Ein bisschen Historisches: Rede von Pepi Feichtinger am 4.4.2008 in Percha

(das war vor 5 Jahren, heute ist natürlich alles ganz anders).

Werte Ketzerinnen und Ketzer aus dem Pustertal!
Ich bin schockiert: im bravsten Tal, das am längsten und innigsten dem Brixner Gotteslamm zugetan war, im deutschesten Tale, wo es kaum krautwelsche Flurnamen gibt, im treuesten Tale, wo die Edelweiß–Wähler am dichtesten wachsen, im ehrwürdigsten Tale, wo unser Landesfürst zum ersten Mal seine Windeln gebräunt hat, im Tale, das aus Vinschger Sicht die heile Welt ist, entspringen plötzlich so viele Abweichler, Falschgläubige, Ketzer! Aus dem Haspinger-Humus!
Ich werde alle meine venostischen Überredungskünste anwenden müssen, um meinen Missionsauftrag zu erfüllen und euch in den Mutterschoß der Allmachtspartei zurückzuführen.

Bürgerliste heißt die teuflische Verführung, der ihr erlegen seid.
Wir alle sind Bürger eines Staates, einer Gemeinde. Ohne gefragt worden zu sein, durch unsere Geburt. Damit hat sich`s! Parteibürger gibt es nicht. Mitglieder heißen sie rechts, Kameraden ganz rechts, Genossen links. Folglich ist eine Bürgerliste schon sprachlich ein Unding.
Die Summe der Parteimitglieder heißt Basis. Das schmeichelt der Masse der Nullpotenten gewaltig, da Basis Grundlage heißt, Fundament, Grundmauer, die trägt. Politiker der Omnipotenzpartei verwenden dieses Wort besonders andächtig, wenn sie zum Beispiel den Baggerprofiteuren einen Tunnelbau oder eine so genannte Ortsumfahrung schenken, ohne sich um die Anrainer zu kümmern. Aber wenn das berühmte Band durchschnitten ist, klatschen diese begeistert und das Omnipotenzblatt jubelt über eine vorbildliche Demokratie.
Das Wort Demokratie schmückt Wahlreden, riecht als Forderung aber übel revoluzzerhaft. Direkte Demokratie – ein Gräuel! Eine Volksabstimmung – ein Gräuel. Wozu auch? Die Südtiroler fühlen sich ohne diese überflüssigen Anstrengungen pudelwohl in der europaweit einmaligen Sammelpartei.
Die Sammelpartei sammelt: Beiträge, Sponsoren, Stimmen. Und sie teilt aus: Konzessionen, Subventionen, Posten und Pöstchen.
Ist euch klar? Ihr habt euch von der allumfassenden Edelweiß-Mamme abgewandt, die so viele Kittelfalten hat, dass alle Schafe sich darinnen bergen können, was sie gerne tun, da der Stoff nach Profit riecht. Meinungsvielfalt ist folglich überflüssig, ja verdächtig, Streithänsel sind unbeliebt. Es gibt schlimmstenfalls zwei Meinungen, die zuerst parallel laufen, dann aber einen Strang bilden: Der Landesfürst denkt vernünftig und die Landeszeitung moralisch. Der Hintergrund-Segen der Kirche bedeutet, dass auch nach dem Tode nicht mehr gedacht werden muss.
Es gibt also objektiv keinen Grund, subversive Bürgerlisten zu gründen!

Ich bitte und beschwöre euch in Vinschger Aufrichtigkeit: betrachtet mit mir die Vorzüge der Edelweiß-Mamme.

  1. Die Edelweiß-Mamme ist deutsch. (Und ladinisch, gelegentlich) Gelegentliche Geschäfte mit faschistoiden Wirtschaftsleuten sind harmlos. Die flotte Helga aus dem Tauferertal, in dieser Legislatur noch sexy, ist ausgeschickt, mit dem Lustgreis Berlusconi zu schmusen, natürlich dezent, nach katholischem Ritus. Berlusconis Fußballerhaufen ist wahlverwandt, denn:
  2. Die Edelweiß-Mamme steht rechts. Linksparteien sind Organisationen von Kriminellen, was unter anderem ihr Eintreten für Homosexuelle beweist. Linksparteien sind bedrohlich: denn jeder Südtiroler, auch wenn er nur ein Holzkistchen mit Kresse auf dem Balkon hat, fühlt sich als Besitzer und fürchtet bolschewistische Enteignungen.
  3. Die Edelweiß-Mamme ist fromm. Was kein Widerspruch zu rechts ist, denn der Gottessohn sitzt ja zur Rechten des Vaters. Und Papst Pius XI nannte Mussolini einen Mann der Vorsehung.
  4. Die Edelweiß-Mamme hütet einen Reliquienschrein, die Autonomie. Ihr müsst zugeben: die Volkspartei hat die Selbstverwaltung hartnäckig erstritten, folglich gehört diese zu Recht der Volkspartei: vom Bauernbund zum Ministrantenklub – sie öffnet oder verschließt Zugänge. Ob Karriere oder Obdachlosenasyl – sie bestimmt die Wege der Jugend. Wer ein bisschen Hirnschmalz hat, steigt in eine Jugendgruppe ein.
  5. Die Edelweiß-Mamme ist kompetent. Baut alles. Berechnet alles. Hat Südtirols Landschaft fest im Griff. Dass man diese nach zehn Jahren nicht wieder erkennt, ist eine Zielvorstellung. Und ihr müsst zugeben: wir sind eine Musterprovinz, auf die es Superlative hagelt. Nicht nur im Sport. Und Rom zittert vor uns. Sollten dort Faschisten an die Macht kommen, setzt die Partei auf deren Käuflichkeit, die zum Wesen des Faschismus gehört. Sie kann es sich leisten, einen Senator zu küren, der nur Speisekarten lesen kann, was im Tourismusland schätzenswert ist.
  6. Die Edelweiß-Mamme ist sozial. Es gibt keinen Klassenkampf, denn wenn es der Wirtschaft gut geht, geht`s allen gut. Gewerkschafter, die dieses Dogma bezweifeln, werden mütterlich so fest umarmt, dass ihnen die Luft ausgeht, der massige Schorsch ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür. Es hat vor Zeiten in der Partei Politiker gegeben, die sich für Mindestverdiener eingesetzt haben, sie sind verschwunden. Eingegangen am unmöglichen Namen „Arbeitnehmer“, an interner Uneinigkeit und Verfettung. Die Tochter des größten Immobilienhais in Westtirol und wohlbestallte Advokatin soll jene vertreten, die mit 1000 € den Monat durchfretten. Und jene, die mit 1000 € den Monat durchfretten, wählen diese Superfrau voll Bewunderung. Solange die Regale in den Supermärkten voll sind und die Arbeiterfrau zwar nicht kaufen, aber genussvoll im Überfluss wühlen darf, gibt es keinen Grund für Bürgerlisten.
  7. Ich komme zum Schluss: die Edelweiß-Mamme ist Südtirol. Wie der Schlern. Oder Schloss Tirol. Sie ist die treue Hüterin im perfektesten Schafstall Mitteleuropas, den es sauber zu halten gilt. Deshalb rufe ich euch zu: bekehrt euch! Wozu überflüssige Demokratie? Oder gar direkte! Geht nach Hause und faltet das Tagblatt zur Schlafmütze! Und der südlich und nördlich zum Zwerg gemachte Herrgott wird mit euch sein. Amen.
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