Demokratie: „Wunder“ in Rasen Antholz?

TZ, 20. September 2011

Demokratisches Haus

Rasen-Antholz: Mehr Sachpolitik, weniger Parteipolitik

Vier Parteien und noch mehr verschiedene Meinungen: Im Rathaus von Rasen-Antholz arbeitet ein Gemeinderat nach ganz neuen Maßstäben. Es gibt keinen Fraktionszwang, auch nicht für die SVPler. Jetzt werden Allianzen quer durch die Parteienlandschaft geschmiedet.

von Silke Hinterwaldner

Es ist lange her. Aber auch in Rasen-Antholz hat es Gemeinderäte gegeben, die ausschließlich aus Mandataren der Volkspartei bestanden. Bis 2005 haben die Dörfer in Rasen- Antholz Politik gemacht und nicht die Parteien: Damals saßen acht Räte aus Rasen, fünf aus Antholz und zwei aus Niedertal im Gemeinderat. Trotzdem war nicht alles eitel Sonnenschein, wie man sich vorstellen kann.

Mit dieser Dörferlogik war de facto 2005 Schluss. Damals rückte die Liste Rasen-Antholz mit einem ansehnlichen Stimmenstock in den Gemeinderat auf. Plötzlich saßen neun SVP-Räte aus allen Dörfern sechs Räten der Bürgerliste, ebenfalls von überallher, gegenüber. Diese fünf Jahre waren im Tal geprägt von einer überstrengen politischen Gangart. Die Volkspartei versuchte ständig, ihre Räte auf Linie zu bringen, um die Räte der Liste Rasen-Antholz einzubremsen. Die zwei Parteien standen sich nahezu feindlich gegenüber. Jeder wartete darauf, dass der Gegner einen Fehler machte. Die Anträge wurden niedergestimmt. Praktisch alle Entscheidungen mussten nach den Vorgaben der Parteien gefällt werden.

Und plötzlich war alles anders. „Wir sind demokratiepolitisch erwachsener geworden“, sagt Helmut Paul Leitgeb. Er sitzt nicht zum ersten Mal  für die SVP im Gemeinderat. Aber zum ersten Mal in der Geschichte der Gemeindepolitik werden Entscheidungen quer durch das Gemüsebeet gefällt. Wie das geht?

Im Mai 2010 zogen Gemeinderäte aus vier unterschiedlichen Parteien in den Gemeinderat ein. Neben SVP und Bürgerliste hatten sich Franz Rieder mit einer Bürger­meis­ter-Liste und die Freiheitlichen platziert. Aber trotz der vielen politischen Strömungen sind sich die Gemeinderäte offensichtlich in vielen sachpolitischen Fragen nähergekommen. Im Ausschuss sitzen sechs SVPler und ein Vertreter der Liste Rasen-Antholz. Auch das Gesprächsklima im Gemeinderat ist besser geworden, befinden manche Räte, die die politische Situation seit Jahren verfolgen.

Es gibt praktisch keinen Parteizwang mehr. Manchmal stimmen SVP-Räte mit ihrem Bürgermeis­ter, manchmal nicht. Dann sprechen sie sich mit Vertretern der anderen Listen ab, um einen Beschluss des Ausschusses zu Fall zu bringen: Freilich nur, wenn sie inhaltlich ganz und gar nicht einverstanden sind.

Zu jenen, die ihre Freiheit genießen und auch danach handeln, gehört nicht nur Helmut Paul Leitgeb, auch etwa für Christof Niederkofler ist Fraktionszwang ein Fremdwort geworden. Will heißen: Bürgermeister Herbert Berger geht mitunter in die Gemeinderatssitzung ohne zu wissen, ob der eine oder andere Beschluss durchgeht. Er muss auch immer damit rechnen, dass „seine“ SVP-Räte oder „seine“ Kollegen im Ausschuss nicht einer Meinung sind mit ihm.

„Dadurch“, sagt Leitgeb, „wird der Gemeinderat aufgewertet. Es wird viel diskutiert, und wir bewegen uns auf der sachpolitischen Ebene, anstatt uns in Parteipolitik zu verzetteln.“ Vielleicht geht es deshalb manchmal ein bisschen langsamer weiter, als es sich die Regierenden wünschten, aber vor allem wird im Rathaus von Rasen-Antholz Gemeindepolitik nach neuen Maßstäben gemacht.

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