Focus.de: Ferien ohne Netz

Wie soll man sich entspannen, wenn es selbst im Urlaub ständig irgendwo piepst und klingelt? Schwierig. Daher lautet die Devise: Handy zu Hause lassen oder überwiegend abschalten. Wer diesen Schritt selbst nicht schafft, dem hilft das Funkloch. Einige Hotels und Urlaubsregionen werben sogar damit.

Eine Beruhigungs-SMS am Ankunftsort, eine Spaß-MMS von den plantschenden Kindern am Pool, ein kurzer Geschäftsanruf zwischen Buffet und Bungalow, eine Info-App als Helfer bei der Restaurantsuche: Handys sind für die meisten mittlerweile auch im Urlaub stete Begleiter, seit dem Aufkommen der Smartphones mit ihren schier unendlichen Anwendungen erst recht. Jeder will eben immer und überall erreichbar sein und dabei möglichst viele Dienste nutzen. Jeder? Nein, es formiert sich Widerstand, auch von Leuten, die die kleinen Alleskönner sonst über alles lieben. Manche schalten das Gerät immer öfter bewusst ab und verweigern sich so dem überhand nehmenden Diktat des permanenten Erreichbarseins. Ihre Erfahrung: Die echte Ferienzeit beginnt erst, wenn man „vom Netz“ und somit unerreichbar ist. Um dieses neue Freiheitsgefühl zu erlangen, bedarf es entweder einer Portion Selbstdisziplin oder – einfacher, weil eine gute Ausrede – eines Aufenthaltsortes im Funkloch.

Wer sich selbst von der modernen Kommunikation ausschließen will, der kann sich hierzu ein Bild auf der Homepage des Mobilfunkstandards GSM, der rund 800 Mobilfunkanbieter vereint, machen. Hier werden jährlich aktualisierte Karten zur globalen Netzabdeckung veröffentlicht. Da kann jeder sein ganz privates Funkloch für stressfrcie Ferien suchen, Elektrosmoggefährdete Zeitgenossen werden da besonders hellhörig.

Nun muss es ja nicht gleich das tiefste Outback Australiens, die Wildnis Kanadas oder die Antarktis sein. Manches Bergtal in den Alpen zählt ebenso zur handyfreicn Zone wie größere Regionen Islands oder versteckte Winkel im Bayerischen Wald, im Schwarzwald oder in Thüringen. Auf der Webseite www.kein-netz.de lässt sich – wenngleich der eigentliche Zweck des Dienstes freilich der ist, mobilfunktechnisch unterversorgte Regionen aufzuspüren und von ihrer Abgeschnittenheit zu erlösen – sogar gezielt nach deutschen Orten im Funkloch suchen.

Die wiederum nutzen diesen Umstand mitunter gezielt zur Werbung. Und machen die Not zur Tugend. Das Tourismus-Marketing Brandenburg etwa verweist explizit auf handyfreie Urlaubsmöglichkeiten, bei einer Eselwanderung oder Planwagentour zwischen Templin und Prenzlau etwa oder bei der „Bisch0fstour“ in der Prignitz, zwischen Wittstock und Plattenburg. Mit den Vorzügen eines Funklochs werben auch einige Unterkünfte, das Bad Birnbacher „Hofgut Hafnerleiten“ in Niederbayern zum Beispiel. „So sehr Sie sich auch anstrengen, Sie werden keinen Empfang bekommen“, versichert die Besitzerin Anja Horn. Und sieht diesen Umstand keineswegs als Nachteil für ihre Gäste, denn „manche Ehefrau oder auch Ehemann ist froh, dass das Handy vom Partner einmal nicht funktioniert und man selbst die volle Aufmerksamkeit genießt!“ Damit nicht genug: ln den romantischen Häuschen am und im (!) See sowie im Baum wurde auch auf Festnetztelefon und Fernseher verzichtet, sodass der Gast sich ganz auf sich und die Natur konzentrieren kann.

Ähnlich, wenn auch rustikaler, geht es im Vorarlberger Hotel „Bad Rothenbrunnen“ zu. Der Handyempfang im Gadental ist derart schwach, dass so gut wie niemand mohil telefoniert. Kein Grund zum Urlauhabbrechen, im Gegenteil. Besitzer Lorenz Bitsche stellt fest: „Unsere Gäste nehmen das Funkloch äußerst positiv auf.“ Was vielleicht auch daran liegt, dass sie in der Regel schon im Vorhinein von der digitalen Abgeschiedenheit wissen – oder mehr noch, sich sogar deshalb für das Gadental entscheiden. Und dann gibt es freilich noch den Weg, den das Tiroler Hotel „Edelweiss & Gurgl“ einschlägt. Trotz einwandfreien technischen Empfangs wird das Mobiltelefon dem Gast auf Wunsch an der Rezeption des Hauses ab- und in Verwahrung genommen. im Rahmen der „Offline-Woche“ solle er eben ungestört die Entschleunigung und die frische Bergluft genießen (dürfen).

JAN KÖNIG

„Focus“, November 2010

Dieser Beitrag wurde unter Artikel abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.