Ried, Volksbefragung: zur Vertiefung

Kurze Chronlologie der Ereignisse

Dezember 2004:
Mit Gemeinderatsbeschluss beantragt die Gemeinde Bruneck die Eintragung des folgenden Passus in die Überarbeitung des Skipistenplans: “Zur Einschränkung des Individualverkehrs zwischen dem Brunecker Talboden und der Talstation Reischach, sowie des dortigen Stellplatzbedarfes soll eine direkte Anbindung des Skigebietes Kronplatz an die Pustertaler Bahn, mit der Errichtung des dafür geeigneten Transportsystems mit Verbindungspiste oder Skiweg geprüft werden.” Der Satz bezieht sich auf das Vorhaben, eine der beiden Umlaufbahnen, die von Reischach zum Kronplatz führen, bis in den Talboden zu verlängern, an die Bahnlinie zwischen Bruneck und St. Lorenzen. Das Vorhaben wird später fallen gelassen, trotzdem wird der Passus Jahre danach als “Eintragung” des Projektes “Ried” gedeutet, um die Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Abläufe zu rechtfertigen. Von einer möglichen Verbindung nach Percha ist zu diesem Zeitpunkt absolut keine Rede.

September 2006:
Anlässlich des sogenannten “Mobility Day” präsentiert die Kronplatz Seilbahn AG erstmals öffentlich die Idee, eine Seilbahn und Piste vom Kronplatz zur Bahnlinie unterhalb von Percha zu errichten. Nach Bekanntwerden von Details und der Tragweite dieses Vorhabens formiert sich erster Widerstand. Die “Aktionsgemeinschaft Reischach” organisiert Informationsveranstaltungen, weist auf schwerwiegende Nachteile dieses Vorhabens hin und fordert eine öffentliche Diskussion.

Januar 2007:
Erste Präsentation des Projektes “Ried” im Gemeinderat. Es folgen kontroverse Diskussionen, auch Teile der Ratsmehrheit äußern starke Bedenken, womit eine Mehrheit für das Projekt von vornherein als unsicher erscheint. Der Ausschuss vermeidet in der Folge jegliche Abstimmung zum Thema, bis November 2009 fasst der Gemeinderat keinerlei Beschluss, es wird vor allem keine Eintragung in den Skipistenplan beantragt.

September 2008:
Nachdem der Antrag für eine Volksbefragung in der Fraktion Reischach zu den Pisten- und Seilbahnplänen am Nordosthang von der Gemeinde-Fachkommission für unzulässig erklärt wird, findet in Reischach eine selbst verwaltete Volksbefragung zum Thema statt. Bei einer Beteiligung von 44% der Stimmberechtigten lehnen 92% das Vorhaben ab.

November 2008:
Das Projekt erhält ein positives Umweltgutachten. Die Umweltverträglichkeitsprüfung wurde von der Kronplatz Seilbahn AG direkt beantragt, ohne voher die Zustimmung der betroffenen Gemeinden zum Projekt zu haben. Das ist absolut unüblich. Das positive Gutachten wird vor allem mit erhofften positiven Effekten auf den Verkehr begründet, eine CO2-Bilanz liegt nicht vor.

Dezember 2008:
Die Landesregierung regt zum Projekt “Ried” eine Volksbefragung in der Gemeinde Bruneck an. Der Bürgermeister reagiert ablehnend.

Januar 2009:
Gegen das Projekt “Ried” wurden von der Aktionsgemeinschaft Reischach über 7.000 Unterschriften gesammelt. Bei der offiziellen Übergabe der Unterschriften im März befürwortet Landeshauptmann Durnwalder erneut eine Volksbefragung.

Februar 2009:
Die Gemeinderäte der Grünen und der Bürgerliste stellen den Antrag, der Gemeinderat möge eine beratende Volksbefragung zum Thema Ried einleiten. Der Antrag erhält nicht die nötigen 20 Stimmen, da vom Bürgermeister und den Projektbefürwortern im Rat eine Volksbefragung abgelehnt wird. In der Folge formiert sich ein Promotorenkomitee, um die Befragung mittels Unterstützungsunterschriften einzuleiten.

März 2009:
Die Fachkommission für Volksbefragungen erklärt die vom Promotorenkomitte eingereichte Fragestellung für zulässig: “Soll die zuständige Gemeindeverwaltung die urbanistischen Voraussetzungen schaffen und die Genehmigungen erteilen für die Errichtung von skitouristischen Infrastrukturen wie Pisten und/oder Aufstiegsanlagen am Nordosthang des Kronplatzes östlich der Herrnegg-Piste mit den Weilern Ried und Walchhorn?” Daraufhin legt die Kronplatz Seilbahn AG Rekurs beim Verwaltungsgericht gegen die Zulassung ein, da sie durch eine Volksbefragung ihre Interessen gefährdet sieht.

