Die Mär vom flüssigen Verkehr

Hanspeter Niederkofler

Der motorisierte Straßenverkehr weist die bekannte Eigenschaft auf, zuweilen Staus zu bilden. Die Ursache dafür ist im Allgemeinen recht simpel: zu viele Fahrzeuge zur selben Zeit am selben Ort. Da ein Stau von den ihn bildenden Verkehrsteilnehmenden gewöhnlich als etwas Negatives empfunden wird, löst sein Auftreten regelmäßig Debatten darüber aus, was zu tun wäre, um ihn zu beseitigen. Da die wirksamste Lösung, nämlich seine Nichtauslösung durch Nichtbeteiligung („stell dir vor es ist Stau und niemand fährt hin“) für den überwiegenden Teil der Beteiligten nicht in Frage zu kommen scheint, läuft die Diskussion für gewöhnlich auf anderen Bahnen:

  • Suche nach einem Verursacher („zuviele Blechkisten unterwegs“ scheidet, wie erwähnt, wegen manifester Logik von vornherein aus). Dieser lässt sich meist leicht in irgendeiner Engstelle, einer Kreuzung, einem Kreisverkehr, einem Kastanienbaum oder ähnlichen Objekten ausmachen, in deren Nähe man stehende Autos beobachtet. Naheliegend also, dass das Hindernis zu beseitigen ist, damit der Verkehr fließen kann.
  • Leider ist in der Folge meist zu beobachten, dass nach Entfernung des Sündenbocks der Stau dennoch keine Anstalten macht, zu verschwinden. Dafür tritt er in verlängerter Form an irgendeiner anderen Engstelle, Kreisverkehr, Brücke, Maisfeld oder ähnlichem auf. Die Logik verlangt, dass, wenn eine Maßnahme nicht hilft, man es mit der gleichen Maßnahme nochmal probieren sollte, vielleicht hilft’s ja dann.
  • Leider nicht, immer noch Stau. Man kommt zum Schluss, dass es hier einfach staut und dass es mit dieser Straße so nicht weitergeht. Es muss endlich etwas geschehen.
  • Eine neue Straße? Eine Schnellstraße? Dumm nur, dass man in diesem Land eigentlich gegen Schnellstraßen ist. Zumindest darf man sie nicht so bezeichnen. Aber bauen wir noch ein paar Umfahrungen, ein paar Umfahrungen der Umfahrungen, ein paar Trompetenkreuzungen und Turbo-Kreisverkehre.
  • Immer noch Stau.
  • Was kann man tun? Der Verkehr muss einfach verflüssigt werden… Überholspuren vielleicht, damit man zumindest am Stau vorbei kann.
  • Und was kommt nach dem Überholen? Wieder Stau…
  • Lösung nicht gefunden. Vielleicht wieder oben anfangen.

So ähnlich läuft es auch im Pustertal. Bauen, bauen, bauen und dann immer wiederkehrend der Jammer, dass das mit dieser Straße so nicht geht. Dazu nur ein paar Gedanken:

  • Von einem „Dauerstau“ auf der Pustertaler Straße zu sprechen, ist eine Verkennung der Tatsachen. Ausgedehnte Staus mehrmals täglich mögen die Normalität in den städtischen Ballungsräumen sein (was diese Räume aber nicht daran zu hindern scheint, als wirtschaftliche Zentren zu fungieren), auf der Pustertaler Straße gibt es wirklich kritische Momente nur an den Samstagen in der touristischen Hochsaison. An diesen Tagen ist, angefangen von der Autobahn, das gesamte alpine Straßennetz überfüllt und der Verkehr kann auch im Pustertal nichts anderes als stecken bleiben, egal wie unsere Straße aussieht.
  • Die Worte „Beschleunigung“ und „Verflüssigung“ gehören nicht in denselben Satz. Staus entstehen nicht durch zu niedrige Geschwindigkeiten, sondern durch zu große Geschwindigkeitsunterschiede. Langsamer heißt flüssiger, sowohl in der Stadt als auch im überörtlichen Verkehr. Höhere Geschwindigkeiten verlangen größere Abstände und führen zu größerer Störungsanfälligkeit. Der maximale Verkehrsfluss ergibt sich bei 30-40 km/h – je weiter man sich davon entfernt, um so weniger Verkehr lässt sich auf einer Fahrbahn flüssig abwickeln.
  • Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 km/h braucht man für die Fahrt von Bruneck zur Autobahn knapp 30 Minuten. Erhöht man auf 70 km/h, sind es 26 Minuten. Viel Aufwand für sehr wenig.
  • Wenn für die Wirtschaft schon jede Minute wichtig ist, warum hat man dann je einen Betrieb in Sand in Taufers angesiedelt statt in Bruneck? Warum in Bruneck statt in Bozen? Warum in Bozen statt in Mailand? Es ist bequem, alles auf den Verkehr zu schieben. Die wirtschaftlichen Erfolgsfaktoren sind andere. Schnelle Erreichbarkeit gehört nicht dazu, die hat auch klare Schattenseiten.
  • Überholen ist bei schwachem Verkehrsaufkommen an vielen Stellen möglich, bei starkem Verkehr ist es schlicht unnütz. Alles, was man damit gewinnt, sind die paar Sekunden, die es braucht, bis man auf die nächste Fahrzeuggruppe stößt. Viel Stress und Risiko für nichts. Verstand einschalten und entspannen wäre wirkungsvoller. Aber das geht halt so schwer.

Kurz gesagt: der sinnlosen Maßnahmen zur „Verkehrsverflüssigung“ sind bereits genug durchgezogen worden. Das Land täte gut daran, von weiteren Schandtaten wie der Klosterwald-Ausfahrt und der Vintler Großumfahrung Abstand zu nehmen und nicht weiter einer verkappten Schnellstraße Vorschub zu leisten. Es kümmere sich hingegen um die Fahrtzeiten auf der Bahn, dort gibt es mehr zu holen: 10-15 Minuten auf der Pustertaler Linie durch Optimierung der Kreuzungspunkte und nochmal 15 Minuten durch die Riggertalschleife. Wer im Zug sitzt, kann nicht gleichzeitig im Stau stehen, so viel Logik ist hoffentlich noch zumutbar.

08.08.2010
Hanspeter Niederkofler

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