Grüne Bruneck, 10.02.2020
Das neue Brunecker Verkehrskonzept, das der Bürgermeister im Spätherbst ausführlichst präsentiert hat, enthält, wie es in der Natur der Dinge liegt, eine Vielzahl an Elementen, die einer differenzierten Betrachtung bedürfen. Was folgt, ist ein Versuch in diese Richtung.
Etwas Geschichte
Die Erstellung von Verkehrskonzepten hat Tradition in Bruneck. Da wäre zunächst das Konzept Tiefenthaler-Winkler aus dem Jahr 1993. Wohl das erste umfassende Konzept, es enthielt z. B. bereits Südausfahrt und Nordringverlegung, Tiefgaragen am derzeitigen Busbahnhof und am Kapuzinerplatz, einen Auffangparkplatz in der Schlosskurve und die Ausweitung der Fußgängerzone auf die Herzog-Sigmund-Straße und die Oberstadt bis zur Pfarrkirche. Das Konzept wurde vom Gemeinderat nie genehmigt, nicht einmal zur Kenntnis genommen.
Später kam das “Leitbild 2020”, im Rahmen der Neufassung des Bauleitplans, ausgearbeitet knapp vor der Jahrtausendwende mit vielen Workshops u. ä. Relativ folgenlos. 2020 ist inzwischen angekommen, das Leitbild ist lange vorher schon versandet.
2008 schließlich wurde das Verkehrskonzept Bergmeister genehmigt. Strittige Fragen wie die Anbindung Bruneck Ost oder der Standort der Schlossgarage wurden dabei nicht geklärt, was wohl weniger an den Fähigkeiten der Planer als vielmehr daran lag, dass sich die Ratsmehrheit nicht festlegen wollte. So blieb auch dieses Konzept weitgehend zahnlos und verkehrspolitische Entscheidungen wurden wie immer ad hoc und nach Gutdünken getroffen.
Nun hat der Bürgermeister bestehende Projekte und die Ergebnisse einer Reihe von Untersuchungen zu einem neuen Verkehrskonzept zusammengeführt, nach seinen Aussagen das erste Konzept, das konkrete Maßnahmen zu verschiedenen Fragen vorsieht. Wie gesagt, wenn sich bis jetzt vieles nicht konkretisiert hat, so lag es weniger am Fehlen von Lösungsansätzen als vor allem daran, dass man in der Mehrheitspartei keine klaren Aussagen wünschte. Wir werden nun sehen, wie es mit der Umsetzung dieses Konzepts aussieht.
Was ist drin?
Die Präsentation im Gemeinderat durch den Bürgermeister nahm über zwei Stunden in Anspruch und in das Konzept ist sehr viel unterschiedliches Material eingeflossen. Ich versuche, die greifbaren Hauptelemente aufzulisten:
- Neue Zufahrt über den Stegener Marktplatz
- Umsetzung Mobilitätszentrum
- Garage Techpark
- Verkehrsregelung Stegen
- Fußgängerzone Herzog-Sigmund-Straße und Verkehrsregelung Seeberstraße
- Tiefgarage Schlosswiese, Straßentunnel und Ausbau Kronplatzweg, Verkehrsregelung Bruneck Ost
- Verlegung Nordring
- Ausbau Radmobilität und öff. Verkehr
- Garage Kapuzinerplatz (mittel-/längerfristig)
- Schließung Graben (mittel-/längerfristig)
- Umfahrung St. Georgen (langfristig)
- Untertunnelung Stegener Berg (langfristig)
