Grundsatzpapier Netzwerk für Partizipation

Grundsatzpapier für die Gestaltung eines Netzwerkes für möglichst gleiche Chancen der Mitbestimmung und Beteiligung aller in Südtirol lebenden Menschen, Dezember 2011

Partizipation gliedert sich in drei Ebenen: Information, Mitentscheidung, Mitgestaltung.

Partizipation betrifft alle unsere Lebensbereiche, sie verbindet Freiheit, Verantwortung und Kompetenz.

Partizipation ist politisch, d.h. sie prägt Gesellschaft und ist deshalb gesellschaftsrelevant; sie beginnt mit dem gegenseitigen Zuhören und der Bemühung um Verständigung; sie erfordert Zivilcourage.

Netzwerke sind die Hauptstrukturen der Natur. Sie bewirken Synergien, Entwicklung, rasche und transparente Information und Kommunikation.

Netzwerke bewirken Effizienz und Solidarität. Sie stärken die Schwachen, sie können ihnen Stimme geben, können Macht vermenschlichen und der Machtzentralisierung entgegenwirken.

Der Aufbau einer gesellschaftlichen Struktur für Partizipation im Netzwerk ist Ziel dieser Initiative. Sie stellt sich, unter anderem, die Aufgabe, die  Politik darin zu unterstützen Denkansätze und nachhaltige Lösungsvorschläge aus den realen Lebenswelten der Menschen aufzunehmen und ihre Umsetzung zu unterstützen.

Heute wird die reale Politik zu sehr hinter verschlossenen Türen gemacht. Dies führt oft zur Resignation der Basis und demotiviert vor allem die Jugend. Der einzelne Mensch fühlt sich überfordert, weil die bestehende parlamentarische Demokratie mit Erwartungen konfrontiert ist, die sie, ohne effiziente direkte Demokratie, nicht bewältigen kann.

Die Möglichkeit der Bürgerschaft, demokratisch auf diese Realität Einfluss  zu nehmen, ist beschränkt: wir wollen sie erweitern!

Die Möglichkeit der Bürgerschaft, sich mit Hilfe der Informationsmedien über die Realität zu verständigen, ist gefährdet, weil diese Medien zunehmend in den Händen von wirtschaftlichen und privaten Interessen liegen und von diesen gesteuert werden.

Die „parlamentarische Demokratie“ wurde als Instrument der Mitbestimmung und Kontrolle entwickelt sowie als Mittel der Förderung von Wohlstand und Wohlbefinden. Über den Wohlfahrtsstaat wurde überdies die Idee gerechter Teilhabe angestrebt; das zweite Bein der Demokratie jedoch, die „Direkte Demokratie,“ wurde vernachlässigt. Dies obwohl die Verfassungen „direkte Mitbestimmung der Bürger“ vorsehen. Auch wurde und wird zu wenig unternommen, um das selbstverantwortliche Denken und Handeln der Bürgerinnen und Bürger zu fördern.

Der wachsenden Diskrepanz zwischen arm und reich, insbesondere vom herrschenden Finanzsystem und der praktizierten Wirtschafts- und einer  Sozialpolitik verursacht, ist mit Einbeziehung und Engagement der Jugend energisch entgegenzuwirken.

Ein weiterer Hauptgrund für das allgemeine Unbehagen über künftige Entwicklungen  dürfte in einem gestörten, fremdbestimmten Verständnis von Menschenwürde und Selbstwert liegen, woraus Angst und damit Misstrauen erwachsen.

Wir besinnen uns auf die gemeinsame Geschichte:

Über Jahrhunderte hinweg war die Geschichte Tirols gekennzeichnet vom Ringen um eine Verfassung, die dem Land und seinen Menschen mehr politische Gestaltungsfreiheit und Eigenständigkeit ermöglichen sollte. Dieses Ringen führte schließlich zu einer respektablen Landesautonomie, die erweitert, dynamisch an die jeweiligen Zeitbedürfnisse angepasst und demokratisch umgesetzt werden kann und muss.

Seit den Fünfzigerjahren wurde vieles erreicht. Den politischen Akteuren aller Sprachgruppen, dem uneigennützigen Einsatz vieler in Vereinen organisierter Menschen, dem Einsatz Ungenannter gebührt dafür Dank und Anerkennung. Deshalb ist die Erfahrung der älteren Menschen als relevant für die Gestaltung der heutigen Lebensverhältnisse einzubeziehen.

Wir übernehmen Verantwortung:

Wer in einem Land lebt, in dem so viel „Milch und Honig fließt“, trägt über seine Grenzen hinweg Mitverantwortung für eine friedliche und menschenwürdige Weiterentwicklung der Gesellschaft. Dabei muss uns bewusst bleiben, dass Südtirol nur in einem europäischen Kontext Bestand und Entwicklungspotentiale haben kann, was eine europaweite Vernetzung nahe legt.

