Milchwirtschaft: Die letzten Trümpfe

Vereinigung Südtiroler Biologen:Die letzten Trümpfe
Gastkommentar ff 26 vom 27. Juni 2013 (ungekürzte Version)

Die Milchwirtschaft steht vor einem Umbruch, der sogar die Südtirol-Dachmarke ins Wanken bringt. Über Ökologie redet niemand.
Gastkommentar von Andreas Hilpold, Studium der Biologie in Innsbruck, Wien und Barcelona, Vorstandsmitglied in der Vereinigung Südtiroler Biologen, arbeitet derzeit am Naturmuseum in Bozen.

Regional ist Trumpf. Gebetsmühlenartig wird dieser Grundsatz immer wieder hochgehalten, bei Vollversammlungen, bei Werbeveranstaltungen, in Radiosendungen. Doch ist die Südtiroler Milch überhaupt ein regionales Produkt? Oder ist sie lediglich genauso „regional“ wie der Südtiroler Speck? Produziert wird sie allemal vor Ort, von einer Heerschar fleißiger Bauern. Doch woher kommt die Nahrung, die die Kuh zur Produktion der Milch braucht? Die Südtiroler Wiesen und Ackerflächen können nur gut die Hälfte dieser Rohstoffe abdecken. Laut einer EURAC-Studie (Wir Landschaftsmacher; Tasser et al. 2012) ist die Futterenergiebilanz eindeutig negativ: nur etwa 53% der benötigten Energie stammen aus Südtiroler Futter, d.h. nur die Hälfte der Südtiroler Milch wird mit heimischem Futter produziert. Der Rest des Futters muss von außen zugekauft werden. Von woher genau, wissen die Bauern wohl selber nicht. Anders ausgedrückt, die Südtiroler Bauern halten wesentlich mehr Kühe, als sie selber ernähren könnten. Gefördert wird dies noch durch den Umstand, dass die heutigen Hochleistungskühe kaum mit dem hier produzierten Heu zu Rande kommen und dieses allenfalls als Beifutter verwendet werden kann. Die Sachlage ist also ähnlich wie beim Speck: der Grundstoff kommt zu einem wesentlichen Teil von außen, nur die Veredelung erfolgt vor Ort.

Ökologisch problematisch wird das Ganze, abgesehen vom Transport der Futtermittel aus aller Herren Länder, wenn man bedenkt, dass nur ein Bruchteil dieser importierten Nahrung wirklich zum Endprodukt Milch verwandelt wird. Der Großteil davon wird von den Kühen wieder ausgeschieden und landet schlussendlich in Form von Gülle und Mist auf unseren Feldern. Der Stickstoff aus der Düngerfabrik endet somit auf Umwegen vor unserer Haustür. Die Gülle zu entsorgen ist mittlerweile eines der Hauptprobleme vieler Milchbauern. Wenn die Wiesen in Hofnähe gesättigt sind, wird das Ganze auf die (großzügig erschlossenen) Bergwiesen verfrachtet oder wird auf Flächen geleitet, die für die Futterproduktion uninteressant sind, etwa Böschungen, Magerrasen und sogar Wälder. Das Überangebot an Gülle und damit an Nährstoffen stellt für die Südtiroler Wiesen ein massives Problem dar. Nicht nur die Flora leidet darunter und verarmt, auch der Futterwert der Wiese nimmt ab, da sich vor allem Pflanzen durchsetzen, die vom Stickstoffsegen profitieren, z.B. verschiedene Ampferarten. Landauf landab sieht man derzeit Wiesen, die vom Sauerampfer rot oder vom Löwenzahn gelb gefärbt sind. In der Landwirtschaft wird man sich dieses Problems mehr und mehr bewusst, denn ist eine Wiese erst mit genannten Arten besiedelt, dauert es Jahrzehnte, bis sich das natürliche Nährstoff-Gleichgewicht wieder einstellt. Der Versuch Alpenampfer mit Herbiziden zu bekämpfen, ist daher ein Zeichen von extremer Hilflosigkeit.

Ein weiterer Negativaspekt der intensiven Güllegaben ist die Verarmung der Wiesen selbst. Zwar wird auf den Informationspanelen der Südtiroler Milchproduzenten vielerorts noch mit sagenhaften 100 Kräutern geworben, die die Südtiroler Milch angeblich speisen, doch die Realität sieht anders aus. Intensivwiesen bestehen nur noch aus zehn Allerweltsarten. Das Nahrungsspektrum für die heimischen Kühe unterscheidet sich nicht wesentlich von dem in Holland oder in der Poebene. Wenn die Tendenz so weiter geht, droht die Südtiroler Milchwirtschaft ihren (einzigen) Standortvorteil, also die besondere Qualität aufgrund der Fütterung von kräuterreichem Bergheu, vollends zu verlieren. Auch finanziell geht die Rechnung für die Bauern nicht auf. Aufgrund der explodierenden Preise für Futtermittel verdient der Bauer an der Produktionsmaximierung eigentlich kaum etwas, ein Umstand, den auch Bauernbund-Direktor Siegfried Rinner offen zugibt.

Doch was wären die Auswege aus der Misere? Eine Option wäre es die Gülle in Gebiete zu verfrachten, wo Dünger gebraucht wird – eine Lösung, die neuerdings in Deutschland praktiziert wird. „Regional“ wäre das Ganze natürlich trotzdem nicht und ob es dem Image der heimischen Milch wirklich entgegen käme, wenn wir neben Milch auch große Mengen von Gülle exportieren würden, steht auf einem anderen Blatt Papier. Eine andere Option wäre es, uns auf unsere Kernkompetenzen zu konzentrieren und nur so viel Milch zu produzieren, wie wir durch eigenes Futter erzeugen können, diese aber umso mehr als nachhaltig produziertes und tatsächlich regionales Lebensmittel zu vermarkten. Gleichzeitig würden die Südtiroler Milchbauern wieder ihrer wichtigen Aufgabe als Landschaftspfleger gerecht, für die sie von Brüssel entlohnt werden, zumal die Rendite eines Milch produzierenden Betriebes ohnehin hochgradig abhängig ist von Subventionszahlungen. Eine Aufgabe die viele Bauern derzeit aufgrund der Gülleproblematik mehr schlecht als recht erfüllen.

Wir sollten auf jeden Fall nicht riskieren unseren letzten großen Trümpfe, sprich eine sanfte, an den lokalen Gegebenheiten angepasste Wirtschaftweise gepaart mit der herausragenden Qualität der erzeugten Produkte, leichtfertig über Bord zu werfen.

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