Weiteres Rienz Energie – Projekt: Großkraftwerk im Naturdenkmal

(„Erker“, Dezember 2011 – www.dererker.it)

Die Gemeindeverwaltung von Ratschings ist derzeit an zwei Wasserkraftwerken beteiligt. Nun soll zwischen Ridnaun und Mareit mit Einverständnis der Gemeinde ein Großkraftwerk errichtet werden. Gegen die Nutzung von Wasser hat der Großteil der Bevölkerung nichts einzuwenden, wäre da nicht die Sache mit dem Standort: Das Projekt betrifft ausgerechnet die Achenrainschlucht, eines – wie Umweltschützer betonen – der letzten Naturjuwele im Bezirk.

Ratschings ist eine Gemeinde, in der viel wildes Wasser fließt. Die breite Bachlandschaft Aglsboden, die Burkhardklamm in Ridnaun und die Gilfenklamm in Stange mit ihren tosenden Wassermassen gelten auch im Landschaftsplan der Provinz als einzigartige Naturschönheiten. Geformt hat sie über Jahrtausende hinweg der Fernerbach, der sich am Südrand der Stubaier Alpen mit voller Wucht ins Tal stürzt, sowie der Ratschingerbach.
Gebirgsbäche wie sie locken mittlerweile nicht nur Touristen, sondern wegen der attraktiven Förderungen und Gewinne zunehmend auch Stromproduzenten. Bürgermeister Sebastian Helfer hat es sich schon in der Vorwahlzeit zum Vorsatz gemacht, das Wasser zu nutzen, das an der Haustür der Gemeinde vorbeifließt. Damit lässt sich die Haushaltskassa auffüllen und den Bürgern billigen Strom anbieten.
Gegen Geldsegen für Gemeindeinvestitionen und günstige Energie haben auch die Bürger in Ratschings nichts einzuwenden. Dass für das E-Werk ausgerechnet in der Achenrainschlucht zwei Drittel des Wassers abgeleitet und ein Stollen mit rund drei Metern Durchmesser verlegt werden soll, stößt jedoch auf Widerstand.

Über die hydroelektrische Wassernutzung in der Achenrainschlucht wird in Ratschings nicht zum ersten Mal diskutiert. Ehrgeizige Pläne und genauso harte Gegner, den Fernerbach in drei Stufen auszubauen, gab es bereits in den 80er Jahren. Trotz Proteste wurde vor zehn Jahren das E-Werk Seebach im Talschluss von Ridnaun gebaut. Bürgermeister Sebastian Helfer bezeichnet es heute als „gelungenes, nachhaltiges Bauwerk, das für die Gemeinde wirtschaftlich gesehen zur Erfolgsgeschichte geworden ist“. Es produziert jährlich zehn bis zwölf Millionen Kilowattstunden Strom, bescherte der Gemeinde, die mit 55 Prozent daran beteiligt ist, allein in der Amortisierungszeit 2,5 Millionen Euro – und den Ridnaunern Strom, der noch nie so günstig war. Ein weiteres E-Werk in Valtigl wurde heuer in Betrieb genommen. Durch ihre 30-prozentigen Beteiligung rechnet die Gemeinde mit jährlichen 50.000 Euro an Einnahmen.
Die Argumente, umweltfreundlichen Ökostrom zu produzieren, kann die Bürgerinitiative SOS Achenrainschlucht nur teilweise verstehen. Bei einer Informationsveranstaltung im November stellte die neu gegründete Gruppe mit ihren rund 20 Mitgliedern dennoch die Frage in den Raum, ob die Bevölkerung für verbilligten Strom tatsächlich das „unterste Meisterwerk des Fernerbaches“ mit seinen wilden Wasserfallstufen, dem einzigen Abschnitt mit Wassergüteklasse I und dem anschließenden breiten Bachbett mit Sand- und Schotterbänken sowie Auwäldern opfern will. Außerdem steht die Achenrainschlucht seit einigen Jahren unter Naturschutz.

