Verwässertes Restwasser, TZ, 080611

Die Landesregierung versucht mit einem Trick, die Produktion der Südtiroler Großkraftwerke zu steigern, indem man die Restwassermengen verringert. Nicht nur die Umweltschützer protestieren gegen dieses Vorhaben.
von Christoph Franceschini

Michl Laimer wusste, dass dieser Protest kommen wird. Der Energielandesrat hat deshalb eine einleuchtende und wohl auch logische Erklärung auf Lager. „Im Gesetz heißt es ‘orientieren’, und genau das haben wir jetzt mit Beschluss der Landesregierung getan“, sagt Laimer.
Andreas Riedl, Geschäftsführer des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz, sieht das anders: „Die Landesregierung ändert die Regeln im laufenden Spiel.“ Auch die beiden Grünen Landtagsabgeordneten Hans Heiss und Riccardo Dello Sbarba protestieren nach dem Beschluss der Landesregierung energisch: „Hier macht man den Stromproduzenten ein unakzeptables Geschenk.“
Kritik brandet aber auch aus der Volkspartei selbst auf. Der Vinschger SVP-Abgeordnete Sepp Noggler hatte gestern in der aktuellen Fragestunde eine Anfrage genau zu diesem Punkt gestellt, die aber aus Zeitgründen nicht mehr beantwortet werden konnte. „Das Ganze ist ein Kniefall vor der SEL und den großen Stromproduzenten“, analysiert Noggler.
Ausgangspunkt ist der Wassernutzungsplan, der nach jahrelangen Diskussionen und Querelen im vergangenen Jahr verabschiedet wurde und derzeit in Rom zur Begutachtung und endgültigen Verabschiedung aufliegt. Einer der Kernpunkte dieses Planes ist die Regelung für die Restwassermengen bei neuen Kraftwerken. Im Plan ist eine genaue Tabelle festgelegt, welche Restwassermengen die Betreiber neuer Kraftwerke einhalten müssen. Die goldene Regel dabei: Je kleiner das Einzugsgebiet, desto höher die Mindestrestwassermenge. Diese Regelung war eine klare Konzession an die Südtiroler Fischer und Umweltschützer.
Am vorvergangenen Montag aber hat die Landesregierung einen Beschluss gefasst, der nach Meinung der Kritiker genau diese Regelung „verwässert“. Denn allgemein war man davon ausgegangen, dass die im Wassernutzungsplan festgelegten Restwassermengen auch für die bestehenden und Ende 2010 verlängerten Konzessionen der Großkraftwerke gelten würden.
Doch dem ist nicht mehr so. Denn mit Landesregierungsbeschluss Nr. 893 hat die Landesregierung eine mögliche Abweichung der im Wassernutzungsplan festgelegten Restwassermengen ermöglicht. Kommt die Landesregierung zum Schluss, dass auch eine geringere als die ursprünglich in den Umweltplänen des Konzessionswerbers angeführte Restwassermenge ökologisch ausreichend sei, kann sie diese verringerte Restwassermenge für die Ableitung festlegen.
„Allerdings nur für zwei Jahre“, schränkt Landesrat Michl Laimer ein, „danach muss die Restwassermenge sukzessive erhöht werden.“ In maximal acht Jahren muss ein Konzessionsinhaber damit bei dem Wert ankommen, der ursprünglich im Wassernutzungsplan festgelegt wurde.
„Damit stellt sich die Frage, wie viel das strategische Planungsinstrument Wassernutzungsplan noch wert ist, wenn die Landesregierung im Nachhinein ohne jegliche Einbeziehung von Fachleuten einen zentralen Grundwert dieses Planes so einfach abändern darf“, kritisieren jetzt die Grünen und auch der Dachverband diese neue Regelung. Michl Laimer verteidigt den Schritt: „Im Gesetz und im Wassernutzungsplan steht, dass sich die Restwassermengen der bestehenden Konzessionen an den vorgegeben Werten orientieren müssen.“ Die Landesregierung habe mit ihrem Beschluss ausschließlich diese Orientierung vorgenommen.
Aber auch Michl Laimer weiß, dass die „Orientierung“ der Landesregierung einen neuen, viel gefährlicheren Brandherd eröffnet. „Hier wirft man die Spielregeln für die Konzessionsvergabe im Nachhinein einfach über den Haufen“, meint Sepp Noggler. Der SVP-Landtagsabgeordnete argumentiert – wie auch der Dachverband und die Grünen – mit den Vorgaben bei der Vergabe der Großwasserkonzessionen. Die Bewerber haben sich in puncto Restwassermengen größtenteils an die im Wassernutzungsplan vorgegebenen Wert gehalten. Für den Sieg war dabei in einigen Fällen auch die höhere Restwassermenge mit ausschlaggebend. Etwa bei der Konzessionsvergabe des Kraftwerks St. Anton, wo die SEL AG eine höhere Restwassermenge vorlegte als der private Konkurrent „Eisackwerke“. „Die unterlegenen Konzessionswerber werden über die nachträglichen Änderungen der Spielregeln alles andere als erfreut sein“, meinen jetzt die Südtiroler Grünen.
Die Gründe für die Nachbesserung oder besser Nachverschlechterung der hydrologischen Bedingungen durch die Landesregierung liegen klar auf der Hand. Seit Jahren kritisieren die Stromproduzenten die von Laimer eingeführten, zu hohen Restwassermengen als deutlich überzogen. Man führt dabei immer wieder Beispiele aus Österreich oder Deutschland an.
Hinter dieser Kritik stehen ausschließlich wirtschaftliche Interessen. Denn Restwasser ist jenes Wasser, dass durch die Goldmaschine Kraftwerk rinnt, ohne zu Geld gemacht zu werden. Die Gleichung ist einfach: Je mehr Wasser abgegeben wird, desto mehr schränkt man die Stromproduktion und damit die Einnahmen ein.
Redet man bei den Restwassermengen von Sekundenlitern, die für den Laien kaum nachvollziehbar sind, so ist die Umsetzung in produzierte Energie weit plakativer. „Man geht davon aus, dass es durch die im Wassernutzungsplan festgelegte Erhöhung der Restwassermengen zu einer Reduktion von elf bis zwölf Prozent der gesamten Südtiroler Stromproduktion kommt“, rechnet Sepp Noggler vor. Bei jährlich 5,5 Milliarden Kilowattstunden sind das immerhin 600 bis 700 Millionen Kilowattstunden. Es ist die doppelte Produktion der Kraftwerke am Reschenstausee.
Damit wird auch deutlich, dass es um sehr viel Geld geht. Deshalb haben die großen Stromproduzenten auch den Druck auf die Landespolitik erhöht, damit diesen ihnen in Sachen Restwasser entgegenkommt. Genau das ist jetzt mit dieser „Orientierung“ in der Landesregierung erfolgt.
Es geht um sehr viel Geld.
Deshalb haben die Stromproduzenten den Druck auf die Landespolitik erhöht. Die Folge ist diese Neuorientierung durch die Landesregierung.

Dieser Beitrag wurde unter Artikel abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.