Natürlich ist das deklarierte oberste Ziel die Förderung der sanften Mobilität und die Verbesserung der Lebensqualität. Speziell das Zufußgehen, Radfahren und der öffentliche Verkehr sollen bevorzugt werden. So wird seit Jahrzehnten jedes Verkehrskonzept eingeleitet. Nur sind alle Maßnahmen, die den Nicht-Autoverkehr betreffen, meist weniger greifbar. So auch hier. Was jetzt konkret und einigermaßen kurzfristig ansteht, ist in erster Linie Infrastruktur für den Autoverkehr: Zufahrt Stegen, Nordring, Garage Techpark, Garage Schlosswiese, Tunnel und Zufahrt Kronplatzweg. Die neue Infrastruktur für Autos soll es dann ermöglichen, Verkehr zu verschieben und mehr Raum für Menschen zu schaffen, die sich ohne Auto bewegen. Da stellt sich immer das gleiche Problem: die neuen Infrastrukturen sind eine Tatsache, die wohltuenden Effekte eine Möglichkeit, die in erster Linie von Verkehrsregelungen abhängt. Und diese sind erfahrungsgemäß weniger resistent als Bauwerke. Gleichzeitig wirkt man nicht tiefer auf das Mobilitätsverhalten ein, sondern bietet in erster Linie alternative Wege und Stellflächen für den Autoverkehr – und jede neue Infrastruktur verringert den Verkehr nicht, sondern zementiert im Endeffekt die Dominanz des motorisierten Individualverkehrs. Der sanfte Verkehr mag ein wenig attraktiver werden, aber eine grundlegende Änderung ist nicht zu erwarten. Das ist die Grundschwäche eines Ansatzes, der in erster Linie von Verkehrsbewältigung und -abwicklung ausgeht und wohl der tiefere Grund dafür, dass die Verkehrspolitik in den letzten Jahrzehnten insgesamt wenig ausgerichtet hat, hier wie anderswo.
Zu den einzelnen Bereichen.
Stegen, Nordring
Der Nordring hätte schon gleich in den Achtzigern nicht dort gebaut werden sollen, wo er ist, zwischen Wohn- und Industriegebiet, und seine Verlegung ist ein jahrzehntelanges Theater, schon mehrmals war sie „praktisch fix“ und kurz danach wieder bei Null. Früheres Handeln hätte es wohl auch ermöglicht, sich jetzt nicht mit noch einer neuen, großzügigen Straße weiter in die Felder fressen zu müssen, aber Weitblick war hier eben nicht im Spiel. Das neue Stück Nordring muss wohl akzeptiert werden, ebenso wie die neue Zufahrt zum Stegener Marktplatz im Mündungsbereich Ahr-Rienz – auch das eine neue Straße, die einen an sich nicht mit Freude erfüllen kann, aber sie hat zumindest eine klare Funktion. Dass man den Schleichverkehr durch Stegen unterdrückt und auf den Ring schiebt, ist naheliegend, mit keinem großen Aufwand verbunden und natürlich zu begrüßen.
Mobilitätszentrum
Die Pläne für das Bahnhofsgelände laufen über das Land und stellen jetzt, nach bald zwei Jahrzehnten Verzögerung infolge überzogener Bauvorhaben, eine vernünftige und funktionale Lösung dar, die die prekäre Situation vor dem Bahnhof behebt und einen intermodalen Knotenpunkt schafft, der endlich der Rolle gerecht wird, die Bahn- und Busverkehr heute einnehmen.
Stegener Straße, Herzog-Sigmund-Straße, Seeberstraße
Mit dem Vorhaben, in der Herzog-Sigmund-Straße eine Fußgängerzone einzurichten, rennt man bei uns natürlich offene Türen ein. Dies war, wie erwähnt, schon im Konzept Tiefenthaler-Winkler vorgesehen und wurde ignoriert. Beim Konzept 2008 schlug ein Änderungsantrag der Grünen eine Verkehrsberuhigung in diesem Gebiet vor – abgelehnt, „nicht machbar“. Die Herzog-Sigmund-Straße kann durch ihre Beruhigung von einem Nichtort zu einem Stück Stadt werden und das Zentrum Richtung Norden erweitern.
