Zum Abschied von Luis Durnwalder: Der Bauernbub als Landesfürst

Neue Südtiroler Tageszeitung, 12.01.2014.

Der Kopf der Woche, von Arnold Tribus.

Luis Durnwalder. Sein Volk hat ihn geliebt und verehrt. Andere betrachten ihn als Tyrannen, wie Kim Jong Un.

Es gibt auch die, die eine Flasche Sekt aufgetan haben oder einen billigen Prosecco, um auf das Ende der Ära Durnwalder anzustoßen. Der Tyrann ist weg, es lebe der Tyrann. Wer cool sein will, muss natürlich sagen, dass es höchste Zeit war, er sei wirklich unausstehlich gewesen, machtbesessen, totalitär, überheblich, egoman, undemokratisch. Er habe alle Macht an sich gerissen, er sei kein Teamplayer gewesen, was man heute sein muss. Ein Diktator eben und seine Landesräte nur nützliche Idioten.  Kurios ist es, wenn Derartiges von Leuten gesagt wird, die Jahrzehnte in seinem Schatten lebten und fleißig applaudierten, die ihm nach dem Munde redeten, und man fragt sich dann, warum sie sich so lange unterdrücken ließen anstatt  aufzuschreien, zu rebellieren, den Tyrannenmord zu planen, der ja laut Katechismus keine Sünde ist.