Die Unterschutzstellung der Schlucht hat eine kurze Vorgeschichte. Schon das E-Werk Seebach, das vier Kilometer westlich der geplanten Ableitung für das neue E-Werk steht, hatte die Landesregierung nur unter Einhaltung strenger Auflagen und Ausgleichsmaßnahmen genehmigt: Die Gemeinde verpflichtete sich, den Abschnitt der oberen Aglsfälle, die Burkhardklamm und ein Teilstück der Achenrainschlucht unter Schutz zu stellen und diese Abschnitte als Naturdenkmal ausweisen, „um sie vor größeren Eingriffen zu schützen“. 2005, knappe vier Jahre nach der Unterschutzstellung, ließ die Gemeinde diesen Passus bei der Überarbeitung des Landschaftsplanes aber wieder ändern, zumal dies auch private Grundbesitzer wünschten. Letztendlich fügte das Land im Landschaftsplan den Satz ein, dass für die hydroelektrische Nutzung als auch für Schutzverbauungen des Fernerbaches in der Achenrainschlucht kein grundsätzliches Verbot gilt.
Für SOS Achenrainschlucht bedeutet dies einen unverständlichen Zickzack-Kurs der Gemeinde. Hat sie etwa schon vor zehn Jahren mit dem Gedanken gespielt, in der Achenrainschlucht dennoch ein zweites E-Werk zu bauen? Welchen Wert hat der Status „Naturdenkmal“ überhaupt noch? Naturdenkmäler zu beschädigen oder zu beeinträchtigen, ist nach wie vor verboten. „Trotzdem zweier Wasserfassungen auf kurzer Distanz am Fernerbach zu befürworten, ist für alle Umweltfreunde harter Tobak. Denn eines ist klar: Die großartigen Wasserfälle zwischen Ridnaun und Hofmannsteg wird es nach dem E-Werk-Bau nicht mehr geben.“
Bürgermeister Helfer sieht dies freilich anders: „Die Gemeinde hat ihre Hausaufgaben sehr wohl gemacht.“ Nachdem auf Landesebene der Beschluss zur Unterschutzstellung nicht weiter betrieben wurde, sei es bei der Überarbeitung des Landschaftsplanes zu den neuen Bestimmungen gekommen. „Es wird doch legitim sein, dass sich eine Gemeindeverwaltung dafür einsetzt, eine solche Option offen zu lassen, um ihre Interessen im Sinne einer umweltfreundlichen Energiepolitik zu sichern“, so Helfer.
Schließlich hätten sich laut einer Umfrage 80 Prozent der Bürger dafür ausgesprochen, dass die Gemeinde Wasserkraft nutzen soll. Die Fragebögen waren vor drei Jahren verteilt worden. 30 Prozent haben geantwortet. „Ein durchaus repräsentatives Ergebnis“, findet Helfer.
Für SOS Achenrainschlucht ist es das nicht. Die Initiative bemängelt, dass die Briefe nur an die Familienoberhäupter zugestellt wurden. Zudem seien die Fragen so formuliert gewesen, dass die Antworten positiv ausfallen mussten. Die Bürger, die sich für das E-Werk aussprechen, würden ihre Heimat lieben, sagt Helfer. Sie seien keine Umweltzerstörer und wollen auch, dass alle Umweltauflagen eingehalten werden.
Auch die Touristiker, die in ihren Prospekten die wilden naturbelassenen Schluchten bewerben, scheinen den Eingriff in die Natur locker zu nehmen. „Die touristische Attraktivität der Achenrainschlucht hält sich im Vergleich zur Gilfenklamm und zur Burkhardklamm wohl in Grenzen“, so der Geschäftsführer des Tourismusvereins, Thomas Gschließer. Auch die Wasserfassung am Eingang zur Burkhardklamm störe durch die gute Anpassung das Landschaftsbild nicht.
Und Bürgermeister Sebastian Helfer verweist darauf, dass sich bei der Gemeinderatssitzung im Oktober niemand gegen das neue E-Werk ausgesprochen habe. Es gebe rigorose Restwasserbestimmungen und nur während der Bauphase seien sichtbare Eingriffe zu sehen, die sich aber auf den Bau der Fassung und des Entsanders am Eingang der Schlucht und den Bau einer Druckleitung am Stollenausgang bis zur Zentrale mit Rückgabekanal reduzieren lassen. Gebaut werden soll von den drei eingereichten Projekt jenes der Rienz Energie GmbH, einer Tochtergesellschaft der SEL (Erker 11/10). Von ihr erwartet sich die Gemeinde eine Beteiligung von mindestens 50 Prozent, was der Gemeinde Einnahmen von rund einer Million Euro im Jahr bescheren würde. Die Wahrscheinlichkeit, eine solche Beteiligung tatsächlich zu erhalten, liegt laut Helfer bei 50:50.
SOS Achenainschlucht die Ratschinger weiterhin „sensibilisieren“ stellt eine Grundsatzfrage: Soll die Natur wirklich für Geld verkauft werden? Die Denkweise des Landes kann sie schon lange nicht mehr verstehen. Ein SOSler sagt: „Einerseits werden im Rahmen der Flussraumagenda „Oberer Eisack“ 2,8 Millionen Euro investiert, um den Mareiter Bach naturnah zu gestalten und den Lebensraum Wildbach aufzuwerten. Und wenige Kilometer oberhalb davon wird zugesehen, dass die schönsten naturgegebenen Abschnitte zerstört werden. Gegensätzlicher können Politiker nicht handeln.“

rb

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