ff 30/2012: Der Krake in der selbstgebauten Falle

ff-Leitartikel, 26.07.2012 – Der mögliche Verlust der Konzessionen für die Landesenergiegesellschaft Sel AG ist das Ergebnis einer Politik, die offenen Auges in die Sackgasse steuerte.

Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte.“ Mit diesem knallharten Satz nahm Michail Gorbatschow das Ende der DDR vorweg – wenige Wochen vor dem Fall der Berliner Mauer. Damals, im November 1989, passierte, war niemand für möglich gehalten hatte: Der gesamte Ostblock mitsamt der Sowjetunion, neben den USA immerhin die weltweit größte Supermacht, sollten in der Folge in sich zusammenstürzen und einer völlig neuen politischen Realität Platz machen.

„Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte“: Diesen Satz sollte sich Landeshauptmann Luis Durnwalder zu Herzen nehmen. Plötzlich türmen sich Probleme, auf die viele seit Jahren hinweisen, die aber weder er noch seine Partei wahrhaben wollten.
Auf den Punkt gebracht: Aus einer Wiedergutmachung, die darin bestand, Zuständigkeiten wieder von Rom nach Bozen zu verlagern, ist ein nimmersattes Fressen geworden. Das Land Süd-tirol nahm sich alles, was es kriegen konnte – und wurde im Verlauf weniger Jahre zu einer Art Krake, die ihre Tentakel auf alle Bereiche der Gesellschaft ausbreitete. Es wurde auch rasch ein wenig schmeichelhafter Begriff für dieses neue Phänomen gefunden: die Landes AG.

Wie oft wurde davor gewarnt, dass es gegen sämtliche Regeln und Gesetze verstößt, wenn das Land sowohl die Konzessionen vergibt, als auch über eine vom Land kontrollierte Gesellschaft diese Konzessionen ausübt? Wer Schiedsrichter und Spieler zugleich sein will, schreit geradezu nach einer Roten Karte.

Jetzt hat der böse Staat genau dieses Spielchen unterbunden: entweder oder. Entweder das Land verzichtet auf die Konzessionsvergabe – oder darauf, sich mit der Sel AG sämtliche Konzessionen unter den Nagel zu reißen. Landeshauptmann Durnwalder hat prompt erkannt, dass Feuer am Dach ist – und reagiert. Er könne sich vorstellen, meinte er sinngemäß, dass die Bewertung der Konzessionsanträge in Zukunft von „auswärtigen“ Stellen vorgenommen wird. Als Beispiel nannte er die Uni Bozen und die Eurac.

In Rom werden sie sich den Bauch vor Lachen halten. Wie das? Sind die Uni Bozen und die Eurac etwa nicht auch eine Art Landesgesellschaften? Wer ernennt die Präsidenten und Verwaltungsräte? Richtig: das Land Südtirol. Und da soll eine unabhängige Bewertung gewährleistet sein?

Es gibt in Südtirol wenig, das (noch) nicht von der Krake Land gefressen worden ist. Unglaublich, was es anscheinend so alles braucht, um den Schutz einer Minderheit zu gewährleisten: Fahrsicherheitszentrum, Flugplatz, Südtirol Marketinggesellschaft, Therme Meran, Sel AG, und und und. Besonders im Energiebereich wird seit Jahrzehnten gefordert, Kompetenzen, die man sich von Rom geholt hat, nach unten weiterzugeben – zum Beispiel an die Gemeinden. Passiert ist wenig bis gar nichts.

Seit Jahren wird diskutiert, das glorreiche Autonomiestatut, das heuer sein 40-jähriges Jubiläum feiert, den Erfordernissen einer Gesellschaft anzupassen, die heute eine ganz andere ist als damals, Anno 1972. Es wurden sogar „runde Tische“ eingerichtet, um parteiübergreifend längst notwendige Reformen anzugehen. Die Tische warten immer noch darauf, dass sich jemand setzt.

Regierungschef Mario Monti mag im Umgang mit der Südtirolautonomie ungehobelt vorgehen. Aber er zeigt mit seinen Maßnahmen plötzlich auf, dass die Landes AG historisch überholt ist. Für Reformen ist es spät, aber vielleicht hat die Geschichte ja noch etwas Geduld.

Norbert dall’O

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