ff: Die Kraft einer Bombe

ff Südtiroler Wochenmagazin 10, 06.03.2014 – Die goldenen Politikerpensionen und Vorschusszahlungen in Millionenhöhe bringen die Volksseele zum Kochen. Wie es zu diesem Skandalgesetz kommen konnte. Und wie die Politiker sich jetzt verzweifelt um Schadensbegrenzung bemühen.

Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Dieses Sprichwort erinnert an einen Mann, der tatsächlich auf den Namen Manfred Krug hörte. Der hatte im Ostberlin der Sechzigerjahre als mittelmäßiger Schauspieler und Sänger einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Krug brachte es immerhin in die Geschichtsbücher – dank seines Lasters: Er pflegte nämlich mehrmals am Tag seine Stammkneipe aufzusuchen und dort so lange zu bechern – bis er sich erbrach.

Krug konnte nicht ahnen, dass er ein halbes Jahrhundert später zum Sinnbild einer Politikergeneration werden würde: nicht wissen, wann genug ist, den Sinn für das Maß verlieren.

Seit mindestens zehn Jahren ist das Thema brandheiß. Politikerprivilegien, Mehrfachbezüge, goldene Pensionen: Die ff hat dazu – wie andere Medien auch – Dutzende Storys und Titelgeschichten verfasst, Journalisten wie Gian Antonio Stella haben mit ihren Büchern über die „Kaste“ Millionenauflagen erzielt, der Komiker Beppe Grillo hat es mit dem Schlachtruf „Vertreiben wir die nimmersatten Bonzen aus den Parlamenten!“ zu einer 20-Prozent-Partei gebracht.

Den Politikern der Region Trentino-Südtirol konnte diese geschärfte Sensibilität der Bürger nicht entgangen sein. Das Regionalgesetz Nr. 12 des Jahres 2012 muss wohl als das Ergebnis eines Läuterungsprozesses betrachtet werden. Der allgemeine Tenor: Wir müssen uns zügeln, wir müssen unsere Bezüge und Rentenansprüche drosseln, es ist heute weder zu finanzieren noch ethisch vertretbar, an Politiker, die bereits in ihrer aktiven Zeit kräftig abgeschöpft haben, auch noch Renten in Höhe von 6.000 Euro netto und mehr auszubezahlen.

Am 12. September 2012 wurden parteiübergreifend die allgemeinen Richtlinien abgesegnet. Dann schritt die damalige Regionalratspräsidentin Rosa Zelger Thaler gemeinsam mit ihrem damaligen Präsidium (darin vertreten waren: Florian Mussner, Hanspeter Munter, Donato Seppi und die Trentiner Marco Depaoli und Matteo Civico) zur Ausarbeitung der Details beziehungsweise der Durchführungsbestimmungen. Diese umfassen nicht weniger als 96 Seiten und wurden am 10. Dezember 2013 im Amtsblatt der Region veröffentlicht.

Diesem Dokument sind, wie Rosa Zelger Thaler gegenüber ff bestätigt, „intensive Gespräche und Verhandlungen mit den Betroffenen“ vorausgegangen. Zumeist während der Landtagssitzungen hat die damalige Regionalratspräsidentin viele Individualgespräche geführt. Da saß sie dann an einem diskreten Ort und erklärte ihrem jeweiligen Kollegen, wie genau sich die Rentenreform auf ihn auswirkt. Die meisten sollen relativ rasch grünes Licht signalisiert haben, einige hingegen seien „gar nicht erfreut“ gewesen. Der Grund: Wer erst seit 2003 oder 2008 im Landtag sitzt (zum Beispiel Maria Kuenzer, Ulli Mair, Sepp Noggler, Georg Pardeller, Arnold Schuler, Veronika Stirner oder Thomas Widmann) ist gegenüber den „alten Hasen“ deutlich benachteiligt. Dazu kam, dass einige der „Alten“ eine Kürzung ihrer Rentenbezüge partout nicht einsehen wollten.

Der Vergleich, den Altlandeshauptmann Luis Durnwalder diesen Montag mit Silvius Magnago anstellte, zeigt das Dilemma auf: Warum sollen wir morgen weniger verdienen als unsere Vorgänger bereits vor zehn Jahren kassiert haben? Die Pension der sogenannten Väter der Autonomie Silvius Magnago und Alfons Benedikter betrug stolze 7.200 Euro netto im Monat. Nach den Kürzungen wird Durnwalders Pension nach 40 Jahren Fulltime-Politik „nur mehr“ 2.975 Euro netto betragen.

Rosa Zelger Thaler schweigt wie ein Grab, wenn es darum geht, Namen zu nennen. Aber sie bestätigt, dass die zukünftigen Kürzungen nur unter einer Voraussetzung beschlossen werden konnten: Die sogenannten Altmandatare mussten mit einer Ausgleichszahlung abgefunden werden.

