Aktion Heimat. Zur Erinnerung: Institut für Regionalentwicklung zu Raumordnung bzw. Ausverkauf der Heimat (2008)

Der Ausverkauf der Heimat: zwischen Populismus und raumordnerischer Herausforderung – Erfahrung in Südtirol
Flavio V. Ruffini & Thomas Streifeneder
Institut für Regionalentwicklung und Standortmanagement, Europäische Akademie Bozen

Die Ausgangssituation

Südtirol erstreckt sich südlich des Alpenhauptkammes über 7400,4 km2 an der Schnittstelle zwischen deutschem und italienischem Kulturraum. Es weist alle Merkmale einer Gebirgsregion auf: rd. 86 % der Fläche liegen über 1.000 m ü. NN und lediglich 8,3 % der Gesamtfläche sind als Dauersiedlungsraum geeignet (ASTAT 1999). Auf diesen Raum konzentriert sich der größte Teil der Bevölkerung, der Wertschöpfung und des täglichen Lebens. 2006 lebten in Südtirol 487.673 Menschen, die Siedlungsdichte betrug 796 Ew. je km2 Dauersiedlungsfläche. Die Fläche ist der Minimumfaktor jeglicher Entwicklung im Land.
Südtirol übt als Lebens- und Erholungsraum überregional eine hohe Anziehungskraft aus. Im Jahr 2007 verzeichnete der Tourismus einen Zuwachs von 3,4 % und mit 27,31 Mio. Nächtigungen ein neues Rekordjahr (WIFO 2008). Auch als Wirtschaftsraum ist das Land sehr attraktiv. Das Bruttoinlandsprodukt lag während den letzten Jahren kontinuierlich über dem gesamtsstaatlichen Niveau (2007: 2,7 %), das Bruttosozialprodukt je Ew. zählt zu den höchsten im Alpenbogen und die Arbeitslosenrate liegt seit Jahren auf einem sehr tiefen Niveau (2007: 2,6 %).

Die Verantwortung für die Raumordnung liegt in den eigenen Händen

1972 gingen die Autonomen Gesetzgebungsbefugnisse von der Autonomen Region Trentino-Südtirol auf die beiden Provinzen über. Seit dieser Zeit besitzt das Land Südtirol primäre Gesetzgebungskompetenz in Bereichen, die für die räumliche Entwicklung von besonderem Interesse sind: Raumordnung, der Natur- und Landschaftsschutz, die Land- und Forstwirtschaft, Wohnbau, Straßenwesen usw. Unter Beachtung der italienischen Verfassung, der europäischen und der internationalen Verpflichtungen darf das Land hierbei autonome Rechtsnormen erlassen.
Die Südtiroler Raumordnung baut auf das Landesgesetz LG Nr. 13 vom 11.08.1997, novelliert durch das Landesgesetz Nr. 2 vom 02.07.2001 auf. Das Gesetz sieht zwei Planebenen vor. Im Bereich der Landesplanung obliegt die Ausarbeitung des landesweit gültigen Landesentwicklungs- und Raumordnungsplanes (LEROP) und den dazugehörenden Fachplänen. Der LEROP beschreibt übergeordnete, übergemeindliche und umfassende Prinzipien und Strategien zur Entwicklung des Landes (Art. 5). Die Fachpläne haben ihrerseits die Funktion, die Grundsätze aus dem LEROP weiter zu präzisieren und landesweit eine Grundorientierung in strategisch wichtigen Bereichen vorzunehmen (Art. 11). Im Kompetenzbereich der Gemeinden liegt die Bauleitplanung (Art. 14).

