ff 47/2013: Interview mit Florian Kronbichler

ff Südtiroler Wochenmagazin 47/21.11.2013 – „Es ist eine Geheimpaktelei!“

Der römische Kammerabgeordnete Florian Kronbichler lehnt die Art der SVP, Politik zu machen, ab. Er fordert, sie solle mit ihren Drohgebärden gegenüber Rom aufhören. „Das glaubt ihr doch niemand mehr!“

ff: Herr Kronbichler, gehört es eigentlich zu den Kernkompetenzen eines Politikers, Langeweile ertragen zu können?

Florian Kronbichler: Der Politikbetrieb mag manchen langweilig erscheinen – ist er aber nicht. Im Gegenteil. Ich langweile mich nie.

Sie haben sich noch nie dabei ertappt, mit offenen Augen zu schlafen?
Noch nicht. Meine Südtiroler Kollegen erlebe ich oft, wie entsetzt sie darüber sind, dass nichts weitergeht. Ich finde mich dann in der Rolle des Trösters wieder. Klar, das italienische Parlament ist viel zu groß, es sind viel zu viele Leute drinnen, die viel zu viel und viel zu lange reden. Das ist wenig produktiv. Doch passen wir bitte auf mit Bewertungen für Politiker wie „fleißig“ oder „effizient“. Mit Fleiß haben Politiker oft größeres Unheil angerichtet als durch Faulheit. Es gibt keine faulen Politiker.

Das müssen Sie uns jetzt erklären.
Ein Politiker kann viele Unarten haben, er kann dumm sein, falsch, eitel – alles, was Sie wollen. Und viele sind das ja auch. Aber faul – nein. Ein fauler Mensch wird nicht Politiker. Und wird er es doch, dann wird er es nicht lange bleiben.

Macht Ihnen Politik also Freude?
Mir macht sie Freude, so wie sie ist. Was gibt es Schöneres, als in einer der schönsten Städte der Welt, ich sage nicht, zu arbeiten, aber tätig sein zu können. Es ist im Moment keine gute Zeit für die Politik, sie macht zurzeit eine erbärmliche Figur. Aber es ist eine hochinteressante Zeit. Ich darf sie aus der Nähe miterleben und ein bisschen auch mitgestalten. Ich lerne viel. Jemand könnte jetzt ­natürlich anmerken, ich sei eine schlechte Investition.

Warum das denn?
Weil ich eben hauptsächlich erst lerne. Wahrscheinlich kann ich das Gelernte nicht umsetzen, nicht produktiv machen – weil dann meine Zeit schon wieder um sein wird. Die SVP-Kollegen sind ja alle jünger. Ihre Chance, Gelerntes für dieses Land zur Wirkung zu bringen, ist somit größer als die meinige.

Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu den SVP-Kollegen beschreiben?
Korrekt und beschränkt auf die politische Arbeit. Das habe ich mir vorgenommen. Für das Gesellige bin ich weniger zu haben. Mit Abi Plangger teile ich mein Schicksal in der Verfassungskommission, wir helfen einander, er hat auch schon Anträge von mir unterschrieben. Er ist kein Parteisoldat, sondern ein freier Geist. Das gefällt mir an ihm. Auch mit Francesco Palermo suche ich das gute Verhältnis.

Hat die SVP in Rom eine Strategie?
Die SVP in Rom hat eine Tradition. Ich staune immer wieder darüber, wie sie es schafft, vor allem für sich selbst etwas zu erreichen – Pöstchen, Mitarbeiter, Dienstauto, Büros. Sie sind gut gecoacht und wissen sich zu bewegen. All das ist Folge einer langen und konsequenten Tradition.

Sie beneiden sie?
Sie sind in einer beneidenswerten Situation. Ich selbst muss mich eher als Einzelkämpfer durchschlagen, auch wenn mir meine Gruppe durchaus behilflich ist. Die große Partei hat sich in Rom
bestimmte Privilegien erarbeitet. Im Vergleich dazu habe ich vielleicht einige ideelle Vorteile. Als erster Nicht-SVP-Südtiroler im Parlament bin ich ein exotisches Tier. Man sieht jetzt, dass Südtirol nicht nur gleich SVP ist, sondern dass es auch noch eine andere politische Realität gibt. Ich rede auch nicht ständig von unserem Minder­heitenstatus und unserer Autonomie. Manche empfinden das als imageschädigend, ich selbst empfinde es als bereichernd auch für uns.

Wieso imageschädigend?
Es ist diese Zusammenhalten-Erpressung der SVP. In der Toponomastik-Frage zum Beispiel teile ich nicht die Haltung der SVP – und kämpfe auch dagegen. Aus Sicht der SVP schadet so etwas.
Sie nimmt es mir übel.