April 2009:
Das Promotorenkomitte legt 1.085 Unterstützungsunterschriften (9% der Wahlberechtigten) für die Volksbefragung vor, womit alle Bedingungen für die Abhaltung der Volksbefragung erfüllt sind. Aufgrund der Bestimmung in der einschlägigen Gemeindeverordnung, dass ein Jahr vor und drei Monate nach Gemeinderatswahlen keine Volksbefragungen stattfinden dürfen, verschiebt sich die Durchführung der Volksbefragung auf Herbst 2010. Die Promotoren fordern Land und Gemeinde auf, in der Zwischenzeit keine weiteren Genehmigungsschritte zu setzen.

Juni 2009:
Die Landesregierung trägt das Projekt “Ried” in den Vorschlag für die Aktualisierung des Skipistenplans ein. Da von der Gemeinde kein diesbezüglicher Antrag gestellt wurde, erfolgt diese Eintragung widerrechtlich.

August 2009:
Die Grünen und Walter Harpf stellen einen Beschlussantrag zur Abänderung der Gemeindeverordnung für Volksbefragungen, der durch eine Verkürzung der Sperrfristen die Durchführung der Volksbefragung im Herbst 2009 ermöglicht. Er wird von der Ratsmehrheit abgelehnt. Auch der Antrag der Grünen, die Gemeinde solle gegen die Verletzung ihrer Kompetenzen bei der Eintragung des Projektes “Ried” in den Skipistenplan protestieren, findet keine Mehrheit.

November 2009:
Der Gemeindeausschuss setzt die Stellungnahme der Gemeinde zur Aktualisierung des Skipistenplans auf die Tagesordnung. In einem Tagesordnungsantrag fordern die Grünen, die Gemeinde solle angesichts der ausstehenden Volksbefragung keine Stellungnahme abgeben und die Landesregierung auffordern, bis zur Volksbefragung weitere Schritte zu unterlassen. Der Antrag wird bei 13 Jastimmen, 13 Neinstimmen und 2 Enthaltungen abgelehnt. Mit 16 Jastimmen, 12 Neinstimmen und einer Enthaltung beschließt der Gemeinderat eine zustimmende Stellungnahme zum Entwurf des Skipistenplans. In derselben Sitzung wird die CO2-Bilanz des Projektes “Ried” präsentiert, sie ist negativ mit knapp 700 Tonnen zusätzlicher Emissionen pro Jahr.

Januar 2010:
Der Landesumweltbeirat erteilt auch im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung ein positives Gutachten für das Projekt “Ried”. Die inzwischen vorliegende, negative CO2-Bilanz wird dabei ignoriert, obwohl damit die Hauptbegründung für das positive UVP-Gutachten, nämlich ein positiver Gesamteffekt durch Verkehrsverlagerung, widerlegt ist.

Juni 2010:
Die Landesregierung trägt das Projekt “Ried” in die definitive Fassung des Skipistenplans ein, bekräftigt aber gleichzeitig, dass dies vorbehaltlich einer Volksbefragung in der Gemeinde Bruneck erfolge. Bürgermeister Tschurtschenthaler versichert in einem Schreiben an die Landesregierung, vor der Volksbefragung keine Baukonzession ausstellen zu wollen.

September 2010:
Nach Ablauf der Sperrfrist legt der Bürgermeister endlich das Datum der Volksbefragung auf 7. November 2010 fest. Die Kronplatz Seilbahn AG reagiert umgehend mit einem Rekurs gegen die Festlegung des Datums, diesem Rekurs schließt sich die Gemeinde Percha an.

Oktober 2010:
Der Bürgermeister erklärt plötzlich, dass nach seiner Auffassung die Volksbefragung das Projekt “Ried” nicht betreffe. Praktisch kündigt er damit an, Neinstimmen bei der Volksbefragung nicht als Stimmen gegen das Projekt “Ried” anerkennen zu wollen. Die Kronplatz Seilbahn AG schließt sich dieser These an und zieht ihren Rekurs gegen die Volksbefragung zurück.

Zur Manipulation der Volksbefragung durch Bürgermeister und Projektbetreiber

Als Beleg für die plötzlich aufgetauchte These, die Volksbefragung am 7.11. betreffe nicht das Projekt “Ried”, führt der Bürgermeister ein E-Mail von Dr. Beikircher, dem Vorsitzenden der Gemeindefachkommission für Volksbefragungen, an. In dieser Form kann dies höchstens als dessen persönliche Auslegung betrachtet werden und es stellt sich die Frage, was ihn bewogen hat, diese jetzt plötzlich zu ändern – denn sollte die Fachkommission auch schon bei der Zulassung der Fragestellung im März 2009 der Auffassung gewesen sein, dass die Fragestellung das Projekt „Ried“ nicht betreffe, so wäre es ihre Pflicht gewesen, dies umgehend klarzustellen, da ihr die Hintergründe sehr wohl bekannt waren. Es scheint allerdings nichts dergleichen auf. Damit liegt entweder eine plötzliche Änderung der Auslegung zugunsten einer Seite vor oder aber eine Täuschung der Öffentlichkeit, für die es immer absolut klar war, dass es bei der Volksbefragung in erster Linie um ein Ja oder Nein zu Plänen am Kronplatz-Nordosthang geht, die unter der Bezeichnung „Projekt Ried“ bekannt sind.