Nicht-ständig bewohnte Wohnungen: zwischen volkstumspolitischen Populismus und raumplanerischen Problem

Die Zunahme nicht-ständig bewohnter Wohnungen stellt auch in Südtirol eine große Herausforderung. Vor dem Hintergrund der vorhandenen Bodenknappheit und des angespannten Wohnungsmarktes gilt es diese Entwicklung mit Hilfe geeigneter Maßnahmen zu lenken. Die mit dem Zweitwohnungsbau für touristische Zwecke zusammenhängenden Probleme sind seit langem bekannt: urbane Ödnis, Wohnungsmarkt, während eines großen Zeitraumes im Jahr ungenügend ausgelastete und Versorgungs- und Entsorgungsinfrastrukturen usw. (Krippendorf 1975).
Nicht selten wird das Thema der Zweitwohnungsproblematik auch für volkstumspolitische Zwecke missbraucht und stehen Ängste vor Überfremdung und dem Zuzug von Außen im Vordergrund.
Dabei wäre gerade in dieser Diskussion ein hohes Maß an problembezogener Sachlichkeit wichtig.

Die Entwicklung in Südtirol

In Südtirol ist der Anteil nicht-ständig bewohnter Wohnungen am gesamten Wohnungsbestand seit den 1960er Jahren kontinuierlich gewachsen (Abb. 1). Wuchs der Anteil zwischen 1960 (5,6%) und 1980 (12,7%) noch besonders stark, so pendelte sich dieser Wert seit 1990 in etwa auf einem konstanten Niveau ein (2001: 13,1 %). 2001 galten in Südtirol 26.047 der insgesamt 198.078 Wohneinheiten als nicht-ständig bewohnte Wohnungen (2001) (ASTAT 2005). Von den insgesamt 116 Südtiroler Gemeinden weisen 35 einen Anteil nicht-ständig bewohnter Wohnungen von über 20 % auf.

Abb. 1: Anteil nicht-ständig bewohnter Wohnungen am Gesamtwohnungsbestand in Südtirol seit 1961
(ASTAT 1991, 2005).

Der Anteil nicht-ständig bewohnter Wohnungen erreicht besonders in der Dolomitenregion hohe Werte: Welschnofen 54,9 %, Abtei 45,8 %, St. Christina 39,5 %, Corvara 39,4 %, Enneberg 37,1 %, Wolkenstein 36,8 %, Altrei 36,1 %, Kastelruth 34,2% St. Ulrich, 27,2 % und Innichen 26,9 %. Auch für Einheimische traditionelle Sommerfrischstandorte weisen relevante Werte auf. Zu erwähnen sind dabei die Gemeinden Hafling bei Meran (53,8 %) und Ritten oberhalb von Bozen (28,1 %).

Abb. 2: Zweitwohnungen für touristische Zwecke nach Herkunftsländern der Besitzer (ASTAT 2007).

Betrachtet man die Zweckbestimmung nicht-ständig bewohnter Wohnungen wird jedoch auch deutlich, dass nur rund 45 % dieser Zweitwohnungen für touristische Zwecke genutzt werden (ASTAT 2007). 1991 betrug der Anteil touristisch genutzter Zweitwohnungen am Gesamtbestand nicht-ständig bewohnter Wohnungen noch 49 %.
Die touristisch genutzten Zweitwohnungen wurden 2006 auf insgesamt 10.526 geschätzt. Ihr Anteil am Gesamtwohnungsbestand lässt sich damit südtirolweit mit etwa 5,0 % (1971: 3,6) angeben. Dieser Wert liegt noch immer deutlich über den im Landesraumordnungsprogramm 1981 angestrebten Wert von max. 3 % (Autonome Provinz Bozen 1973). 78,1% der touristischen Zweitwohnungen waren im Besitz italienischer Staatsbürger. Rund 1/3 davon hat ihren ständigen Wohnsitz in Südtirol (ASTAT 2007) (Abb. 2).