In diesem Sinne gilt es gesellschaftliche Kräfte zu unterstützen, die Lebensqualität für alle, einen nachhaltig respektvollen Umgang mit der Natur und mit dem sozialen Gefüge, Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern, und mehr Gemeinwohl-Orientierung als vorrangig zu werten und zu verbessern trachten. Ethnische Konsenspolitik, wechselseitige Integration mit Einwanderern und ganz generell die Begegnung der Kulturen werden als wertvolle Herausforderungen angenommen und angestrebt.

Die Lebenskraft einer Epoche zeigt sich nicht in ihrer Ernte, sondern in ihrer Aussaat:

Das wichtigste Ziel ist „ein gutes Leben für Alle“, das künftige Generationen und die Anerkennung des Eigenwertes der Natur einschließt.

Dazu gehören als Voraussetzung vorrangig:

  • gegenseitiger Respekt und Wertschätzung für die Verschiedenheiten, die sich in der Gesellschaft manifestieren. Sie sind eine Chance für eine friedvolle, gemeinsame Weiterentwicklung.
  • Verantwortung gegenüber unseren Nachkommen bedeutet, dass sie nicht weniger oder schlechtere Lebenschancen haben dürfen als die heutige Generation von Erwachsenen.

Keine nachhaltige Leistungskultur ohne Sozialkultur:

Die Grundlage der Sozialkultur ist gelebte Solidarität, sie gründet in der Würde eines jeden Menschen und strebt Teilhabegerechtigkeit an. Dies gilt nicht alleine für die politische Sphäre. Wie z.B. vom europäischen Sozialmodell vorgesehen, braucht es Mitwirkung, Partizipation und einen Abbau des Machtgefälles auch innerhalb der Betriebe und in der Arbeitswelt. Überdies sind eine menschengerechte Finanzwirtschaft und dazu eine gerechte Steuergesetzgebung anzustreben. Grundlage einer neuen Sozialkultur ist aber auch die Unterstützung innovativer, auf Partizipation beruhender Unternehmensformen und die Unterstützung regionaler Wirtschaftskreisläufe; die Stärkung der Familien (Lebensgemeinschaften allgemein) gehört ebenso dazu wie  die Festigung der Solidarität zwischen den Generationen und die Förderung der Integration von Migranten und Migrantinnen.

Die solidarische Absicherung existentieller Lebensrisiken, die Qualität sich ergänzender Vernetzung von Institutionen und bürgerlichem Engagement soll überdies prägendes Strukturmerkmal unseres Sozialsystems sein. Lebensbedrohende Armut darf es nicht geben.

Das Streben nach Gemeinwohl verlangt die Beteiligung der Bürger an erneuernden Initiativen und Kontrolle der politischen Machtausübung von unten. Es sind Formen direkter Demokratie zu entwickeln, die es den Bürgern erlauben, selbst die politische Initiative zu ergreifen oder die Entscheidungen der gewählten Vertreter einem Konsenstest zu unterwerfen. Im Wahlrecht sind neue Wege zu beschreiten, die den fähigen und fairen Bürger und Bürgerinnen über Vorwahlen, d.h. ohne Kandidatenvorgaben seitens der Parteizentralen, Zugang zu politischen Funktionen eröffnen und damit die Kompetenz der repräsentativen Gremien steigern. Auf allen Feldern brauchen wir Erneuerungsmöglichkeit von unten.

Sparen und effizienter Einsatz der vorhandenen Ressourcen, etwa als intelligente Verwaltung des Mangels, sind beim derzeitigen „immer mehr von Demselben“ wichtig, sie reichen aber nicht aus. Sparen allein bewirkt noch keine humane, nachhaltige Veränderung und kann politische Gestaltung nicht ersetzen.

Diese Initiative bemüht sich darum, parteiunabhängig, ein umfassendes Netzwerk aufzubauen, das Alternativen im Geiste der hier genannten Wertvorstellungen  ausarbeiten kann um so eine Trendwende zu unterstützen. Dazu sollte, im Sinne umfassender Demokratie, Macht weitgehend dezentralisiert und die politische Bedeutung der kommunalen und regionalen Entscheidungsträger gestärkt, d.h. Aufgaben im Sinne der Subsidiarität dorthin gegeben werden, wo mit den Maßnahmen gelebt werden soll/muss. Autoritärem Gehabe, der Übermacht der Parteien und der Konzentration von Macht in den Händen weniger sind angemessene Riegel vorzuschieben. Dem Wunsch nach einer großmächtigen Führerfigur ist eine bürgerfreundliche Regelung der direkten und repräsentativen Demokratie, mehr Beteiligung und Selbstorganisation der Zivilgesellschaft und der zukunftsweisende Führungsstil von Teamformen entgegenzusetzen.