Als es um die Berechnung dieser Ausgleichszahlungen ging, müssen sich gleich mehrere „Denkfehler“ eingeschlichen haben, wie Zelger Thaler jetzt selbst zugibt. Ihr sei es „immer nur ums Ganze gegangen sowie um das Ziel, die Renten zu kürzen und Einsparungen zu erzielen“. Dies ist ihr gelungen, aber der Preis, der dafür bezahlt wurde, ist exorbitant. Karl Zeller: „Die gute Rosa hat es sicher gut gemeint, aber sie hat nicht gemerkt, an welcher Bombe sie da gebastelt hat.“

„Die Bombe“ steckt im Kleingedruckten der Durchführungsbestimmung – und stellt einen geradezu ungeheuerlichen Präzedenzfall dar:

  • für die Berechnung der „Ausgleichzahlung“ wird die maximale theoretische Lebenserwartung herangezogen;
  • das Geld wird im Voraus und nicht zinsberichtigt ausbezahlt. 100.000 Euro sind in zwanzig Jahren ein Vielfaches wert und können überdies gewinnbringend investiert werden;
  • begründet wird die unglaubliche Vorauszahlung damit, dass im Falle eines frühzeitigen Ablebens der Nutznießer die Hinterbliebenen „nur mehr zwischen 60 und 88 Prozent“ der gekürzten Bezüge bekommen (je nachdem, ob es nur einen Ehepartner gibt, oder einen Ehepartner mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern).

Ein weiterer „Denkfehler“ passierte in der vermeintlichen Gleichbehandlung aller Politiker: Unbeschadet des Dienstalters, des Dienstgrades und eventueller gut bezahlten Nebentätigkeiten erhalten alle Politiker gleich viel. Krasses Beispiel: Hanspeter Munter und Luis Durnwalder. Jener ein sprichwörtlicher Hinterbänkler mit einem „Hauptberuf“, welcher ihm rund 200.000 Euro brutto zusätzlich zum Politikersalär einbrachte; dieser seit nahezu 25 Jahren sozusagen der Vorstandsvorsitzende der Südtirol AG mit ihrem 5-Milliarden-Budget. Beide werden eine nahezu gleich hohe Politikerrente beziehen, aber Munter bekommt, weil er jünger ist, eine deutlich höhere Ausgleichzahlung (1.317.000 Euro) als Durnwalder (919.000).

Hinter vorgehaltener Hand wird gemunkelt, dass diese „skandalöse Gleichbehandlung“ nur deshalb erfolgt sei, weil das damalige Präsidiumsmitglied Munter einer der Hauptakteure bei der Ausarbeitung der Durchführungsbestimmung war. Mit ihm freuen können sich freilich auch andere Expolitiker, die lange im Landtag saßen, aber nie Regierungsverantwortung hatten – wie etwa Walter Baumgartner (697.000 Euro Ausgleichzahlung), Giorgio Holzmann (978.000), Eva Klotz (1.145.000), Cristina Kury (620.000), Pius Leitner (1.034.000), Siegfried Messner (816.000), Mauro Minniti (1.322.000), Andreas Pöder (663.000), Franz Pahl (1.041.000), Oskar Peterlini (1.003.000), Donato Seppi (710.000), Alessandro Urzì (668.000) und Alessandra Zendron (600.000).

Kurios: Die Geldsummen wurden bereits Ende November auf die Konten der Nutznießer überwiesen. Aber kein einziger der 70 Regionalratsabgeordneten will etwas bemerkt haben. Der Verdacht: Es ist ihnen offenbar ein weiterer „Denkfehler“ passiert. Am Rande der Regionalratssitzung am vergangenen Donnerstag in Trient äußerte ein Südtiroler Abgeordneter gegenüber Journalisten seine Verwunderung darüber, dass die Beträge publik geworden sind. Zitat: „Es handelt sich um bereits versteuerte Gelder, warum also die Veröffentlichung?“

Kann es sein, dass die Damen und Herren Politiker tatsächlich gehofft hatten, die Steuerzahler merkten nichts von dieser größten Abschöpfaktion in der Geschichte Südtirols? Der Plan war jedenfalls folgender: Der Öffentlichkeit sollte eine beispiellose Erfolgsstory aufgetischt werden. Seht her, es ist uns gelungen, nicht nur die Renten der Politiker zu kürzen, sondern auch noch 50 Millionen Euro für den Family Fonds bereitzustellen. Noch am vergangenen Donnerstag hat Rosa Zelger Thaler tapfer für diese These plädiert: „Mit diesem Geld kann zum Beispiel der Erstwohnungskauf unterstützt werden“.

