ff 22/2013: Niko Paech – Zu Fuß in die Zukunft

ff Südtiroler Wochenmagazin 22/30.05.2013 – Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech sprach bei den „Tagen der Nachhaltigkeit“ über das Gesundschrumpfen der Wirtschaft, Defizite der Demokratie, zu brave Grüne und das Verbot von Flugreisen.

ff: Herr Paech, wir sind hier auf einem Kongress, der sich um die Nachhaltigkeit dreht. Sie sagen, grünes oder nachhaltiges Wachstum gibt es nicht. Wie passt das zusammen?

Niko Paech: Wir haben in Europa durch unseren Lebensstil alle ökologischen Grenzen gesprengt, deshalb müssen wir die Ökologie entlasten. Aber das geht nicht, wenn die wirtschaftliche Aktivität expandiert. Ich kann das Bruttoinlandsprodukt nicht steigern, ohne ökologische Spuren zu hinterlassen. Diese Spuren werden oft verwischt und versteckt, beispielsweise bei den regenerativen Energien. Die sollen CO2-frei sein, aber es werden dafür Landschaften zerstört, und die Anlagen müssen gebaut werden. Den blauen Himmel über der Ruhr haben wir nur, weil die schädliche Produktion nach Asien verlagert wurde.

Sie haben das Konzept der Postwachstumsökonomie entwickelt. Was versteht man darunter?

Ich habe den Begriff in die Diskussion eingeführt, es gibt aber seit den Neunzehnfünfzigerjahren viele Vorreiter des wachstumskritischen Denkens. Unter Postwachstumsökonomie versteht man den Rückbau der kommerzialisierten, geldbasierten, arbeitsteiligen Wirtschaft ohne Wenn und Aber. Und gleichzeitig den Aufbau von Subsistenz- und Suffizienzpotentialen. Suffizienz bedeutet, mit weniger auszukommen, und Subsistenz bedeutet, dass, was ehemals von der Industrie hergestellt wurde, jetzt durch eigenständige Leistung erbracht wird, also Selbstversorgung. Vor allem bedeutet Postwachstumsökonomie Sesshaftigkeit.

Was, wenn jemand ein schlechter Gärtner ist. Muss er dann verhungern?

Ich habe fast zehn Jahre Teilzeit gearbeitet und bin nicht verhungert. Wer hinreichend sparsam ist, hat kein Problem.

Es gibt hochspezialisierte, teure Einrichtungen, wie das Gesundheitssystem. Wie soll das finanziert werden?

Der Gesundheitssektor ist aufgebläht, vieles von dem, was uns heute als gesundheitserhaltende Leistung verkauft wird, brauchen wir nicht. Wenn wir unser Leben verändern, uns gesünder ernähren, mehr bewegen, uns weniger stressen lassen, bräuchten wir ohnehin weniger medizinische Fremdversorgung. Trotzdem bleibt der Gesundheitssektor der, den ich als letzten antasten würde. Auch in einer Postwachstumsökonomie hat der Staat Steuereinnahmen, die dazu dienen, das Soziale, die Bildung und das Gesundheitssystem aufrechtzuerhalten. Wir können im Gesundheitsbereich sparen und gleichzeitig unsere Lebensqualität erhöhen.

Wo soll der Staat sparen?

Alle Subventionen streichen, außer in den drei zuvor genannten Bereichen. Der Staat muss die Infrastrukturen erhalten, er muss aber in den nächsten Jahrzehnten auch die Industrie, die Flughäfen und Straßen zurückbauen. Und es braucht eine Exekutive, allerdings eine kleinere. Militär brauchen wir keines mehr, denn wenn wir bescheidener leben, wird uns auch keiner überfallen.

Was, wenn meinem bösen Nachbarn mein bescheidener Besitz reicht?

Wie wir Frieden sichern, ist nicht mein Thema. Aber wir haben im Moment einen Militärapparat in Europa, der Geld frisst, weil wir plötzlich händeringend nach einer neuen Beschäftigung für das Militär suchen. Stichwort Afghanistan, Afrika, Vorderasien. Weil der eiserne Vorhang weg ist und wir erleben, dass da kein Feind mehr ist. Hätten wir ein Militär, das nur der Verteidigung dient und nicht der proaktiven Sicherung von Rohstoffquellen außerhalb Europas, wie viel Geld könnten wir uns sparen. Ich bin Pazifist und sage trotzdem nicht, morgen schaffen wir das Militär ab. Aber langsam, aber sicher schon.

Wir definieren uns über Konsum. Sie sagen, Konsum macht uns abhängig, verletzlich und erpressbar. Warum?

