„Empört Euch“-Autor ist tot

stol.it, 27. 02.2013Stephane Hessel war Widerstandskämpfer gegen die Nazis, KZ-Überlebender, Diplomat und Autor der berühmten Streitschrift „Empört euch!“ gegen die Auswüchse des Finanzkapitalimus: Im Alter von 95 Jahren ist der deutsch-französische Ausnahme-Intellektuelle Stephane Hessel nun gestorben.

Hessel hatte mit seinem im Oktober 2010 erschienenen kleinen Essay „Empört euch!“, in dem er die kapitalistische Finanzwirtschaft kritisierte und zum Protest aufrief, weltweit Aufsehen erregt. Seine Streitschrift inspirierte in vielen Ländern die Protestbewegung infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise: in den USA die Anhänger der Bewegung „Occupy Wall Street“, in Ländern wie Spanien oder Griechenland die Demonstrationen der „Empörten“. In 35 Ländern wurden mehr als 4,5 Millionen Exemplare der Schrift verkauft.

Nach den zwei „Büchlein“, wie Hessel selbst die mittlerweile in 23 Sprachen übersetzten Werke „Empört euch!“ und „Engagiert Euch!“ bezeichnete, legte der streitbare Senior 2011 auch ein drittes Buch vor. Unter dem Titel „Le chemin de l’esperance“ (Der Weg zur Hoffnung) versuchte Hessel gemeinsam mit dem französischen Philosophen Edgar Morin „aus der Empörung herauszukommen und sich die Zukunft vorzustellen“.

Zwei große Themen: Menschenrechte und Frieden im Nahen Osten

Bis ins hohe Alter setzte sich Hessel für die Menschenrechte ein, für Migranten und Illegale sowie für den Frieden im Nahen Osten. Der 1917 in Berlin geborene Sohn aus einer jüdischen Familie, die später zum Protestantismus konvertierte, war im Alter von acht Jahren nach Frankreich gekommen und hatte 1937 die französische Staatsbürgerschaft angenommen. Er kämpfte im französischen Widerstand gegen die Nazis an, wurde gefangen und 1944 in das KZ-Buchenwald deportiert. Er konnte flüchten und schloss sich US-Truppen an.

Hessels Mutter, Helen Grund, stand für den bekannten Film „Jules und Jim“ des französischen Regisseurs François Truffaut Modell. Es geht darin um die Geschichte einer Frau, die von zwei Freunden geliebt wird. Sein Vater übersetzte zusammen mit dem Philosophen Walter Benjamin französische Autoren ins Deutsche.

Diplomat

Nach dem Mai 1945 startete Hessel eine Karriere als Diplomat bei den Vereinten Nationen. Er war an der Ausarbeitung der UN-Menschenrechtscharta beteiligt und zog sich den Zorn jüdischer Organisationen wegen seiner Unterstützung der Palästinenser zu. Der französische Präsident François Mitterrand machte ihn 1981 zum Ehren-Diplomaten Frankreichs. Im Jahr 2006 wurde er in die französische Ehrenlegion aufgenommen. Bis kurz vor seinem Tod mischte er noch politisch mit, unterstützte im französischen Wahlkampf 2012 den sozialistischen Präsidentschaftskandidaten François Hollande.

„Großer Europäer“

Der Präsident des Europaparlamentes, Martin Schulz, würdigte Hessel als „großen Europäer“ „Er wird uns sehr fehlen“, schrieb er über den Internet-Kurzbotschaftendienst Twitter. Er habe sich durch „einen Kämpfer- und Freiheitsgeist“ ausgezeichnet. Die Lebensgefährtin von Präsident Hollande, Valerie Trierweiler, würdigte ebenfalls per Twitter das „außergewöhnliche Leben“ Hessels. Vertreter von Grünen und Zentrum in Frankreich dankten dem überzeugten Europäer für seinen lebenslangen Einsatz.

Jugend muss sich um Poitik kümmern

Mitte Oktober 2011 war Hessel auch in Wien und forderte die internationale Protestbewegung der „Empörten“ in Wien dazu auf, auch politisch aktiv zu werden. Das Engagement der Jugendlichen müsse innerhalb der politischen Parteienlandschaft stattfinden, erklärte der damals fast 94-Jährige.
Hessel, der im Oktober 2011 auch im Rahmen des „internationalen Tag des Empörung“ in Graz auftrat, warnte vor der Gefahr, dass sich die Jugendlichen von Politik und Parteien abwenden. „Wir müssen die Jungen überzeugen, dass, wenn ihnen die Parteien nicht gefallen, sie sich eben in diesen engagieren und sie verändern müssen“, so der ehemalige Resistance-Kämpfer. Nichtregierungsorganisationen wie das globalisierungskritische Netzwerk Attac seien zwar schön und gut, hätten aber keinerlei politischen Effekt, erklärte er weiter.

In Memoriam: Gespäch auf Ö1

In memoriam Stephane Hessel wiederholt Ö1 (ORF Radio) am Donnerstag, den 28. Februar um 21 Uhr, ein von Michael Kerbler geführtes „Im Gespräch“ aus dem Jahr 2011, in dem Hessel u.a. über die Bedeutung von Werten reflektierte und dabei die Würde des Menschen als zentrales Element darstellte.

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