Die Argumentation, mit der man das Projekt „Ried“ von der Fragestellung ausschließen möchte, ist zudem nicht stichhaltig.

Übergemeindlich = Gemeinden nicht zuständig?

Ein übergemeindliches Projekt betrifft mehrere Gemeinden gleichzeitig und bedeutet deshalb selbstverständlich nicht, dass keine der betroffenen Gemeinden mehr etwas zu sagen hat. Jede Gemeinde kann, was ihr Gemeindegebeit betrifft, ein Projekt befürworten oder ablehnen und entsprechende Inititativen ergreifen, sei es auch nur in Form einer Stellungnahme.

Ein konkretes Beispiel: Für zwei Gemeinden soll genau an der Grenze ein gemeinsam zu nutzender Sportplatz errichtet werden. Kann dann etwa eine Gemeinde keine Entscheidung mehr über das Vorhaben treffen, weil es auch die andere Gemeinde betrifft? Im Gegenteil: Beide Gemeinden müssen zustimmen und die Voraussetzungen schaffen, sonst ist das Vorhaben hinfällig.

Würde der Begriff „übergemeindlich“ tatsächlich so ausgelegt, käme dies einer schweren Verletzung der Gemeindehoheit gleich. Die Tatsache, dass bestimmte Entscheidungen im übergeordneten Interesse auch ohne Zustimmung der betroffenen Gemeinden getroffen werden können, ändert nichts daran, dass in erster Linie die Gemeinden für ihr Gebiet zuständig sind. Sie können auf jeden Fall Stellung zu Maßnahmen nehmen, die ihr Gebiet betreffen. Die Gemeinde Bruneck hat z. B. im November 2009 zur Aktualisierung des Skipistenplans mit dem Projekt „Ried“ Stellung genommen. Wie ist das vereinbar mit der Behauptung, Gemeinden könnten nicht über übergemeindliche Projekte befinden?

Im übrigen ist die Eintragung des Projektes „Ried“ in den Skipistenplan widerrechtlich erfolgt, da keine der betroffenen Gemeinden einen Antrag auf Änderung des Skipistenplans gestellt hat, wie dies die Gesetzgebung zwingend vorschreibt. Die Begründung für die Nichteinhaltung dieser Regelung ist formal und inhaltlich haltlos. Dieser Sachverhalt ist noch gerichtlich zu klären. Für die gültige Eintragung eines Projekts in die Überarbeitung des Skipistenplans ist auf jeden Fall ein Gemeinderatsbeschluss erforderlich, damit ist die Zuständigkeit der Gemeinde evident.

Befragung hinfällig, weil bereits anders entschieden wurde?

Hier bezieht man sich wohl auf die Bestimmung in der Gemeindeverordnung, laut der Befragungen widerrufen werden können, wenn „Voraussetzungen und Bedingungen“ vor der Durchführung entfallen. Diese vage Bestimmung kann auf keinen Fall so interpretiert werden, dass z. B. ein Gemeinderatsbeschluss eine Volksbefragung hinfällig machen kann. Der Fall trifft nur auf einführende und abschaffende Volksabstimmungen zu: Wenn der Gemeinderat von sich aus genau die Regelungen trifft, die in der Volksinitiative vorgelegt werden, ist die Abstimmung hinfällig, da die Promotoren damit ihr Ziel erreicht haben. Beratende Volksbefragungen hingegen dienen der Feststellung der Meinung des Stimmvolkes zu einer bestimmten Thematik, unabhängig davon, welche Initiativen die Verwaltung in der Zwischenzeit ergreift.

Eine derartige Argumentation würde die direktdemokratischen Instrumente ad absurdum führen. Was die Bürgerinnen und Bürger einreichen, kann der Gemeinderat nicht zurückziehen. Im vorliegenden Fall hätte die demokratische Korrektheit verlangt, dass die Gemeindeorgane bis zur Volksbefragung keine Maßnahmen treffen, die Pisten und Aufstiegsanlagen am Nordosthang des Kronplatzes betreffen. Dass man sich nicht daran gehalten hat, kann kein Grund für die Annullierung der Volksbefragung sein.

Darf die Bevölkerung zu einem Projekt in ihrer Gemeinde Stellung nehmen?

Unabhängig von juridischen Spitzfindigkeiten stellt sich hier ganz einfach die politische Frage, ob man es der Bevölkerung Brunecks zugestehen will, sich zu einem Projekt dieser Tragweite in ihrem Gemeindegebiet zu äußern. Legt man Wert auf die Instrumente der direkten Demokratie, respektiert man das fundamentalste aller politischen Rechte, oder will man weiter mit Gesetzen, Verordnungen und Spitzfindigkeiten dafür sorgen, dass die Ausübung der direkten Demokratie möglichst erschwert wird und die Menschen den Eindruck erhalten, dass ihre Meinung nicht zählt und die Ergebnisse danach ohnehin nach Gutdünken ausgelegt werden?

29.10.2010
Hanspeter Niederkofler
Gemeinderat der Grünen, Bruneck

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