Landwirtschaftliche Nutzflächen

In Südtirol bestehen keine Einschränkungen im Bezug auf die Herkunft von Personen für den Erwerb landwirtschaftlichen Grunds. Grundsätzlich ist es jedem erlaubt, landwirtschaftliche Nutzfläche anzukaufen. Zu beachten sind jedoch einige Rahmenbedingungen, die für In- und Ausländer gleichermaßen gelten. Bei „geschlossenen Höfen“ muss der gesamte Hof inklusive Hofstelle und Wirtschaftsgebäude angekauft werden. Landwirtschaftliche Gebäude eines „geschlossenen Hofes“ können nur dann ohne landwirtschaftliche Nutzfläche verkauft werden, wenn die gesetzlich vorgesehene Höfekommission zustimmt und mind. 1000 m3 Gebäudekubatur am Hof verbleiben. Der „geschlossene Hof“ ist eine gesetzliche Regelung, welche im Tiroler Raum lange Tradition aufweist und vermeiden soll, dass landwirtschaftliche Betriebe einer sukzessiven Zerstückelung unterliegen und damit ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit verlieren. Der Anteil der geschlossenen Höfe liegt in Südtirol unter 50 % an der Gesamtanzahl der Betriebe (2000: 26.559) (ASTAT 2002). Landwirten und landwirtschaftlichen Gesellschaften werden beim Erwerb landwirtschaftlicher Flächen steuerliche Vorteile zugestanden (Register-, Hypotheken- und Katastersteuer).

Ausverkauf der Heimat: welche Maßnahmen?

Bereits im Jahr 1972 wurde im Landesraumordnungsgesetz die Konventionierung von Baumasse vorgesehen. Unter einer Konventionierung der Baumasse versteht man eine Vereinbarung zwischen Gemeinde und Bauherrn, welche dem Bauherrn gezielte Auflage für die Nutzung der zu bauenden Wohnkubaturen macht. Bei der Ausweisung von Baugrund bleiben mind. 60 % der Baumasse dem konventionierten Wohnbau vorbehalten. Die restlichen 40 % sind für den freien Wohnbau.
Diese Wohnungen dürfen nicht als Luxuswohnungen ausgeführt werden und die Hälfte davon müssen eine Wohnfläche von mind. 65 m2 aufweisen (Art. 27). Die Wohnungen sind dem Eigenbedarf vorbehalten und dürfen nur von Personen besetzt werden, die zum Zeitpunkt der Ausstellung der Baukonzession ihren meldeamtlichen Wohnsitz in Südtirol haben bzw. nicht selbst oder deren Angehörige bereits Besitzer einer dem Bedarf angemessenen Wohnung sind (Art. 79).
In Besitz solchen Wohnraums dürfen ferner Personen kommen, die bis zum Zeitpunkt der Besetzung der Wohnung seit mindestens fünf Jahren ihren Arbeitsplatz in Südtirol haben. Konventionierte Wohnungen können von Arbeitern im Besitz eines regulären Arbeitsvertrages im Landesgebiet und mit regulärer Aufenthaltsgenehmigung für die Dauer des Arbeitsverhältnisses beansprucht werden. Damit wird dem europäischen Prinzip der Freizügigkeit für Arbeitnehmer entsprochen und es erfolgt keinerlei Diskriminierung zwischen Personen verschiedener Herkunft. Werden solche Wohnungen frei, so dürfen sie wieder nur von Berechtigten besetzt werden.
Mit der Novellierung der Raumordnung im Jahr 2007 wurde dieser Ansatz weiter verstärkt. Neu konventionierte Wohnungen behalten künftig für immer ihre Bindung (ursprünglich 20 Jahre) und bleiben damit für Ansässige als Erstwohnung reserviert. Die Löschung dieser Bindung ist nur unter bestimmten Bedingungen möglich.