Garage Schlosswiese, Tunnel Kronplatzweg, Verkehrskonzept Bruneck Ost
Hier haben wir es allerdings mit einer Verkettung von Fehlentscheidungen zu tun. Da war zunächst der Fehler, die Musikschule als Einrichtung, die massiven Verkehr aus dem ganzen Bezirk anzieht, an diesem dafür absolut ungeeigneten Ort zu belassen und auszubauen. Weiters das Beharren auf einer Tiefgarage in der Schlosswiese, unter anderem mit dem Verweis auf eben die Musikschule. Hinter dem Schloss, nicht als Zentrumsparkplatz geeignet, an einem Ort, den man besser einfach in Ruhe lassen sollte. Obwohl das ursprüngliche Konzept mit privatem Bauträger und Urbanistikvertrag längst hinfällig ist, besteht man nun trotz hoher Kosten unbedingt darauf, die Schlosswiese auszuhöhlen und ist jetzt auf die Idee gekommen, aus der Garagenzufahrt einen handfesten Straßentunnel zu machen und den ganzen Südosten Brunecks über den Kronplatzweg zu erschließen, mit unvermeidlichen, schwerwiegenden Eingriffen, die außerdem einer weiteren Verbauung der Gegend Vorschub leisten. Mit dem darüber gestülpten Verkehrskonzept Bruneck Ost wird eine Teilberuhigung erreicht, für die der Preis, finanziell wie landschaftlich-historisch, eindeutig zu hoch ist. Außerdem wird damit eine Zufahrt zum Ring im Osten auf unbestimmte Zeit verzögert. Kurz, eine halbe Lösung zu einem sehr hohen Preis.
Geht es anders? Wo ein Wille… Die nötigen Parkplätze für die Oberstadt können z. B. an der Reischacher Straße unter dem Besucherparkplatz des Schlossmuseums errichtet werden, mit einem unterirdischen Schrägaufzug Richtung Oberstadt, die damit sogar schneller erreichbar ist, als wenn man mit dem Auto den ganzen Weg bis in die Schlosswiese hinunter fahren muss. Der Zentrumsparkplatz für den von Süden kommenden Verkehr lässt sich in der Schlosskurve verwirklichen, mit vergleichsweise geringem Aufwand, es wird keine Großgarage benötigt, wie sie vor 10 Jahren noch diskutiert wurde. Die Verkehrsberuhigung in der Oberstadt und damit eine deutliche Entlastung von Stuckstraße und Willramstraße wird damit ebenso ermöglicht. Ein paar Parkdecks und ein Lift dürften auch weniger kosten als ein Straßentunnel und ein mehrstöckiges Luxusparkhaus in der Wiese. Mit einer Zufahrt vom Ring im Osten (Moessmerrampe o. ä.) lässt sich dann eine effektive Beruhigung des ganzen Gebiets erreichen, indem Stuckstraße, Willramstraße und Tieltpromenade dem Anrainerverkehr und Fahrzeugen mit Genehmigung vorbehalten werden. Damit wird auch Schleichverkehr unterbunden und es müssen im Osten keine Straßen unterbrochen werden. Eine vertretbare Lösung für die Ostzufahrt wäre lange schon zu definieren gewesen, es ist auch nicht einleuchtend, dass diese mehr kosten soll als die gesamte Südausfahrt oder auch der wesentlich größere Brixner Mittelanschluss, der derzeit in Bau ist.
Eine Garage in der Schlosswiese steht zudem im Widerspruch zu einer möglichen Garage am Kapuzinerplatz. Von der Oberstadt sind beide gleich weit entfernt, also entweder-oder. Eine Garage am Kapuzinerplatz löst bei uns zwar auch keine Begeisterung aus, sie wäre allerdings funktionaler als die Schlosswiese und würde auch die Beruhigung von Stuckstraße und Willramstraße erleichtern. Sie wäre also akzeptabel, wenn man die Schlosswiese dafür in Ruhe ließe.
Leider muss ich da den Konjunktiv verwenden. Man muss den Spruch wohl umformulieren: wo kein Wille, da kein Weg.