Weil die Konsumversorgung auf dem Trick beruht, Dinge zu verbrauchen, die man selber nicht erzeugen kann. Könnte ich sie selbst herstellen, wäre ich Selbstversorger. Konsum macht uns von etwas abhängig, das von außen kommt und das ich nicht beeinflussen kann. Wenn das zusammenbricht, stehe ich vor dem Nichts, weil der Weg in den Wohlstand von einem Prozess des Verlernens begleitet ist. Um die Menschen fit für die Konsumgesellschaft zu machen, müssen wir sie spezialisieren. Unser ganzes Bildungssystem ist darauf gemünzt, ihnen die Fähigkeit zu nehmen, sich selbst zu versorgen. Wir sind nicht mehr handwerklich fähig und belastbar und werden verletzlich. Weil wir verletzlich sind, haben wir Angst, und weil wir Angst haben, wählen wir CDU und ÖVP und FDP und SPÖ. Weil die das Modell aufrechterhalten. Der Heroinjunkie hasst seinen Dealer, aber er würde ihn niemals an die Polizei verraten, weil er von ihm abhängig ist.

Die Menschen werden immer reicher und immer depressiver.

Nach Erreichen einer ganz bestimmten Grenze an Wohlstand kann alles, was noch dazukommt, nicht mehr verarbeitet werden. Das heißt aber nicht, dass man deshalb verarmen soll. Die Suffizienz, also die Reduktion der Dinge, die wir in Anspruch nehmen, geht nur so weit, wie die menschlichen Grundbedürfnisse befriedigt werden. Aber eine Flugreise, ständig neue Elektronikgeräte und neue Klamotten, Autofahren, sind das menschliche Grundbedürfnisse?

Unser Wirtschaftssystem basiert auf immerwährendem Wachstum. Ist etwas anderes überhaupt machbar?

Wir sind so abhängig von einer wachsenden Wirtschaft wie die Junkies vom Heroin. Aber es gibt Wege. Der eine ist, dass Pioniere, eine Öko-Avantgarde, Lebensstile entwickeln, einüben und zur Schau stellen, die vereinbar sind mit einer Wirtschaft ohne Wachstum. Diese Minderheiten werden dann wirksam, wenn es zum Kollaps kommt. Finanzkollaps, Ressourcenkollaps und vor allem die psychologische Krise. Wenn unser Wachstumssystem zusammenbricht, dann können diese Lebensstile der Avantgarde, die in Nischen schon existieren, aufgegriffen werden und sind eine Vorlage für alle anderen. Um ihrer Selbstrettung willen wird die Mehrheit bereit sein, sich zu ändern.

Wann wird es soweit sein?

Das hängt vor allem von den Energiepreisen ab. Wenn sie steigen, steigt immer auch die Möglichkeit der nächsten Finanzkrise. Wir leben seit Jahrzehnten ständig am Rande von Finanzkrisen. Dass es nie zu dem Desaster kam, das wir seit 2008 haben, lag daran, dass die Energiepreise so gering waren, dass man eine Chance hatte, aus der Finanzkrise herauszuwachsen. Aber wenn wir, wie jetzt, eine Verknappung von Ressourcen haben und einen labilen Finanzsektor, werden sich diese beiden Dinge zu einer Großwetterlage verstärken, die man dann vielleicht als Kollaps bezeichnen kann. Aber davor muss niemand Angst haben. Ein Bürgerkrieg ist schlimm, ein Tsunami, eine Epidemie. Aber doch nicht eine Wirtschaftskrise. Das ist eine Rosskur, die uns dazu bringt, endlich zu erkennen, was richtig ist.

Werden wir aus der aktuellen Krise noch einmal hinausfinden?

Natürlich werden wir aus der Krise hinausfinden. Weil wir keine andere Wahl haben, als die Arbeitszeit umzuverteilen. In Deutschland, Österreich und Italien sind wir noch nicht bereit, die Industrie kleiner werden zu lassen und die verbliebene Arbeitszeit gerechter zu verteilen. Das liegt daran, dass die Mehrheit der Deutschen, Österreicher und Italiener vom derzeitigen Zustand immer noch profitiert. Und eine Minderheit ausgeschlossen bleibt, die null Stunden arbeitet, doch die hat in der Demokratie keine Chance. Erst wenn die Mehrheit der Bevölkerung Angst um den Arbeitsplatz hat, kann man das System nicht mehr aufrechterhalten und wird dann keine andere Wahl haben, als der politischen und sozialen Stabilität willen die Arbeitszeit so umzuverteilen, dass möglichst viele Menschen eine Chance haben, mindestens zehn oder zwanzig Stunden zu arbeiten. So werden wir die Krise bewältigen. Volkswagen hat 2009 ihre Arbeiter Kurzzeit arbeiten lassen, anstatt ein Drittel zu entlassen. In ihrer freien Zeit haben die gegärtnert, sich um ihre Kinder gekümmert, Feste gefeiert.

