15. Oktober: „Es reicht!“

TZ, 14. Oktober 2011

Südtirols „Indignados“ proben den Aufstand. In Bozen, Bruneck und über hundert anderen Städten der Welt versammeln sich morgen enttäusche Bürger, um gegen das Treiben der politischen und wirtschaftlichen Eliten zu protestieren. Ein Blick hinter die Kulissen.

von Matthias Kofler

„¡Basta ya! Es reicht!“ tönt es aus den Straßen Madrids. Es ist ein brütend heißer Julitag. Der Hitze zum Trotz versammeln sich Tausende von Jugendlichen auf der berühmten Puerta del Sol, um ihrer Wut auf die wirtschaftlichen und politischen Eliten und auf die weit verbreitete Korruption im Lande Luft zu machen. Sie klagen über Jugendarbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven, und statt am Abend wieder nach Hause zu gehen, errichten die Jugendlichen ein Protestcamp. Dieser Julitag wird zur Geburtsstunde einer neuen bürgerlichen Bewegung: der Indignados.

Schnell breitete sich die Welle der Empörung auf andere, von der Finanzkrise gebeutelte Länder der Welt aus. Heute kann man sagen: Die spanische Protestbewegung hat ihr Ziel erreicht und die ganze Welt mit ihrer Revolte angesteckt. Auch Südtirol ist mittlerweile vom spanischen Virus infiziert. Morgen finden in Bozen und Bruneck Protestaktionen statt. Die Demonstrationen sollen sich gegen die Mächtigen und Privilegierten in der Gesellschaft richten. „Ich gehe morgen auf die Straße, um meine Empörung gegen die unverschämte und unerträgliche Gier auf den Finanzmärkten und in der Politik auszudrücken“, erklärt Maria Taferner, eine Indignada aus Bruneck. „Unsere Regierenden arbeiten vorwiegend zugunsten von wenigen, ohne sich um die sozialen, menschlichen und ökologischen Folgen zu kümmern.“ Gerade deshalb sei es an der Zeit, „uns gegen die Korruption in unserem politischen System aufzulehnen“.

Es ist ein Leichtes, Ungerechtigkeiten anzuprangern und Regierende zu kritisieren. Doch was wollen die Empörten besser machen, sollten sie die Macht dazu bekommen? „Wir sind noch nicht imstande, Lösungen zu präsentieren, weil wir jahrelang im Dornröschenschlaf gelegen haben und jetzt erst wieder lernen müssen, uns zu artikulieren“, bekennt ein Indignado. Der Empörte weigert sich, namentlich in der Zeitung aufzuscheinen. Das habe man intern so vereinbart, „weil es bei uns keine Hierarchie und keine Sprecher gibt“.

Klare Vorstellungen hat dagegen die ehemalige KVW-Vorsitzende Maria Kusstatscher, die sich am Protest in Bruneck beteiligen wird. „Wir brauchen mehr Solidarität und Demokratie“, fordert sie. „Es kann nicht sein, dass die Wirtschaftsleute über die Köpfe der Menschen hinweg entscheiden, so wie beim Großprojekt Ried. So ist jede Volksbefragung für die Katz.“ Von den Politikern verlangt Maria Kusstatscher, nicht nur Werte wie Mut und Verantwortung einzufordern, sondern auch danach zu handeln. „Zum Beispiel braucht es für eine gelingende Integration ein stabiles Bildungsbudget und Sprachkurse, nicht aber Geldkürzungen.“ Aus der Sicht der Empörten gebe es genügend Beispiele, wie „gut und christlich gehandelt“ werden könne. „Menschen, die sich ehrenamtlich in Vereinen engagieren oder Ärzte in der Dritten Welt machen das“, so Maria Kusstatscher.

In mehr als 40 Ländern wird am kommenden Samstag gegen die unkontrollierten Spekulationen auf den Finanzmärkten und die Sparpolitik der Regierungen demonstriert. Die heißesten Proteste laufen mittlerweile in den USA: Menschen aus allen Gesellschaftsschichten versammeln sich in der New Yorker Wall Street, dem Zentrum der amerikanischen Finanz-industrie, um gemeinsam eine demokratische Kontrolle der Bankenwirtschaft und ein Stopp der Sozialkürzungen und Privatisierungen einzufordern. Ob die Proteste auch in Südtirol Früchte tragen werden, wird der Samstag zeigen.

—————————————————————————————— „Empöre dich!“

(mk) „Wir sind alle besorgt über die aktuelle gesellschaftliche Situation“, heißt es im Flugblatt der Indignados Südtirol. „Wie gelähmt haben wir dem verantwortungslosen Treiben vieler korrupter Politiker zugesehen, die vom rücksichtslosen Raubtierkapitalismus angetrieben werden. Wir nehmen das nicht mehr länger hin. Eure Krise zahlen wir nicht.“ Unter dem Motto „Steh auf – Empöre dich – Engagiere dich“ veranstaltet die Indignado-Bewegung morgen, 14 Uhr, eine Protestversammlung. Austragungsort sind die Talferwiesen in Bozen. In Bruneck findet am selben Tag der „Abend der Lichter“ statt, an dem sich mehrere Verbände beteiligen werden. Laut Flyer ist auch die Gewerkschaft ASGB vertreten. Deren Vorsitzender Tony Tschenett erklärt jedoch auf Nachfrage: „Das ist eine Fehlinformation.“

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