Haben Sie auch vor, die Regierung Enrico Letta nicht mehr zu unterstützen?
Ach, die SVP mit ihrer Drohgebärde! Das glaubt ihr doch niemand mehr. Ich teile ihre Art, Politik zu machen, nicht. Sie pilgert zu Ministern und Ministerien – das ist die gute alte SVP-Schule – , aber macht keine parlamentarische Arbeit. Die politische Kultur verkommt mit diesem Stil. Nobel könnte man sagen, die SVP-Parlamentarier sind Südtirol-Botschafter in Rom. Weniger nobel ausgedrückt, sind sie schlicht Vertreter, sie machen Beamtenarbeit.

Was empfinden Sie als parlamentarische Arbeit?
Wir sind dazu da, Gesetze zu machen. Wir müssen unser Land ebenso wie den Staat vertreten. Das ist ein Verfassungsauftrag – und ich nehme die Verfassung ernst. Die SVP macht immer noch eine Politik, die von der Bettelzeit geprägt ist. Heute sagen sie Networking dazu: Die armen Südtiroler, denen muss man etwas geben, sonst rennen sie nach Österreich, oder sie legen Bomben. Das jüngste Treffen mit Staatspräsident Giorgio Napolitano war wieder so etwas von der Sorte.

Sie haben vom Treffen gewusst?
Der Abi Plangger hat es mir am Tag zuvor gesagt. Ich mag diese Art der SVP-Politik nicht. Es ist Geheimpaktelei.

Wieso sind nie lokale PD-Politiker mit dabei?
Weil es eben Pakteilei ist. Im Grunde werden ja immer Dinge ausgehandelt, die dem PD abgerungen sind. Die ganze Strategie der SVP hat kurze Beine.

Parteiobmann Richard Theiner sagt, man müsse über „andere Szenarien“ nachdenken, wenn nicht endlich etwas in Sachen Vollautonomie weitergehe.
Das sind doch leere Drohungen! Die SVP beruft sich auf Verpflichtungen wie dieses Bozner Memorandum – ein windiges Papier von reinen Absichtserklärungen. Mehr nicht. Das ist diese Marende-Politik der SVP, sie lädt den Ministerpräsidenten nach Bozen, entführt ihn nach Völs, spendiert Speck und verkauft ein Protokoll als großen Staatsvertrag. Das war aber nichts mehr als eine römische Höflichkeit.

Und wie geht es jetzt weiter?
Die SVP wird hoffen, dass die Regierung insgesamt ein bisschen in Schwierigkeiten kommt. Aber die Schwäche dieser Regierung erweist sich als ihre eigentliche Stärke; sie wird nicht fallen.

Muss sich die SVP eine neue Strategie zurechtlegen?
Die SVP hat sich selbst auf gefährliche Weise in Zugzwang gebracht – weil sie so lange schon von Vollautonomie redet und zugleich lärmt, dass „nichts weitergeht“. Ja, was soll denn weitergehen? Die Partei hat den Leuten eingeredet, die Autonomie sei ein System, bei dem ständig neue Kompetenzen dazukommen. Jetzt tut man so, als würden wir nicht überleben, wenn „nichts weitergeht“. Dabei ist die SVP realistisch genug, um zu wissen, dass es keine Alternative zu Südtirol bei Italien gibt. Die Freiheitlichen haben nicht wegen ihres Freistaates so stark zugelegt bei den Wahlen, der spielte im Wahlkampf überhaupt keine Rolle.

Die Sache mit der Vollautonomie ist ein Blödsinn?
Es ist ein schwammiger Begriff, ein Begriff aus dem Treibhausdeutsch. Die SVP will immer mehr. Das ist erlaubt. Aber so wie das Bessere oft der Feind des Guten ist, ist es auch mit der Forderung nach einem ständig Mehr in der Autonomie. Man bekommt nun einmal nicht immer alles. Irgendwann macht man sich bei seinen eigenen Leuten lächerlich. Italien hat sich so gut wie gar nicht für das Wahlergebnis in Südtirol interessiert. Die gesamtstaatliche Presse hat es fast ignoriert. Noch vor einigen Jahren hätte ein Ergebnis wie dieses staatsweit die Alarmglocken schrillen lassen: fast25 Prozent für die Selbstbestimmungskräfte! Das hat Volkspartei-Dimension. Das müsste staatserschütternd sein.Und was war? Auf Staatsebene ist es völlig untergegangen.

Südtirol interessiert nicht mehr?
Man sieht jedenfalls keine reale nationale Gefahr, was dieses Land betrifft. Die Parolen von Eva Klotz und den Freiheitlichen kennt man von der Lega und deren Padania-Rufen. Sie werden für Folklore genommen.

