Land der Wege, TZ, 300911

Ob Forstwege oder Almwege – in Südtirol werden jedes Jahr über 100 Kilometer neue Zufahrten in unerschlossene Gebiete gebaut. Ein Beispiel aus dem Passeiertal zeigt, dass es auch extreme Fälle gibt.
Der Dachverband für Natur- und Umweltschutz fordert den Schutz unerschlossener Rückzugsgebiete.

von Hannes Senfter
Im hintersten Passeiertal liegt die Mooseralm. Dort kann man sich sehr wohlfühlen in der Einsamkeit zwischen einigen Kühen. Damit die Alm auch bewirtschaftet wird, wurde vor 30 Jahren eine Materialseilbahn hinaufgebaut. Das hat vieles erleichtert. Vor allem die Sanierung des Almgebäudes, das danach besser genutzt werden konnte. Ein paar Jahre später musste die Wildbachverbauung in der Nähe der Alm einige Arbeiten durchführen. Um mit den notwendigen Maschinen dorthin zu kommen, wurde ein Traktorweg gebaut. Nach der Fertigstellung der Arbeiten blieb der Weg weiterhin aufrecht und wurde von dem Almbetreiber benutzt. Und jetzt? Eine dritte Erschließung wird nun gebaut. Das sorgt für Unverständnis im Tal. „Ich kann nicht verstehen, wieso es eine dritte Erschließung braucht“, sagt ein erzürnter Bauer aus dem Passeiertal. Dass der Weg vom Amt für Forstwirtschaft gebaut wird, bestätigt Amtsdirektor Florian Blaas.
Sollte es sich tatsächlich um die dritte Erschließung einer einzigen Alm handeln, dann kann es Andreas Riedl überhaupt nicht verstehen. Der Geschäftsführer des Dachverbandes für Natur- und Umwelt befasst sich tagtäglich mit irgendwelchen Umweltsachen. Er ist aber kein unvernünftiger Mensch: „Ich verstehe absolut, dass es Forstwege und Erschließungswege braucht. Das hat in vielen Orten auch einen Sinn.“ Was Riedl nicht versteht, ist die Masse an Straßen, die jedes Jahr in den Südtiroler Wäldern und Bergen hinzukommt. Liest man im Forstbericht des Landes aus dem Jahr 2008 nach, dann wird dort von einem ländlichen Wegenetz von 13.429 Kilometer gesprochen. Zwei Jahre später beträgt dieses Wegenetz schon 13.754 Kilometer. „In nur zwei Jahren wurde eine Strecke von Bozen nach München gebaut“, sagt Riedl. Im Vergleich dazu gibt es in Südtirol insgesamt 15.180 Kilometer Wanderwege. Gar nicht so viel mehr, obwohl beinahe jeder Wiesenpfad schon als Wanderweg geführt wird. Die Prinzipien für eine Erschließung durch Fahrwege sind klar festgelegt. So bestimmen die jeweiligen Forstbezirke selbst, wo eine neue Erschließung notwendig wird und wo nicht. „Wenn Gebiete eine Basiserschließung brauchen“, sagt Amtsdirektor Blaas, „können Forstwege gebaut werden. Dabei berücksichtigen wir wichtige Faktoren wie Zugang zu Knotenpunkten oder Umgehung von Quellgebieten.“ Die Wege selbst werden dann entweder durch den forsteigenen Betrieb, mit einem Beitrag der Forst oder auch ohne einen Beitrag der Forst gebaut. „Das ist gut und recht“, meint Riedl, „aber ich sehe überhaupt keinen Plan in dieser Sache.“ Riedl kritisiert den Wegebau in der Hinsicht, dass ein Ende der ganzen Erschließungen nicht absehbar ist. „Das hat auch einen Grund“, meint Riedl, „wenn ich einen Plan mache, dann grenze ich mich ein. Ich sehe einfach, dass der Wegebau zu einem Selbstläufer geworden ist.“ Riedl bezeichnet den Wegebau als eine Art „Erhaltungsmaßnahme für eine größere Körperschaft im öffentlichen Bereich“.
Was bleibt auf der Strecke? Dazu muss Riedl gar nicht lange nachdenken. Es sind die unberührten Gebiete in Südtirol, die es langsam nicht mehr gebe. Das zeigt auch eine Studie über das Verhältnis zwischen Wege und Flächen in Südtirol. So gibt es pro Quadratkilometer in Südtirol 2,5 Kilometer Verkehrswege. „Das ist eine der höchsten Dichten in Europa“, sagt Riedl, „von unberührten Gebieten ist da keine Spur.“ Den Wert solcher unerschlossener Gebiete würde immer mehr zunehmen.
Was passiert mit den erschlossenen Gebieten? „Das weiß niemand“, sagt Riedl. Es bestünde nämlich keine Garantie, dass bereits erschlossenen Almen auch weiterhin bewirtschaftet werden.
Irgendwann werden alle erschließbaren Gebiete erschlossen sein. Wahrscheinlich werden dann alle Gebiete wieder „unerschließbar“ gemacht.

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