt vorher praktisch nicht gab. Es ist experimentell nachgewiesen, dass dadurch Veränderungen – zunächst schleichend – stattfinden. Biologische Systeme reagieren überaus empfindlich auf Mikrowellen-Felder.

NN: Was raten sie nun den Landwirten?

Diagnose-Funk: Grundsätzlich sollten sie verhindern, dass auf ihren Gebäuden oder in ihrer Nähe ein Mobilfunkmast aufgestellt wird. In den Gebäuden selbst sollten keine schnurlosen DECT-Telefone oder kabelloses Internet, also WLAN, benutzt werden, die ähnlich wie Mobilfunksender bis zu 300 Meter weit strahlen. Im Übrigen gibt es zu den DECT-Telefonen inzwischen Alternativen. Alle Technologien, die mit WLAN- Mikrowellentechnologien arbeiten, sollten vermieden werden.
Was eine Kommune im Hinblick auf die Verhinderung eines Mobilfunksendemastes tun kann, wird ausführlich in dem von Diagnose-Funk herausgegebenen Ratgeber Nr. 5 „Kommunale Handlungsfelder“ beschrieben.
Kann ein Mobilfunksendemast dennoch nicht verhindert werden, sollten alle Auffälligkeiten bei den Tieren genauestens dokumentiert und tierärztlich bestätigt werden. Wichtig ist auch, dass die festgestellte Problematik an die Öffentlichkeit kommt.
Landwirte, die Beobachtungen über einen unnatürlichen Anstieg von Anomalien machen, sollten sich mit Diagnose-Funk in Verbindung setzen. Wir können den Kontakt zu anderen Betroffenen herstellen.
Um das Thema Mobilfunk/Behördenfunk stärker an die Öffentlichkeit zu bringen, führen wir am 27. Oktober 2012 in München eine Kundgebung durch, die u.a. auch vom BUND Naturschutz in Bayern e.V. und vielen landwirtschaftlichen Verbänden unterstützt wird.
Abschließend darf die Frage der Haftung nicht vergessen werden. Natürlich stellt für den Landwirt jeder Mietvertrag für Mobilfunksender einen guten Nebenverdienst dar. Allerdings sollte den Landwirten, die ein Grundstück oder Hausdach für Mobilfunksender vermieten, bewusst sein, dass sie später in Haftung genommen werden können, falls gesundheitliche Folgeschäden nachgewiesen werden. Nicht umsonst weigern sich die Netzbetreiber und auch der Freistaat Bayern, eine entsprechende Klausel in die Mietverträge aufzunehmen, die den Grundstücksbesitzer von allen Haftungsansprüchen, also auch von möglichen Schadenersatzklagen wegen gesundheitlicher Folgeschäden, freistellt. Es ist bezeichnend, dass keine Versicherung die Mobilfunkbetreiber gegen Folgeschäden versichert. Haftbar gemacht wird der Vermieter.

NN: Wo können sich Landwirte informieren?

Diagnose-Funk: Über das Thema Tiere und Mobilfunk gibt es verständliche Forschungsberichte, die Diagnose-Funk zusammen-gestellt hat. Auf der Homepage von Diagnose-Funk können alle Berichte kostenlos heruntergeladen werden. So auch folgende Berichte:

Literatur:

  • Sammlung von Berichten über Schädigungen von Tieren www.diagnose-funk.org/erkenntnisse/effekte-bei-tieren/index.php
  • Forschungsberichte der unabhängigen Wissenschaftlervereinigung Kompetenzinitiative e.V., u.a. „Die Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf Tiere“ und „Wirkungen elektromagnetischer Felder auf Pflanzen“: www.kompetenzinitiative.net/publikationen/forschungsberichte/index.html
  • BUND-Positionspapier 46 „Für zukunftsfähige Kommunikationstechnologien“: www.bund.net/fileadmin/bundnet/publikationen/sonstiges/20081028_sonstiges_funktechnologien_position.pdf
  • Studienbericht und Zusammenfassungen aus allen Gebieten: www.mobilfunkstudien.de http://mobilfunkstudien.de/studien-symptome/verhalten-von-tieren-und-pflanzen/index.php
  • Rinderstudie von Prof. Löscher: www.der-mast-muss-weg.de/pdf/studien/LoescherRinderOrg.pdf
  • Informationen zu TETRA-Behördenfunk: www.diagnose-funk.org/themen/behoerdenfunk/tetra-moratorium/index.php

Das Interview führte Ralf Alsfeld, Naturland e.V.

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