Wohin wird sich die SVP als Nächstes bewegen?
Sie sollte den Leuten die Wahrheit sagen. Diese vielen neuen Kompetenzen kommen nicht – müssen sie auch nicht. Es gibt ein gutes Leben auch ohne sie. Ich weiß, die SVP kontert mir jetzt mit: Verzichtspolitiker! Es gibt nichts Schlimmeres, vor allem in einer patriotisch fanatisierten Gesellschaft, als „Verzichtler“ genannt zu werden. Da sind wir nicht weit entfernt von der Propaganda aus Optionszeiten. Die SVP kann nicht halten, was sie verspricht. So sucht sie die Lösung darin, wo sie sie schon oft gefunden hat: im äußeren Feind als Kitt nach innen. Die Italiener aber stehen nicht mehr zu Diensten als äußerer Feind.

Die Italiener sind auch verschwunden …
Eine verhängnisvolle Entwicklung. Und das auch wegen der SVP-Unart zu glauben, sich selber die „guten Italiener“ aussuchen zu können. Diese vermeintlichen guten Italiener sind längst zur SVP übergelaufen. Bei der Mehrheit der italienischen Bevölkerung gelten sie als Verräter. In diesem Punkt wird der neue Landeshauptmann sehr gefordert sein.

Was erwarten Sie vom neuen Landeshauptmann?
Ich halte ihn für den Besten, der Südtirol passieren konnte. Er ist moderat in einem guten Sinn – auch ethnisch. Ein Garant für den Frieden im Land. Ich bin überzeugt, dass er eine andere politische Kultur der Opposition gegenüber einführen wird. Er ist der Ausdruck des modernen Südtirolers. Modern im Sinne von tolerant, offen, kompromissbereit.

Was tippen Sie? Wer wird neuer Juniorpartner der SVP?
Ich denke, die einfachste Lösung, also die Koalition allein mit dem Partito Democratico, wird ihm persönlich zu minder sein. Sie entspricht nicht seinem Anspruch von Neuerung. Er will mehr. Ich glaube ihm, wenn er sagt, er wisse selbst noch nicht, welche Koalition am Ende stehen wird. Sicher spielt er mit der Frage: Warum nicht die Freiheitlichen nehmen? Nicht weil er sie so gern möchte, sondern um sie zu entzaubern durch Einbindung. So wie es dereinst Schüssel mit dem Haider versuchte. Der Entzauberte war dann allerdings Schüssel selber.

Sehen Sie denn auch irgendwelche Aussichten für ein schwarz-grünes Bündnis?
Die Grünen sind ihm sicher lieber. Sie müssen freilich auch wollen, sie müssen es Arno Kompatscher mit allen Mitteln schwer machen, sie nicht zu nehmen. Riccardo Dello Sbarba, obwohl meistgewählter Italiener, wird den einen Italiener-Sitz wohl nicht bekommen. Der wird dem PD-Mann reserviert bleiben. Hans Heiss würde am wenigsten auf Widerstand stoßen. Ihn mögen alle. Von Brigitte Foppa kann das nicht gesagt werden, trotzdem, sie ist die natürliche Kandidatin. Sie würde sich mit Elan in die Arbeit stürzen. Auch hätte sie einen sicheren Sinn für die Gefahren eines solchen Abenteuers. Außerdem: Kompatscher braucht Frauen in der Regierung.

Sie sind von der Umsetzung der viel zitierten Erneuerung überzeugt?
Ich zwinge mich zum Glauben, dass das Kompatscher-Südtirol ein neues Südtirol wird. Der Kandidat weiß, er muss einem gewaltigen Erneuerungshunger gerecht werden. Er kann die Erwartungen nicht zu Anfang schon enttäuschen. Neben dem alten Landeshauptmann wirkt der neue immer noch wie ein braver Ministrant. Er braucht jetzt Courage, er muss Funken schlagen. Bisher war davon noch nichts zu sehen.

Interview: Alexandra Aschbacher

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Florian Kronbichler, 62, sitzt seit Februar 2013 für die Liste Sinistra Ecologia Libertà (Sel) in der italienischen Abgeordnetenkammer in Rom. Aufgrund des Mehrheitszuschlages für die siegreiche Mitte-links-Parteienkoalition konnte er mit 3,8 Prozent der Stimmen auf regionaler Ebene ein Mandat erringen. Er ist der erste deutschsprachige Parlamentsabgeordnete in Rom, der nicht der Südtiroler Volkspartei (SVP) angehört. Kronbichler ist als dritter von neun Geschwistern in Reischach aufgewachsen, mit Frau und Kindern lebt er heute in Bozen. An der Uni Padua studierte er Staatswissenschaften. Seit 1980 arbeitete er als Journalist und Kommentator (Alto Adige, ff, Südtiroler Tageszeitung, Corriere dell’Alto Adige), er ist Autor heimatkundlicher Bücher und einer Alexander-Langer-Biographie.

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