Während die Opposition ausgerechnet in dieser delikaten Angelegenheit gepennt hat, kennen die Medien keinen Pardon, seit die Dolomiten erste Zahlen veröffentlicht hat. Vielleicht nicht ohne Eigennutz: Im Regionalrat ist es ein offenes Geheimnis, dass es der ehemalige Landesrat Thomas Widmann gewesen sei, der seine Kollegen „verpetzt“ habe.
Widmann gehört zu jenen Politikern, die sich als Geschädigte der Reform fühlen dürfen: Er bekommt, weil erst seit 2003 im Hohen Haus, „nur“ eine Ausgleichzahlung in Höhe von 198.000 Euro sowie ab 65 eine Rente von 2.800 Euro. Es heißt, die Athesia sei „richtig heiß“ auf diesen Skandal gewesen, und zwar „weil er sich hervorragend eigne, dem Landeshauptmann eine erste Schramme zu verpassen“. Arno Kompatscher hat den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden: „Wenn ich irgendwo  10 Millionen einspare, wird es jetzt heißen, warum nur 10 Millionen, wo du doch ein Vielfaches mit diesem unseligen Gesetz verbraten hast?“

„Das Haus renovieren, die Ausbildung der Kinder finanzieren, der verschuldeten Partei unter die Arme greifen, dem Vinzenzverein spenden“: Bis vor wenigen Tagen noch wussten Kasslatter-Mur & Co. bereits, was sie mit ihren Millionenbezügen so alles anstellen werden. Ein bisschen schlechtes Gewissen, ja, aber im Grunde – sagten sie unisono – „haben wir nichts verbrochen“. Alles sei rechtmäßig über die Bühne gelaufen. Die Bestimmungen seien schließlich „nahezu einstimmig von allen Parteien so beschlossen“ worden.

Allein, „der Krug“ war gebrochen, die Zahlen, fett abgedruckt von allen Medien, waren zu ungeheuerlich, um sich unter den Tisch kehren oder schönreden zu lassen. Jetzt, wo die Wirtschaftskrise ganz Südtirol durchbeutelt, Tausende Familien nicht mehr wissen, wie sie es bis Monatsende schaffen, während Löhne eingefroren und alte Menschen mit 800 Euro ihren Lebensabend verbringen müssen, wirkte die „Rentenreform“ wie eine Bombe. Im Nu erhob sich im ganzen Land ein Sturm der Entrüstung. Neu: Diesmal geht der Zorn quer durch alle Schichten, Parteien, Generationen.

Die Sympathisanten der Opposition sind entsetzt über die Gelder, die ihre Abgeordneten einstreichen, die Basis der SVP kann es nicht fassen, dass ihre Partei „aus dem Sel-Skandal keine Lehren gezogen“ habe. Wann hat es das gegeben, dass ein SVP-Bürgermeister (Andreas Colli, Kastelruth) seinen Parteikollegen Hans Berger einen „Oberbonzen“ schimpft, der den Hals nicht voll kriegen könne? Wann hat es das gegeben, dass eine Ortsgruppe nach der anderen ankündigt, keine Mitgliedskarten mehr einsammeln zu wollen? Zitat: „Wir Ehrenamtlichen an der Basis der SVP werden diese Suppe nicht auslöffeln!“

Was Wunder, dass die Politiker in ihrer Nervosität gar nicht merken, wie sie vom Regen in die Traufe hineinwaten. So hat zum Beispiel der SVP-Obmann Richard Theiner zunächst in Übereile angekündigt, das Geld, das ihm überwiesen worden ist (139.000 Euro), „in Form einer Parteispende an die Südtiroler Volkspartei abzugeben“. Gerade so, als könnten unrechtmäßig angeeignete Steuergelder gewaschen werden, indem man sie einer jener Parteien schenkt, die für das skandalöse Gesetz zu den Politikerpensionen die Hauptverantwortung tragen.

Inzwischen wird parteiübergreifend zurückgerudert. Die Krisenkommission der SVP unter dem Vorsitz von Richard Theiner hat am Montag „beschlossen“, dass „alle aktiven SVP-Mandatare angewiesen werden, ihre Vorschusszahlungen zurückzuüberweisen“. Karl Zeller will diese Aufforderung auch für jene ehemaligen Mandatare verstanden wissen, die das Pensionsalter noch nicht erreicht haben: „Für Leute, die noch nicht in Rente sind, gibt es keine erworbenen Rechte.“ Sabina Kasslatter-Mur hat – als einzige dieser Kategorie – bereits wissen lassen, dass sie sämtliche Gelder zurückerstatten wird. Ähnlich die Haltung der Grünen und der Freiheitlichen, aber auch Andreas Pöder und Eva Klotz wollen ihre Bezüge vorerst „einfrieren“.

„Ob das der Obmann durchsteht?“ Ausgerechnet Theiners SVP-Kollege Sepp Noggler wirft die Frage in den Raum, die erahnen lässt: Die Bombe, die da gezündet wurde, hat das Zeug, auch in den Parteizentralen für Verwüstung zu sorgen.

Norbert Dall’Ò

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