TFA: Schreiben An Pat Cox – „Pay it or lose it“

Innsbruck, 11. Februar 2012
Brennerbasistunnel – „If you want this tunnel, pay it or lose it“

Sehr geehrter Herr Koordinator,
Sie wurden in verschiedenen Medien zum wiederholten Mal mit folgender Aussage an die Republik Österreich zur Mitfinanzierung des EU-Projekts „Eisenbahnachse Berlin-Verona/Mailand-Bologna-Neapel-Messina-Palermo“ im Teilbereich Brennerbasistunnel wie folgt zitiert: „If you don’t use it, you will lose it“.

Ohne Sie beleidigen zu wollen, halten wir dies als Aussage eines „arroganten, schnöselhaften EU-Koordinators“ auf der einen Seite und als „strikt abzulehnenden Erpressungs- bzw. Nötigungsversuch an der Republik Österreich“ auf der anderen Seite. Insbesondere deshalb, weil Sie selbst weit besser als wir wissen sollten, dass es vor allem die europäischen Institutionen wie EU-Rat, EU-Parlament, EU-Kommission, Mitgliedstaaten und Nachbarländer sind, die dem Brennerbasistunnel die Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit, Rechtmäßigkeit und vor allem Zweckmäßigkeit durch jahrzehntelange Säumigkeit in einer längst überfälligen Änderung verkehrs- und finanzpolitischer Rahmenbedingungen entziehen.

Zum unmittelbaren gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schaden entlang der Brennerstrecke von Rosenheim – Verona im Rahmengebiet des Übereinkommens zum Schutz der Alpen, der Alpenkonvention (ABl. 1996, L 61), die schon Generalanwalt Francis G. Jacobs in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C-112/00 am 11. Juli 2002 (!) deutlich erwähnt hat. Es wird ebenfalls vorausgesetzt, dass Ihnen bekannt ist, dass der größte Teil des Nordtiroler Zentralraumes seit 1. Oktober 2002 auf Grundlage der europäischen Luftreinhaltegüterichtlinien (1999/30/EG) zum größten Luftsanierungsgebiet des Binnenmarktes ausgerufen werden musste und sich schwere Atemgifte wie „ein bösartiges Krebsgeschwür ausbreiten konnten“ – dank der Untätigkeit vor allem der angeführten europäischen Institutionen. Ein erheblicher Teil der Luftschadstoffe ist direkt dem Transitverkehr zuzurechnen. Auch das wird vorausgesetzt und lediglich auf das Urteil des EuGH vom 21. Dezember 2011, Rechtssache C-28/09, verwiesen.

Wir fassen daher zusammen:

1) Der EuGH (Rechtssache C-28/09) hat am 21. Dezember 2011 das bis dahin seit mehreren Jahren bestehende sektorale Lkw-Fahrverbot „zum Schutz der Bevölkerung und der Wirtschaftsbetriebe“ entlang der A12 Inntalautobahn aufgehoben, obwohl dieses Lkw-Fahrverbot die Freiheit des Warenverkehrs in keiner Weise tangiert hat. Schließlich gibt es keine einzige Bestimmung im Landes, Bundes- oder Europarecht, die festhält, dass der internationale Lkw-Güterverkehr unbedingt über den Brennerpass geführt werden muss. Durch ein Gebirgsland, in welchem auf Grund der besonderen Topographie nur 11,9 % der gesamten Landesfläche besiedel- und bewirtschaftbar sind, wovon bereits rund die Hälfte für die existenziellen Erfordernisse der seit Jahrtausenden ansässigen Bevölkerung verbaut ist. Im Gegenteil, der EuGH hat in seiner Güterabwägung Art. 36 des Lissabon-Vertrages nicht entsprechend gewürdigt, der die Freiheit des Warenverkehrs dort zu Recht einschränkt, wo gesundheitliche und wirtschaftliche Schäden vorhanden sind.

2) Die EU-Kommission hat im März 2011 ihr Weißbuch Verkehr: „Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem“ veröffentlicht. Zusammengefasst bedeutet dieses Weißbuch einen Rückschritt in allen Bereichen, die der Eisenbahn einen Gleichstand im Wettbewerb mit der Straße geben können und wird es zweifelsfrei dazu beitragen, dass der Güterverkehr wieder „von der Schiene auf die Straße“ zurückverlagert wird.

3) Seit Jänner 2012 sind auf verschiedenen Teststrecken nun in der Bundesrepublik Deutschland bereits die Gigaliner im Einsatz – auch das ein mehr als deutliches Zeichen, dass der Güterverkehr auf der Schiene weiter zurückgedrängt und mit unlauteren Mitteln konkurriert werden soll.

4) Ebenso müssen wir extreme Säumigkeit in Bezug auf „Faire und effiziente Kosten im Verkehr“ feststellen (vgl. das entsprechende Grünbuch von EU-Kommissar Neil Kinnock, Dez 1995). Seit 1995 herrscht bei realer Betrachtung absoluter Stillstand im gesamten Bereich „Wegekostenrichtlinie“, wenn man von einigen „Placebo-Maßnahmen“ absieht. Durch diese Säumigkeit wird insbesondere das Verschieben von Produktionen samt Arbeitsplätzen im nicht harmonisierten Binnenmarkt ebenso forciert wie das Verlagern in den globalen Markt. Überall dort hin, wo gerade mit „Dumpingpreisen die menschliche Arbeitskraft am stärksten geplündert“ oder „unwiederbringliche Ressourcen und Rohstoffe kostenlos zerstört werden können“ – der „hochsubventionierte europäische Straßengütertransit als intensiver Gesundheits- und Arbeitsplatzkiller“ auf dem „betrugsanfälligsten Bereich des Binnenmarktes“, dem TEN-Netz (Mario Monti u. a.).

