Arnold Tribus: Die neuen Hutterer & Kommentar

Leitartikel von Arnold Tribus, Neue Südtiroler Tageszeitung 3./4./ März 2012

Die Gsieser haben in einer Volksabstimmung klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie von einem neuen Umsetzer nichts wissen wollten, auch wenn Handy und Internet nicht immer ganz einwandfrei funktionierten. 62 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimmen ab, was beweist, dass die ganze Debatte um das Null-Quorum ein Quatsch ist. Wenn ein Thema den Leuten unter dem Nagel brennt, gehen sie auch zur Abstimmung, wenn sich hinter Volksbefragungen aber nur die Interessen einer Minderheit verstecken, die mit dem Null – Quorum mehrheitsfähig werden will, dann ist das politischer Betrug. Die in Gsies getroffene Entscheidung gegen einen Umsetzer ist schlicht und ergreifend revolutionär, sie bedeutet eine Trendwende: Ein Dorf entscheidet sich gegen den Fortschritt, gegen das, was heute als Standard gilt, dass man nämlich rund um die Uhr immer und überall fernmündlich erreichbar sein will. Auch wer im Klo sitzt, darf ja nicht verpassen, dass wer anruft, um die bewegende Frage zu stellen: ,,Hoi !  Nocher? Was tuasch? Allora?“ Man könnte den Anschluss ans Leben verpassen, wäre man nicht allerorts erreichbar. Gsies setzte da andere Maßstäbe und entschied sich gegen den Fortschritt und für die Gesundheit. Denn die Gegner des zweiten Umsetzers gaben rein  gesundheitliche Gründe an. Man wisse, dass die große Strahlenbelastung, der die Bevölkerung ausgesetzt sei, schwere Schäden für die Gesundheit berge. Man wusste, dass im Dorf gleich mehrere Einwohner, die im Umkreis des Umsetzers gewohnt hätten, an Krebs erkrankt  und dann auch gestorben seien. Das war also der Grund, warum sich ein Dorf der technologischen Aufrüstung verweigert. Gesundheit vor Fortschritt! Das ist wohl eine revolutionäre Entscheidung, die ihresgleichen sucht, und ich bin ja gespannt, ob sie im Land Nachahmer findet. Wer weiß, ob die Basisdemokraten diese gute Botschaft nicht weitertragen wollen, in andere Gemeinden, oder die Grünen,  ,, weniger ist mehr“, war doch ein von Alexander Langer geprägter Slogan. Nun bin ich mir aber nicht sicher, ob man sich einem Phänomen in die Quere legt, das unaufhaltsam ist. Ich weiß nicht, ob es sich da um eine esoterische Schrulle handelt, es gibt da in der ganzen Strahlengeschichte zwei Schulen oder – sagen wir besser – zwei Kirchen, die einen dramatisieren, die anderen bagatellisieren. Wer Recht hat, weiß ich nicht. Aber ich höre, man will ja das strahlenfreie Dorf auch touristisch vermarkten. Südtirol als esoterische Insel der Gesundheit. Und weil wir schon dabei sind, wird man dann auch den Flughafen eliminieren wollen, der strahlt ja auch, also weg damit, das Volk will ihn nicht laut einer Umfrage des Dachverbandes, und ich bin gespannt, wann eine andere Umfrage der Handelskammer folgt, die genau das Gegenteil beweist. Und dann wird man den Brennerbasistunnel verhindern wollen, hoffentlich nicht mit Gewaltausbrüchen wie denen im Susa -Tal.  Freilich, es gibt immer mehr Leute, die sich dem Fortschritt verweigern, die am liebsten über das Land eine Käseglocke stülpten, um nicht zu sehr von den bösen Kräften und Mächten heimgesucht zu werden. Weg mit dem Brennerbasistunnel, weg  mit der Autobahn, die ja stinkt und mit ihrem Lärm belästigt! Wie wäre es schön, wenn die Gäste mit Rischkas durch das Land kutschiert würden oder mit dem Flirtzug, Frage ist nur, wer die Rischkas treten würde, wohl die Einwanderer, aber die wollen wir ja nicht. Sollen wir uns abkoppeln und als kleine Alpenprovinz unser Süppchen kochen? Wie die Hutterer, die ja ihren Ursprung haben? Das wäre die Idee, das wäre ganz was Neues und würde viele traumatisierte Wohlstandsbürger ins Land bringen, keine Telefone, keine Fernseher, selbstgewebte Kleider, alle in Grau, Weiß und Schwarz, ach, wie idyllisch wäre dieses Südtirol: rückwärtsgewandt, wunderbar reaktionär und sehr gemütlich.

Dieser Beitrag wurde unter Kommentare abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort auf Arnold Tribus: Die neuen Hutterer & Kommentar

  1. forum sagt:

    Wer also nicht begeistert für jeden Schwachsinn ist, der als „Fortschritt“ (oder noch schlimmer: „Innovation!“) verkauft wird, ist ein weltfremder Nostalgiker und möchte am liebsten ins Mittelalter zurück. Das ist natürlich die bequemste Methode, sich auch den handfestesten Argumenten zu verweigern. In Gsies wird man in Zukunft auch ohne die zweite Antenne mobil telefonieren können. Aber ob man den ganzen Datenmüll unbedingt durch die Luft blasen muss, wenn man ihn auch durch Kabel schicken kann, das ist die Frage, die man in Gsies mit einem klaren Nein beantwortet hat.
    Und zum Quorum: Herrn Tribus scheint nicht bekannt zu sein, dass es so etwas wie Boykott und verschiedene Druckmittel seitens einflussreicher Gruppen gibt, um Leute daran zu hindern, sich an einer Volksbefragung zu beteiligen, die besagten Gruppen nicht gefällt. Die über 60% Stimmbeteiligung diesmal in Gsies beweisen, dass es in diesem Fall keine solchen Manöver gegeben hat, aber mit Sicherheit nicht, dass das 40%-Quorum gerechtfertigt ist.
    Ein hohes Quorum verletzt auf jeden Fall das Wahlgeheimnis und verstößt damit gegen elementare, verfassungsmäßige politische Rechte. Ist das so schwer zu verstehen?

    Hp Niederkofler