Leserbrief Johann Burger: Autonomie oder kritikloses Hinnehmen?

Seit Jahrzehnten posaunen SVP-Politiker in die Welt hinaus, welch mustergültige Autonomie uns Italien zugesteht. Na, dann handelt doch endlich einmal autonom und gebt nicht überall klein bei! Nur weil der Staat mal nach Laune irgendwelche Parameter neu festlegt – z. B. Geburtsabteilungen unter 500 Geburten zu schließen (morgen vielleicht 1.500?) oder eine sinnlose Rundumpräsenz von Pflegern und Ärzten verlangt – tingelt ihr durchs Land und wollt den Bürgern weis machen, dass dies schon sinnvoll sei und man die Maßnahme „durchziehen“ müsse. Manche Erklärungsversuche sind nahezu eine Beleidigung des gesunden Menschenverstandes. Wenn Kosten scheinbar unkontrolliert steigen, dann kontrolliert besser. Dafür muss man nicht ganze Abteilungen schließen. Wehrt euch doch gegen diese staatliche Willkür, andernfalls gebt zu, dass ihr nichts zu sagen habt und nur Erfüllungsgehilfen neoliberaler Wirtschafts- und Finanzlobbys seid. Auch der frisch an die Spitze geadelte Verbandsboss des Wirtschaftsringes glaubt zu verstehen, dass nur eine Verschlankung und weitere Privatisierung der Sanität die Lösung sei. Klar: Alles – von der Geburt bis zum Tod – muss in die Hand von raffgierigen Investoren und Spekulanten und soll dem Gewinnstreben des freien Marktes geopfert werden. Eine planmäßige Plünderung des Sozialstaates.

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Ich frage mich, wann endlich mal unsere sogenannten Volksvertreter etwas gegen diese neoliberale Umverteilung von unten nach oben unternehmen. Diese laufenden Einschnitte ins Sozialsystem, ins Arbeitsrecht und in demokratische Entscheidungsprozesse dienen nicht dem Abbau der Staatsschulden. Das hat sich in den  letzten Jahrzehnten gezeigt. Wenn Politiker das nicht erkennen sind sie entweder blind oder führen die Bürger bewusst in die Irre. Ich vermute leider Letzeres.

Der Staat (gilt auch für andere europäische Staaten) müsste wieder seiner Verantwortung für das Allgemeinwohl gerecht werden und jene stärker zur Kasse bitten, die in den letzten Jahren dank ungerechter Steuergesetzgebung Billionenvermögen angehäuft haben. Es sind zwar auch gegen Schlendrian und Verschwendung, Steuerflucht und Betrügereien Maßnahmen zu ergreifen, aber vor allem müssten die 10% Superreichen weitaus mehr zum Abbau der Staatsschulden beitragen, dann könnte man die Schuldenlast in wenigen Jahren auf ein erträgliches Maß reduzieren. Ich höre zwar schon das Drohgeschrei dieser Lobby: Enteignung, Kapitalflucht, Investitionsstau, Firmenpleiten, Abwanderung der Leistungsträger, Wettbewerbsverzerrung, Arbeitsplatzvernichtung, und weiteren solchen Quatsch. Es gibt aber eine Reihe von Buchautoren, die alle Argumente des Neoliberalismus einwandfrei widerlegen können und sich schon seit Jahren gegen diesen Raubtierkapitalismus stemmen. Mündige Bürger müssten halt auch außerhalb gelenkter Medien Informationen holen und sich über andere Wirtschaftsformen Gedanken machen. Tiefgreifende Veränderungen sind ohne das Engagement des „Fußvolkes“ – auch über das Einfordern direktdemokratischer Mitbestimmung – nicht zu erreichen. Freiwillig werden die Herrschenden ihre ausbeuterischen Programme nicht umschreiben und ihre Macht nicht abgeben. Die Verteidigung der Demokratie und der sozialen Errungenschaften hat ihren Preis.

Burger Johann, Pichl/Gsies

 

Teil 1: LB Dolomiten, 17.10.2014

 

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