Wer zu Fuß geht, kann warten
Die Prognose für die Schließung des Grabens kann nun also von „wahrscheinlich nie“ auf „vielleicht irgendwann“ geändert werden. Zumindest ist sie wieder ein deklariertes Ziel. In jüngster Zeit ist es aber vor allem im Bereich Graben/Reischacher Kreuzung für Fußgänger eindeutig rückwärts gegangen. Alle Elemente, die ein bisschen in Richtung „shared space“ gingen, wurden entfernt und der Graben dient nun wieder in erster Linie dazu, Autos durchzuschleusen. Wer zu Fuß vom Rathausplatz auf den Graben will, wird mit sehr langen Wartezeiten bestraft und an der Reischacher Kreuzung wird mit der „intelligenten“ Ampelanlage nicht nur die Geduld der Fußgänger und Radfahrerinnen strapaziert, die jeweils kurz grün bekommen, nachdem der Autoverkehr in allen Richtungen abgearbeitet ist. Es wurde auch der Zebrastreifen auf der Höhe Leonardo-da-Vinci-Straße entfernt. Mit Verweis auf den Ampelübergang an der Kreuzung und die Unterführung am Tschurtschenthalerpark. Die mögen ja nicht weit entfernt sein, trotzdem sind es deutlich spürbare und störende Umwege. Wer Verkehrsplanung für Fußgänger betreibt, respektiert so weit wie möglich ihre natürlichen Wege. Das ist hier nicht geschehen. Offensichtlich werden ein paar Autos, die ein bisschen Schlange stehen müssen, immer noch als viel größeres Problem angesehen als ein Haufen Menschen, der in der Kälte/Hitze herum warten oder unlogische Umwege gehen müssen. Soweit zum Thema „Priorität“, da muss noch einiges geschehen und vor allem sollte man sich nicht rückwärts bewegen.
In Bruneck wird sehr viel Rad gefahren, aber von einer durchgängigen Befahrbarkeit der Stadt sind wir nach wie vor weit entfernt. Es gibt zu viele Stellen, an denen mit dem Vorlieb zu nehmen ist, was vom Straßenraum übrig ist, nachdem Fahrspuren, Abbiegespuren usw. eingezeichnet sind. Wenn die Fahrbahnen nicht genug Platz lassen, müssen sich Fußgängerinnen und Radfahrer weiterhin im Zusammenleben auf engstem Raum üben.
Mobilität ist nicht nur eine technische Angelegenheit
Allgemein greift ein Ansatz, der „den Verkehr“ als gegeben ansieht und ihn bestmöglich abzuwickeln trachtet, zu kurz. Mobilität ist menschliches Verhalten, Teil des Lebensstils, und sie entwickelt sich auch anhand der Bedingungen, die geschaffen und der Signale, die gegeben werden. Eine Stadt, die hauptsächlich auf „Verkehrsverflüssigung“ setzt, vermittelt auch das entsprechende Bild: breite Straßen, Schilder, Pfeile, Ampeln, hohe Geschwindigkeiten und ein Straßenraum, der von Autos dominiert wird. Wer z. B. die monströse Beschilderung an der Reischacher Krezung betrachtet, bekommt sicher nicht den Eindruck einer Stadt, die auf sanften Verkehr setzt.
Mobilität steuert man nicht nur mit Bauten, Schildern und Verkehrsregelungen, es muss vor allem vermittelt werden, dass die menschliche Interaktion Vorrang hat, dass Menschen die Stadt lebendig machen und nicht „Verkehr“. In der Stadt hat sich der Autoverkehr den Gegebenheiten anzupassen und nicht umgekehrt. Das geht nur bei niedrigen Geschwindigkeiten und einer Gestaltung des Straßenraums, die keine falschen Sicherheiten vermittelt. Je geringer die Geschwindigkeiten, desto weniger staut es sich außerdem, nur bei Geschwindigkeiten unter 30 kann die Verkehrssicherheit gewährleistet und die Gesamtmobilität in der Stadt optimiert werden. Verkehrsberuhigung und menschenfreundliche Straßenraumgestaltung brauchen einen neuen Schub. Das muss ein Schwerpunkt in den nächsten Jahren sein, ohne Vorbedingungen, denn wenn nicht deutlich auf das Mobilitätsverhalten eingewirkt wird, sondern hauptsächlich automobile Alternativen für automobile Verkehrsprobleme geschaffen werden, wird sich am Gesamten nicht viel ändern. Das gilt für Bruneck wie für das gesamte Land: wenn das Verkehrsmittel, das die meisten Probleme verursacht, weiterhin mit den höchsten Investitionen belohnt wird, nützen alle Aufrufe zum Umsteigen nicht viel.
10.02.2020
Hanspeter Niederkofler