Schlussfolgerungen und Ausblick

  • Die Diskussion um nicht-ständig bewohnter Wohnungen ist zu versachlichen. Nur dadurch ist es möglich Wirkungszusammenhänge zu erkennen und geeignete Lösungsstrategien zu finden. Der Zuzug von Außen ist nicht über die Zweitwohnungsdebatte zu regeln.
  • Die Zweitwohnungsentwicklung für touristische Zwecke in Südtirol ist insgesamt gut gelöst. In Gemeinden mit hohem Anteil nicht-ständig bewohnter Wohnungen unabhängig ob für touristische oder andere Zwecke sind jedoch gesonderte Lösungsstrategien zu finden.
  • Derzeit ist der Anteil Nicht-Südtiroler Landwirte sehr gering. Der freie Ankauf landwirtschaftlicher Flächen und Betriebe durch nicht in Südtirol ansässige Personen hat auch positive Seiten. Wichtig ist, dass die neuen Besitzer ihren Wohnsitz nach Südtirol verlegen, die Flächen entsprechend den Regeln einer qualitativ hochwertigen landwirtschaftlichen Praxis unter Berücksichtigung multifunktionaler Ziele weiterführen. Dies wird möglicherweise in Zukunft wichtig, sollte das Interesse der heimischen Landwirte an einer Weiterbewirtschaftung von Flächen abnehmen. Ohne Zweifel ist die Entwicklung jedoch zu beobachten.
  • Signifikante Probleme in der Südtiroler Raumordnung wie Zersiedelung, Erweiterungen von gastgewerblichen Einrichtungen außerhalb der Siedlungsbereiche, Einkaufszentren und der angeheizte Wohnungsmarkt haben nur teilweise mit dem Ausverkauf der Heimat zu tun. Dahinter stehen zumeist eigennützige Interessen der Einheimischen und fehlender politischer Wille.
  • Die Südtiroler Gemeinden sind als Planungsobjekte teilweise zu klein. In Talschaften wirken sich Entscheidungen am Talanfang auf das Talende aus (Verkehr). Das mitunter vorhandene Nahverhältnis zwischen politischen Entscheidungsträgern und Einzelinteressen erweist sich häufig negativ für raumordnerische Entscheidungen. Die gemeindeübergreifende Zusammenarbeit und das Bearbeiten nach funktionalen Einheiten sind zu forcieren.
  • Allein mit gesetzlichen Regelungen lassen sich raumordnerische Probleme nicht lösen. Vielmehr sind ein gemeinsames Wertesystem und eine neue Planungskultur notwendig. Nachhaltigkeit ist dabei als dauerhaft gültiges Handlungsprinzip in allen raumrelevanten Entscheidungen zu berücksichtigen und Raumordnung zunehmend als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrzunehmen.

Verwendete Literatur
ASTAT (LANDESINSTITUT FÜR STATISTIK) (1995): 13. Allgemeine Volkszählung 1991. Bozen, 342 S.
ASTAT (LANDESINSTITUT FÜR STATISTIK) (1999): Die Dauersiedlungsgebiete und potentiellen
Dauersiedlungsgebiete in Südtirol (Stand 1996). Autor: Benno Fleer. Bozen, 109 S. + Anhänge.
ASTAT (LANDESINSTITUT FÜR STATISTIK) (2002): 5. Landwirtschaftszählung 2000. Bozen, 232 S.
ASTAT (LANDESINSTITUT FÜR STATISTIK) (2005): 14. Allgemeine Volkszählung 2001 – Band 2:
Gebäude und Wohnungen. Bozen, 76 S.
ASTAT (LANDESINSTITUT FÜR STATISTIK) (2007): Zweitwohnungen für touristische Zwecke in Südtirol
2006. ASTAT-Info, Nr. 46, September2007, 12 S.
AUTONOME PROVINZ BOZEN – SÜDTIROL (1973): Südtirol 1981 – Vorbereitendes Dokument für ein
Landesentwicklungsprogramm. Bozen, 220 S.
KRIPPENDORF J. (1975): Die Landschaftsfresser : Tourismus und Erholungslandschaft – Verderben
oder Segen? Hallwag; Bern, Stuttgart, 160 S.
WIFO (WIRTSCHAFTSFORSCHUNGSINSTITUT DER HANDELSKAMMER BOZEN) (2008): Eckdaten der
Südtiroler Wirtschaft. Online im www unter URL: http://www.camcom.bz.it/de-DE/eckdaten-
501de.html. Entnommen am: 15.05.08.

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