Ziel ist eine humane Gesellschaft, in der:

  • selbst- und nicht fremdbestimmte Menschen die Gesellschaft gestalten, in der Menschen sich in gleichem Maße und zugleich als Individuen und als Zellen der Gemeinschaft verstehen, einer Gemeinschaft, die sich nicht als Summe von Individuen, sondern als lebendiger „Organismus“ begreift;
  • Authentizität und Verlässlichkeit sowie Verantwortung für sich selbst aufgewertet werden;
  • Teamarbeit auf allen Ebenen unterstützt wird;
  • die Fähigkeit zur Konfliktlösung und Friedenssicherung als gemeinsames Ziel angestrebt wird.

In Beachtung dieser Grundsätze wird ein öko-soziales, partei-ungebundenes Netzwerk von Menschen und Organisationen in einer möglichst bereits bestehenden genossenschaftlichen Struktur, mit den Namen NETZWERK FÜR PARTIZIPATION – Südtirol / RETE DI PARTECIPAZIONE – Alto Adige, angestrebt. Die Rechtsform der Genossenschaft gewährleistet umfassende Mitverantwortung und Partizipation, verfügt über klare Gesellschaftsregeln und ermöglicht beschränkte Haftung.

Ziel dieses Netzwerkes ist die Stärkung der Partizipation der Bürgerinnen und Bürger auf allen Ebenen und Bereichen und ihre konkrete Anwendung in Verbindung mit externen, ähnlichen Initiativen. Auszugehen ist dabei von der Ausarbeitung von Regeln zur Organisation des Gemeinwesens: diese bilden kein bloßes Leitbild, sondern die konkrete Vorlage einer Landessatzung als solidarischem Gesellschaftsvertrag, worin Grundrechte und Pflichten der Menschen, die Art und Weise der Ausübung demokratisch legitimierter politischer Macht, die Ordnung des Zusammenlebens, und die Beteiligung aller Bürger und Bürgerinnen an den Entscheidungsprozessen geregelt wären.

Zum Einstieg könnten Arbeitskreise folgende Schwerpunkte bearbeiten:

  1. Der Einzelne und die Gemeinschaft (Offenheit, Solidarität und Subsidiarität in Freiheit und Gerechtigkeit)
  2. Politische Autonomie und Demokratie (Landesverfassung)
  3. Arbeit, Kapital, Mitbestimmung und Grundsicherung
  4. Umwelt, Energie, Verkehr und Nachhaltigkeit (Menschsein und Technologie)
  5. Konfliktbewältigung und Friedenssicherung, Begegnung der Kulturen und Ethnien (Manifest 2019)
  6. Bildung und permanente Weiterbildung, Kreativität und Innovation, unabhängige Forschung
  7. Kinder, Jugend, Familien, Begegnung der Generationen, Chancengleichheit von Frau und Mann, Integration mit Mirgrantinnen  und Migranten.

Es geht darum, engagierte Bürgerinnen und Bürger zusammen zu bringen und wertvollen Ansätzen politisches Gewicht zu geben, die in diese Richtung weisen wollen. Nachhaltigkeit ist in allen Arbeitskreisen anzustreben, Sinn für das Machbare ist unerlässlich. Dabei sind Prioritäten zu setzen, deren Rangordnung im Dialog bestimmt wird.

In diesem Sinne geht es auch um die Präsenz einer vernehmbaren Stimme in der Südtiroler Gesellschaft; um Bildung und um die Unterstützung für junge Menschen, die sich im Sinne der erwähnten Ziele und Inhalte engagieren.

Das Netzwerk will, auf dem Hintergrund der hier grundgelegten Kriterien, die Politik in unserem Land kritisch verfolgen, gemeinsam bewerten und konstruktive Vorschläge und alternative Handlungsoptionen vorlegen.

Diesem Grundsatzpapier wird ein gemeinsam zu erarbeitendes Papier zur konkreten Gestaltung und Arbeitsweise der Organisation folgen.

Karl Trojer, Alberto Stenico, Waltraud Staudacher, Otto Saurer, Klaudia Resch, Werner Pramstrahler, Thomas Pichler, Stephan Lausch, Elisabeth Ladinser, Bernd Karner, Friedrich Hofer, Irene Heufler, Bruno Gotter, Peter Grünfelder, Martin Fischer, Sabina Frei, Elio Dell’Antonio, Cornelia Dell’Eva, Thomas Benedikter, Fabio Bonafè, Toni Auer, Mathias Abram

(Auf Wunsch von Toni Auer sind die Namen in umgekehrter alphabetischer Reihenfolge geordnet)

 

 

 

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