Gutachten zum SVP-Gesetzentwurf „Bürgerbeteiligung“

Andreas Gross

PM Initiative für mehr Demokratie, 30.03.2012

Die Experten haben große Schwierigkeiten mit dem Gesetzentwurf der SVP zur Bürgerbeteiligung in Südtirol

Die Initiative für mehr Demokratie stellt das Gutachten des IRIE (Initiative and Referendum Institute Europe) mit Beurteilung der wichtigsten Elemente des SVP-Gesetzentwurfes vor

Im Vorfeld der Behandlung der zukünftigen Regelung der Direkten Demokratie im Landtag weist die Initiative für mehr Demokratie mit einem Gutachten auf die schwerwiegenden Mängel im Gesetzesvorschlag hin, den die SVP versucht den Südtiroler Bürgerinnen und Bürgern aufzuzwingen. Mit dem bei IRI-Europe / Marburg in Auftrag gegebenen Gutachten haben die in Europa namhaftesten Fachleute in Sachen Direkte Demokratie die Überprüfung des Gesetzentwurfes übergeben bekommen. Prof. Andreas Gross, Forschungsdirektor am IRI-Europe und Bruno Kaufmann, Direktor des IRI-Europe, haben den Gesetzesvorschlag Artikel für Artikel durchleuchtet und ihm durchaus auch fortschrittliche Ansätze gegenüber der geltenden Regelung bescheinigt, vor allem natürlich den Verzicht auf ein Beteiligungsquorum. „Diese Verbesserungen“, kommentieren die Autoren, „würden aber den Bürgerinnen und Bürgern teuer verkauft, weil sie aufgewogen werden mit einer ganzen Reihe von Regeln, die so restriktiv sind, dass die allermeisten Bürgerinnen und Bürger daran gehindert würden, Ihre Anliegen und Vorschläge den Institutionen und ihren MitbürgerInnen vorzulegen, so dass die Direkte Demokratie ihre Güte im Interesse der Gemeinschaft nicht entfalten kann und die Demokratie insgesamt darunter leidet. Es bleibt dann bei der Illusion der Bürger-Mitbestimmung, was für die Stimmung unter den Bürgerinnen und Bürger fatale Konsequenzen hat.”

Den gröbsten festgestellten Mangel sehen die Fachleute in nichts weniger als dem Fehlen der zwei wichtigsten Instrumente der Mitbestimmung: des Referendums und der unmittelbaren Volksinitiative als dem Recht sich in einer Volksabstimmung direkt an die Mitbürgerinnen und –bürger wenden zu können. Die Bürgerinnen und Bürger zu zwingen, aufgrund des Zwei-Stufen-Modells gleich zwei Unterschriftensammlungen hintereinander zu bewältigen und dazwischen mit langen Zeiten und Hindernissen konfrontiert zu sein, würde unweigerlich bedeuten, den Mitbestimmungswunsch zu entmutigen.

Unter den vielen negativen Aspekten wird im Gutachten auch die Unterschriftenhürde betont, die laut SVP für die Volksbefragung z.B. auf 26.000 Unterschriften angehoben werden sollte, ohne dass in einer Abstimmung ein verbindliches Ergebnis erzielt werden kann – eine von den Fachleuten als völlig abwegig bezeichnete Hürde, die zudem innerhalb von nur 60 Tagen bewältigt werden müßte. Derart hohe Hürden sind für den Mitbestimmungswunsch tödlich. Allgemein anerkannt sei, dass die Unterschriftenhürde nicht über 3% der Wahlberechtigten liegen darf. Im Gutachten wird in diesem Zusammenhang auch vor einer Überschätzung des Internet für die elektronische Unterschriftenleistung gewarnt.

Als besonders “abstossend und im internationalen Rechtsvergleich einzigartig und materiell elementar im Widerspruch zum direktdemokratischen Anspruch” bezeichnen die Fachleute den “Ausschluss der Bürgerschaft aus der Gestaltung ihrer Mitwirkungsform”. Zusammenfassend zählen Gross und Kaufmann sieben schwerwiegende Mängel in dem Gesetzeswerk der SVP auf:

  1. Das Referendum als Möglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger einer direkten Kontrolle überdie Entscheidungen der politischen Vertretung wird nicht eingeführt.
  2. Es fehlt auch die Volksinitiative mit dem Recht sich unmittelbar mit einem Vorschlag an alle Stimmberechtigten zu wenden.
  3. Die Unterschriftenhürden sind unbegründbar und kaum anwendbar hoch angesetzt.
  4. Die Unterschriftensammelzeiten sind unangemessen und nicht ausgewogen.
  5. Zu viele Gegenstände werden von der Bürgerbeteiligung und –mitbestimmung ausgeschlossen.
  6. Die Verfahren beinhalten verschiedene Möglichkeiten, Volksabstimmungen zu verhindern oder zu umgehen.
  7. Wenn mehrere Vorschläge (der Bürger und des Landtages) zum gleichen Gegenstand zur Abstimmung kommen, dann wird durch den Abstimmungsmodus die Beibehaltung des status quo bevorzugt.

“Deshalb sehen wir es als notwendig an,” kommen die Autoren zum Schluss, “dass der Landtag, den LGEBB neu beurteilt, wesentliche Ergänzungen vornimmt, einzelne Regelungen präzisiert, andere bürgerfreundlicher ausgestaltend zu verändern sucht und wiederum andere ganz fallen läßt. Damit kann der Landtag die Chancen erhöhen, in einer Referendumsabstimmung eine Mehrheit für ein Mitwirkungsgesetz zu finden, das sich als ein Segen für die Demokratie und das Wohl Südtirols erweist.”

IRI-Gutachten (PDF, 155 KB)

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