Sein Volk aber, das hat ihn geliebt und liebt ihn auch immer noch. Wer objektiv auf die langen Jahre zurückblickt, die seine Ära ausmachen, der wird respektvoll anerkennen müssen, dass sich in dieser Zeit sehr vieles geändert hat, zum Positiven. Dass das etwas tumbe Land Südtirol, das in einem ständigen ethnischen Konflikt lebte, heute ein modernes, fast befriedetes Land ist, das uns  alle anderen Regionen der Republik und auch die Brüder und Schwestern aus dem Vaterland neiden. Nachdem Silvius Magnago und Alfons Benedikter in schwierigen Verhandlungen ein einmaliges Regelwerk mit vielen Kompetenzen geschaffen haben, hat der Macher Durnwalder dann diese Normen mit viel Leben erfüllt und dem Land einen Modernitätsschub verpasst.  Man darf nun wirklich nicht vergessen, dass wir ja ein armes Landl waren, viele Leute hatten lange keine Wasserklosetts und waren ohne Bäder und putzten ihren Arsch mit „Dolomiten“. Mit dem zweiten Statut kamen dann die große Wende und viel, viel Geld. Freilich, wer Geld hat, der kann machen. Und Durnwalder hat gemacht. Er hat das Land geöffnet, es wurde offener, liberaler, auch menschlicher und toleranter. Als er Magnago ablöste, glaubten viele nicht an ihn, ach Gott, ein Bauer, ein Kleinhäusler, die Bourgeoise war entsetzt.  (Er hat ja immer wieder auf seine  bescheidene Herkunft verwiesen, die ihn auch immer ein offenen Herz haben ließ für die Armen und ein großes soziales Gewissen). Dass er dann von einem Bub eines winzigen Bergbauernhofes, der zum Priesterberuf auserkoren war, aber nicht berufen, zum Mächtigsten im Lande avancierte, hat er immer sichtlich genossen und in Würde und Popanz zelebriert. Er war damals der Erneuerer. Durnwalder hat dem Land Südtirol die Perestroika, den langen Prozess der Umgestaltung und Umstrukturierung gebracht, wie Michail Gorbatschow den Russen und Hand in Hand die Glasnost. Ich war ja noch mit Magnago im Landtag und weiß, wie frostig damals das Klima war. Wer in der Opposition war, der war ein Feind. Die Stahlhelme redeten mit uns gar nicht. Es gab nur eine Wahrheit. Wer nicht dazugehörte, war ein Verräter. Schlimmer als die Faschisten, sagte der weise Magnago, sei der Langer, zu dem ich gehörte. Magnago war hochverehrt, unnahbar. Stolz und distanziert. Durnwalder wollte dann  genau das Gegenteil sein, der Landeshauptmann des Volkes, der auf die Leute zugeht, der mit den Leuten lebt. Im Mittelpunkt der Verwaltung hatte der Bürger zu stehen und nicht die Paragrafen. Paragrafenreiterei, wie sie Alfons Benedikter pflegte, war ihm ein Gräuel. Der Beamte hatte für den Bürger da zu sein. Der Politiker sollte nicht mehr abgehoben sein, sondern auf das Volk hören, er sollte das Ohr beim Volk haben. In diesem basisdemokratischen Übereifer führte er dann die morgendliche Sprechstunde ein. Ab sechs Uhr, täglich. Er hat das 25 Jahre durchgehgalten, ist immer um 5 Uhr aufgestanden, um pünktlich im Palais Widmann zu sein. Später dann ist diese Praxis gegen ihn verwendet worden. Statt Rechtssicherheit herrsche eine Bittstellerdemokratie, wenn überhaupt noch eine Demokratie herrsche. Wer was wolle, müsse sich anstellen und beim Landeshauptmann betteln und bitten. Unwürdig sei das, feudal, der Landesfürst der  gibt oder verweigert. Das Volk ging aber gerne hin, weil er sehr oft Probleme schnell und unbürokratisch lösen konnte. Es gibt keinen Regierenden auf aller Welt, der so viel Zeit seinen Leuten gewährt hat wie Luis Durnwalder, von wegen Basisdemokratie. Im Landtag hat sich durch ihn das Klima „normalisiert“, er hat mit jedem gesprochen, geblödelt, jeder gehörte dazu. Als ich ihn einmal fragte, ob er denn nicht zu einer Landesversammlung der Grünen komme, sagt er sofort ja. Das war eine Wende, in Zeiten, als sich kein Landesrat traute, bei uns aufzutreten, als wir in den Gemeinden noch keinen Saal bekamen, um Versammlungen abzuhalten, weil wir nicht dazugehörten und des Teufels waren. Und so hat Durnwalder einen ganz neuen Stil geprägt, seinen Stil. Ein wacher Geist, der keine Dämmerzustände kannte, keine Träumereien und keine Ermüdung. Immer geladen und gespannt. Mit einem einzigen Blinkfeuer  erkannte er blitzschnell ein Problem und wo andere länger brauchten zum Kern eines Problems vorzudringen, zündete bei ihm schon die Entscheidung in einem Schlag. Sein enzyklopädisches Gedächtnis ist sprichwörtlich, er kann sich an alles erinnern, kennt jeden Bittsteller, auch seine Kühe und die gegebene Subvention. Und nachtragend  ist er auch, das konnten jene erleben, die Verrat übten oder gegen ihn intrigierten. Andererseits konnten viele erfahren, dass er immer in der entscheidenden Stunde der verlässlichste der Freunde war, auch wenn ihm das persönlich geschadet hat. Er hat sich im Laufe der Jahre zu einem guten Redner entwickelt, er war fähig, in freier Rede auch komplexe Sachverhalte wortgewaltig vorzutragen. Erstaunlich die geniale Organisation des äußeren Lebens. Bei einer solchen Vielzahl von Interessen und Verpflichtungen nahm er sich Zeit für alles und jeden. Man mochte kommen wenn man wollte, er nahm sich die Zeit, bei Tag und bei Nacht, für drei Worte oder ein kurzes Telefonat, eine SMS. Es gab bei ihm kein unerfülltes Versprechen, keine unerledigten Briefe, keinen vergessenen Anlass. Er ruhte nicht, er wohnte nicht, er schlief kurz, um wieder fit zu sein. Er ist ein Lebemensch, dem nichts fürchterlicher ist als der Gedanke ans Kranksein, an Müdesein, ans Aufhören Und so arbeitete er bis zum Schluss, bis er quasi aus dem Amte getrieben wurde, weil er es einfach nicht lassen konnte und wollte. Er hat bis zum  letzten Augenblick noch regiert, ohne Ermüdung oder Anspannung zu verraten. Dass er im Herzen doch traurig  war und eine Träne vergoss, wollen wir glauben.  Dass er vor Männlichkeit strotzt und Manneskraft wissen die Frauen, die ihn verehren. Und auch seine für Südtiroler Verhältnisse nicht gerade orthodoxe Lebensführung, war ein Zeichen der veränderten Zeiten.  Nachdem ihn die Ehefrau verlassen hatte, hatte er andere Affären, das Volk akzeptierte das genauso wie es sich auf sein Kind im hohen Alter freute. Freilich, für die Ratschkathln im Lande war Durnwalders Liebesleben ein gefundenes Fressen. Hunderte Frauen sind ihm nachgesagt worden, in jeden Dorfe habe ein zumindest eine gehabt, ein ganz schrecklicher Weiberer. Er nahm’s gelassen, ein bisschen war er ja stolz ein Casanova zu sein, er grinste und ließ gewähren. Schließlich hat auch das zu seinem Erfolg beigetragen. Er ist ein Sympathieträger, der mit seinem Wesen jeden Raum erfüllt, mit Kraft, Leidenschaft und Humor. Er, der scheinbar alles gab, lässt aber nur sehr wenige in sein Innerstes vordringen. Das ist der Mensch Durnwalder.

Politisch, freilich, war ich sehr oft nicht mit ihm einverstanden.

 

 

 

 

 

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