Leserbrief A. G. Hempel: Identitätsverlust

Der charakteristische Mittelpunkt von St.Peter im Villnösstal unten an der Talstraße bezieht seine Identität aus dem markaten hölzernen Vorbau des ehemaligen Gasthof ,,Zellen“ – einem städtebaulich einzigartigem Sonderfall ! – den Fassaden des alten Gasthofes, dessen anschließenden Gebäude und der den Platz abschließenden Kapelle. Dazu gekommen ist der architektonisch so gelungenen renovierte Gasthof Pitzok gegenüber. Derzeit ist diese schöne Dorfensemble bis auf den Gasthof Pitzok mausetot aber immer noch eindrucksvoll. Nun soll neu und mit vermehrter ,,Kubatur“ (dem Südtiroler Zauberwort!) gebaut werden. Nichts dagegen zu sagen, wenn die geschilderte Charakteristik des Ortseindrucks wenigstens in seinen Grundzügen erhalten bliebe: Erhalt des hölzernen Verandabaus, der Fassadenstrukturen und des dörflichen Maßstabes. Die im TZ – Beitrag vorgestellten neuen Fassaden entsprechen diesem Ensemble jedoch nicht. Die alten Fassaden zeigen, wie ein richtig verstandener massiver Mauerwerksbau aussehen sollte: regelmäßige oder rhythmische Reihung nicht zu großer Fenster und vorgesetzte hölzerne Balkone. Nicht jedoch solch tiefe und konstruktiv falschen Einschnitte für Loggien, die der Bauweise und der Charakteristik des schönen Ensembles nicht entsprechen. Diese beliebigen und falsch verstandenen Fassaden finden sich in jeder vorstädtischen Schlafstadt und verleugnen die Identität des Ortes. Schade, dass Südtirols Alltagsarchitektur immer mehr einer charakterlosen Beliebigkeit verfällt. Dazu entstehen hier Ferienwohnungen, die den Platz fast ganzjährig zum Geisterort mit herunter gelassenen Rollläden verkommen lassen.

Andreas Gottlieb Hempel, Brixen
NSTZ, 15.06.2012

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