Angst vor Strahlen – TZ 28.02.2012

von Silke Hinterwaldner

Ein Tal schwimmt gegen den Strom: Gsies will keine neuen Handy -Umsetzer. Die Leute bleiben lieber gesund, als immer und überall erreichbar zu sein. Aber: Kann sich Gsies tatsächlich gegen den technologischen Fortschritt versperren und das touristisch vermarkten? Oder katapultiert das Tal sich zurück ins Mittelalter?

Strahlenfreie Oase. Gsies wehrt sich gegen neue Umsetzer. Das Tal bietet dem technologischen Fortschritt die Stirn: Anstatt überall erreichbar und ständig mit dem Internet verbunden zu sein, propagieren die Gsieser jetzt einen Tourismus ohne Strahlenbelastung. 

In Italien gibt es heute schon mehr Handys als Einwohner. Die Zahl derer, die nicht nur telefonieren, sondern mit dem Handy auch im Internet surfen wollen, steigt ständig. Telefon, Internet und Fernsehen sind Bereiche, die sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelt haben.

Diese Entwicklung sollte vor Gsies nicht halt machen. Aber jetzt hat ein Großteil der Talbewohner eine mutige Entscheidung getroffen: 62 Prozent der Einwohner wollen keinen neuen Umsetzer, auch wenn Handy oder Internet nicht immer ganz einwandfrei funktionieren. Dabei sind zwei Aspekte überraschend: Zum einen das große Interesse an diesem Thema; Gsies hatte kein Problem mit dem Beteiligungsquorum – obwohl die Wahllokale nur bis Sonntag um 14.00 Uhr geöffnet hielten. Und zum anderen freilich die große Angst vor der Strahlenbelastung: Die Angst um die Gesundheit ist stärker als das Verlangen nach technologischem Fortschritt. Gerd Oberfeld, österreischischer Baubiologe, hat die Gsieser überzeugt, dass es auch ohne neuen Sendemast geht.

Der Umsetzer in Pichl soll optimiert werden und über das Breitband soll in absehbarer Zeit schnelleres Internet geben.

Das reicht, haben die Gsieser beschlossen. Ulrike Bachmann und die Bürgerinitiative, die sich seit einem Jahr gegen einen neuen Umsetzer wehrt, fühlen sich nach der Bürgerbefragung bestärkt. ,, Das trägt bei zum Schutz unserer Gesundheit und Natur“, teilen sie mit, ,, dem Erhalt der Naturbelassenheit unseres Tales. Und es stellt ein zukünftiges Tourismuskonzept dar.“

Jetzt gilt es abzuwarten, welchen Weg das Tal einschlägt. Können die Gsieser den technologischen Fortschritt tatsächlich aufhalten und so zu einer Oase der Gesundheit werden? Immerhin: Mittlerweile rollt die vierte Generation der Handynutzer an. Das Land verhandelt über LTE (Long Term Evolution) – das System verlangt nach noch mehr Leistung.

,,Gsies muss sich der Konsequenzen bewusst sein“

Luigi Minach, Leiter der Umweltagentur, über das Veto der Gsieser, die gesundheitlichen Folgen von Strahlenbelastung und über die Ohnmacht der Gemeinden.

Tageszeitung: Herr Minach, in Gsies hat ein Großteil der Bevölkerung sich ganz klar gegen einen neuen Umsetzer ausgesprochen…

Luigi Minach: Ich begrüße es sehr, wenn sich ein ganzes Tal zu dieser Entscheidung durchringt. Die Frage bleibt aber: Wie lange hält Gsies das durch? Wir waren ständig am Laufenden darüber, was in Gsies passiert. Unser alternativer Standort wäre eine gute Lösung gewesen, weil die Strahlenbelastung niedrig bliebe. Dann hat der österreichische Baubiologe Gerd Oberfeld das Tal zur handyfreien Zone erklärt. Das kann durchaus touristisch ein interessantes Projekt sein. Freilich muss man sich der Konsequenzen bewusst sein.

Welchen alternativen Standort hatten Sie denn vorgeschlagen?

Außerhalb vom Dorf, wo die Strahlenbelastung für die Bevölkerung minimal bliebe. Wir hier in Südtirol sind ohnehin viel strenger, als es die staatlichen Kriterien vorsehen. Bei uns sind an öffentlichen Standorten drei Volt pro Meter als Grenzwert vorgesehen, der italienische Wert liegt bei sechs Volt pro Meter. Letzteres gilt für alle privaten Standorte, auch in Südtirol.

Lässt sich der technologische Fortschritt zumindest in Gsies aufhalten?

Für den gestressten Gast, der Erholung vom Alltag sucht, ist es sicherlich ein interessantes Angebot. Aber man darf die jüngeren Leute im Tal nicht vergessen; ich habe oft den Eindruck, dass ihnen der gesundheitliche Aspekt weniger wichtig ist als der technologische Fortschritt. Wir müssen auch an die Zukunft denken.

Wie gefährlich sind die Strahlen wirklich?

Wir müssen sicher sehr wachsam auf die Gesundheit schauen. Die Frequenzen ändern sich im Minutentakt. Das macht es sehr schwierig, eine wissenschaftlich korrekte Antwort zu geben. Die Weltgesundheitsorganisation hat hochfrequente Felder als mögliche Ursachen für Krebs erklärt. Es ist Vorsicht geboten, deshalb sind wir streng.
Folgendes Szenario: Wenn der Mobilfunkanbieter am Standort Gsies festhält, kann er einem privaten Grundbesitzer ein finanziell gutes Angebot machen. Wenn dieser darauf eingeht, kann sich die Gemeinde schlecht wehren. Ein negatives Gutachten ist dann wertlos. Wir müssen eine Überprüfung des Strahlenschutzes vornehmen, das betrifft aber nur die Einhaltung der Grenzwerte.

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