5) Zuletzt verweisen wir noch darauf, dass der Brennerbasistunnel bis heute weder über ein rechtsgültig abgeschlossenes UVP-Verfahren verfügt noch die Arbeiten für den Erkundungs- und Probestollen abgeschlossen sind. Ein abgeschlossenes UVP-Verfahren ist aber die Voraussetzung für die „Rechtmäßigkeit“ eines derartigen Vorhabens und abgeschlossene Erkundungs- und Probestollen sind Voraussetzung dafür, dass überhaupt einmal eine vernünftige Kostenschätzung und -ermittlung durchgeführt werden kann. In Zeiten der „leeren Staatskassen“ ist es grob verantwortungslos, auf Grund all dieser fehlenden Voraussetzungen immer wieder von der Republik Österreich in „erpresserischer Art und Weise“ – so empfinden wir Ihre mehr als „arrogante Einmischung in österreichische Finanzierungen durch den Steuerzahler“ – Milliarden für einen Brennerbasistunnel zu verlangen. Auch und vor allem deshalb, weil genau die EU-Institutionen, die Sie zum EU-Koordinator bestellt haben, dafür die volle Verantwortung dafür tragen, dass dem Projekt die Zielsetzung und die Zweckmäßigkeit – die „Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene“ – entzogen wird.

Wir nehmen zur Kenntnis, dass Sie genauso wie eine kleine interessierte Klientel an internationalen Bau- und Bankenkonzernen sehr stark an diesem interessanten Strich auf der Europakarte von Berlin bis Palermo festhalten und die in den letzten Jahrzehnten erfolgten verkehrs- und finanzpolitischen Veränderungen im Zusammenhang mit der Realisierung eines zwar liberalisierten, nicht aber harmonisierten Binnenmarktes verdrängen.

Daher schlagen wir vor, dass Sie Ihre ganze Kraft, Ihre ganze Motivation, Ihre ganze Kompetenz und Ihre persönliche Überzeugung dafür verwenden, dass dieses EU-Projekt eben auch von der EU bezahlt wird:

„If you want this tunnel, pay it or lose it“.

Wir aber, sehr geehrter Herr Koordinator, müssen uns nach bereits 3421 Tagen (!) Wartezeit im größten Luftsanierungsgebiet des Binnenmarktes mit bereits bis zu 150-fachen Überschreitung des für die menschliche Gesundheit festgelegten N02-Grenzwertes darum kümmern, dem Grundrecht auf Gesundheit zum Durchbruch zu verhelfen, das insbesondere von den EU-Institutionen mit einem Festhalten an der gesundheits- und wirtschaftsfeindlichen Freiheit des Warenverkehrs Tag für Tag von „schweren Lastern überrollt wird“. Dazu legen wir Ihnen zur besseren Verdeutlichung zwei Grafiken bei, die Ihnen genau das Bild vermitteln sollen, welches Ihnen augenscheinlich bisher fehlt.
Gerne, sehr geehrter Herr Koordinator, treten wir mit Ihnen in eine Diskussion ein, um über all das zu reden, was Voraussetzung für eine allfällige „Mitfinanzierung“ der Republik Österreich an diesem EU-Projekt sein muss. Derzeit sehen wir allein auf Grund der notwendigen Budgetsanierung keine Möglichkeit, Milliarden € in ein Projekt zu investieren, welches der gesamten Brennerregion keine Entlastung eines bereits seit mehr als 25 Jahren bestehenden Problems bringt.

Wer immer als „Bau“partner für dieses Projekt auftritt – sei es die Europäische Union oder sei es die Republik Italien – muss auch bereit sein, das zu erfüllen, was die österreichische Bundesregierung in ihrem XXIV. Regierungsprogramm vorgegeben hat:
Einen akzeptablen Kosten- und Realisierungsplan (nach Abschluss der Arbeiten an dien Erkundungs- und Probestollen) sowie eine Vereinbarung über die notwendigen verkehrspolitischen Rahmenbedingungen mit den betroffenen Projektpartnern und Regionen getroffen werden kann.

Dies sehen wir als Grundvoraussetzung und daher appellieren an Sie, sich von derartigen Aussagen zu distanzieren und auf europäischer Ebene einen wesentlichen Beitrag zu leisten, damit diese unverzichtbaren Voraussetzungen geschaffen werden – oder dieses Projekt, welches unter den heute gegebenen Voraussetzungen zu keiner Reduktion der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schäden entlang der Gesamtstrecke von Rosenheim bis Verona führen kann, aus Mitteln der EU, der Republik Italien oder anderer Interessierter selbst zu finanzieren.

Mit freundlichen Grüßen verbleibt für das Transitforum Austria-Tirol
Ihr LAbg. Fritz Gurgiser, Obmann

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