Schaffen wir den Übergang ohne Konflikt und Bürgerkrieg?

Ich habe nicht immer Freude mit Europa, aber ich liebe an Europa die Kultur des Friedens. Ich glaube, dass wir Europäer diesen Übergang friedlich hinkriegen. Wir brauchen nur den richtigen Schubs, die Krise eben. Dann werden wir sagen: Wir haben längst gewusst, dass wir über unsere Verhältnisse leben, aber die Party war so geil, dass wir keinen Bock hatten, schon früher nach Hause zu gehen. Die Party ist nicht aus, sie wird nur bescheidener, und macht vielleicht ja mehr Spaß.

Sie haben sich in Ihrem Vortrag kritisch über die direkte Demokratie geäußert. Sie sagen, den Menschen fällt es leicht, gegen Atomkraft zu stimmen, aber sie würden nie für höhere Benzinpreise sein.

Demokratie hat nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Ich liebe die Demokratie, es gibt keine Alternative. Aber die Demokratie ist wie ein Gegenstand, den ich in den Dienst unterschiedlicher Ziele stellen kann. Ich kann mit Demokratie den größten Schaden anrichten. Wenn ich die Leute frage, wollen sie größere Autos und sechsspurige Autobahnen. Direkte Demokratie funktioniert nur, wenn sich zuvor die Kultur ändert. Demokratie alleine bedeutet kein Mehr an Nachhaltigkeit. Es ist absurd, so zu tun, als seien die Nachhaltigkeitsdefizite auf unserem Planeten ein Resultat von Demokratiedefiziten.

Sie bezeichnen die Grünen als zu lasch. Müssen die Grünen radikaler werden?

Natürlich. Die Grünen müssen so radikal werden, dass sie die Bereitschaft aufbringen, eine Koalition platzen zu lassen und für einen Eklat zu sorgen. Die Grünen müssen sich an ihre Wähler wenden und sagen, wir boykottieren Teile dieser Wirtschaft, wir blockieren eine Autobahn, wir blockieren einen Agrarbetrieb, wir blockieren eine Innenstadt. Die Grünen müssen, wenn sie in der Gesellschaft eine positive Rolle spielen wollen, verstehen, wie sie damals begonnen haben: als parlamentarischer Arm einer außerparlamentarischen Bewegung. Sie müssen diese außerparlamentarische Bewegung reaktivieren, aber heute sitzen sie im System fest. Die Grünen in Europa sind nicht in der Lage, positive Akzente zu setzen. Wir brauchen eine neue ökologische Partei, die so radikal ist, dass sie all das aufgreift, vor dem die Grünen Angst haben.

Sie fliegen grundsätzlich nicht. Würden Sie Flugreisen verbieten?

Nein. Ich will eine Diskussion darüber führen, dass Fliegen eine ökologische Katastrophe ist. Und ich will von allen, die der Nachhaltigkeit das Wort reden, wissen, wie oft sie fliegen. Das hat mit Verbieten nichts zu tun. Ich hätte aber nichts dagegen, Flughäfen zu schließen, sollte sich eine Mehrheit dafür finden.

Auf welchem Weg sehen Sie Südtirol, was die Nachhaltigkeit anbelangt?

Der Verkehr ist viel zu üppig, das ist mir aufgefallen. Ansonsten weiß ich leider nicht viel von Südtirol. Was ich weiß, stimmt mich aber positiv. Ich habe den Eindruck, dass die Regionalökonomie prägnant zu sein scheint.

Interview: Matthias Mayr

 

Der Postwachstumsökonom

Niko Paech sprach am vergangenen Wochenende bei den „Tagen der Nach­haltigkeit“ in Brixen. Paech ist Wirtschaftswissenschaftler und Gastprofessor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt der Universität Oldenburg. Er sagt, ökologisch unschädliches Wirtschaftswachstum ist nicht möglich, nachhaltiges Wachstum gibt es nicht. Also plädiert er für einen gesteuerten Rückbau der Industrie, Teilzeitarbeit, Selbstversorgung und Sesshaftigkeit.
Beim Kongress für nachhaltiges Wirt­schaften sprachen 40 Experten aus dem In- und Ausland über Konsum und Freiheit, Wachstum und Glück. 400 Menschen waren nach Brixen gekommen.

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