CIPRA: Nur klimaverträglicher Tourismus ist nachhaltig

Auszüge aus dem neuen Dossier „compact“08/2011 „Tourismus im Klimawandel“ – mehr dazu hier. / in italiano

CC.ALPS: CIPRA FORDERUNGEN ZUM TOURISMUS

Der Klimawandel stellt den alpinen Tourismus vor grosse Herausforderungen. Er muss sich an den Klimawandel anpassen und gleichzeitig klimaverträglicher werden. Insbesondere in den Schlüsselbereichen Verkehr und Energie liegen grosse Potenziale für eine Reduktion des CO2-Ausstosses. Der Tourismus ist eine Branche, die mit hohen Fördermitteln ausgestattet ist. Die öffentliche Hand muss mit der Tourismusförderung die Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit lenken.Bei der aktuellen Diskussion über die Entwicklungen im Tourismusgeschäft dominieren die Positionen der grossen Seilbahnunternehmen, die im Wesentlichen auf den Skitourismus und die Aufrechthaltung des Status quo fixiert sind. Wer aber nur auf Schnee und Ski setzt, forciert eine kapitalintensive, hoch technisierte und zu Monostrukturen neigende Form des alpinen Tourismus, die weder klima- noch umweltverträglich ist.

Die CIPRA fordert:

1 – Endlich attraktive klimafreundliche Reisemöglichkeiten anbieten!

Der touristische Verkehr, insbesondere die An- und Abreise, ist die mit Abstand wichtigste CO2Quelle im alpinen Tourismus. 75 % der touristischen CO2-Emissionen gehen auf das Konto des Verkehrs. Die CIPRA fordert die Tourismusanbieter inner- und ausserhalb der Alpen auf, endlich attraktive Angebotspakete auf den Markt zu bringen, die eine klimafreundliche An- und Abreise sowie eine sanfte Mobilität am Urlaubsort gewährleisten. Gleichzeitig sind die Reisenden gefordert, die Angebote zu nutzen.

2 – Energieeffiziente Gebäude für den Tourismus!

Touristische Gebäude müssen energieeffizienter werden. Gerade in Höhenlagen, die praktisch nebelfrei sind, kann die Sonne passiv zur Beheizung der Gebäude und aktiv zur Produktion von Energie genutzt werden. Die CIPRA fordert die TourismusanbieterInnen auf, sowohl beim Bauen wie auch beim Sanieren eine Vorbildfunktion auszuüben und sich damit einen Marktvorteil zu verschaffen. Touristische Förderung im Bauwesen darf nur für vorbildliche Standards gewährt werden. Auch der Zweitwohnungsbau muss eingedämmt werden, weil er regionalwirtschaftlich, landschaftsästhetisch und klimapolitisch schädlich ist.

3 – Neue Wege zu einem naturnahen und klimaverträglichen Tourismus!

Gemeinden und Regionen dürfen die Augen nicht vor der Wirklichkeit verschliessen. In Anbetracht des Klimawandels und seiner Auswirkungen müssen sie insbesondere in niedrigeren Lagen neue Wege einschlagen, um die Abhängigkeit vom Ski- und Wintertourismus zu reduzieren. Dieser Umbau hat nachhaltig und klimaverträglich zu erfolgen.

4- Keine Erschliessung von Gletschern und unberührten Landschaftskammern!

Der klimabedingte Anstieg der Schneefallgrenze und die verminderte Schneesicherheit dürfen nicht dazu führen, dass weitere Gletscher und noch unberührte Landschaftskammern mit neuen Skigebieten erschlossen werden. Die CIPRA fordert deshalb für den gesamten Alpenraum ein Verbot von touristischen Neuerschliessungen von Gletschern oder bisher noch nicht erschlossenen Landschaftskammern. Der eben erst begonnene Einsatz von Gletscherfolien kann zu einer Bedrohung des alpinen Landschaftsbildes werden. Er muss deshalb eingedämmt werden. Die CIPRA fordert eine Bewilligungspflicht für Gletscherfolien und eine restriktive Bewilligungserteilung.

5 – Tourismusförderung nur für naturnahe, nachhaltige und klimaverträgliche Aktivitäten!

Mit der Förderung des Tourismus wird entschieden, ob sich die Tourismusentwicklung an den Grundsätzen der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes orientiert. So verstärkt zum Beispiel jeder Euro, der in die Beschneiung investiert wird, die Abhängigkeit vom Ski- und Wintertourismus. Zudem wurde nachgewiesen, dass mehr Beschneiung nicht automatisch zu besseren Geschäftsergebnissen führt, aber sehr wohl negative ökologische Effekte haben kann. Die CIPRA fordert deshalb den Verzicht der öffentlichen Hand auf die finanzielle Förderung der Beschneiung. Vielmehr soll die Förderung auf langfristige und zukunftsfähige Massnahmen zugunsten eines Ganzjahrestourismus konzentriert werden. Die CIPRA fordert die öffentliche Hand auf, in der Tourismusförderung eine Gesamtschau vorzunehmen und Fördergelder strikt nach den Kriterien einer starken Nachhaltigkeit auszurichten. Dazu gehören auch eine Kosten-/Nutzen-Rechnung und der Nachweis der regionalwirtschaftlichen Bedeutung und der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit der geförderten Akteure und Aktivitäten.

Schlussfolgerungen

Der Klimawandel stellt den alpinen Tourismus vor grosse Herausforderungen. Aufgrund der Heterogenität des alpinen Tourismus (naturräumliche Voraussetzungen, Angebotsstrukturen, Nachfragesegmente etc.) kann allerdings nicht von einer einheitlichen «Bedrohung» ausgegangen werden. Demzufolge gibt es auch keine Patentrezepte, wie der Tourismus auf die Herausforderung Klimawandel reagieren soll.

Wer sich die aktuellen Diskussionen in der Branche, in der Öffentlichkeit, aber auch in der Wissenschaft vor Augen führt, bekommt den Eindruck, dass die Bewusstseinsbildung erst am Anfang steht. Die Diskussionen/Entwicklungen werden von den grossen Seilbahnunternehmen, der Sicherung des Skitourismus und dem Wunsch nach einer Aufrechthaltung des Status quo geprägt. Um die damit verbundenen Ziele zu erreichen, wird in erster Linie auf Technik gesetzt. Sollten sich die gegenwärtigen Trends fortsetzen (z.B. Hochgebirgserschliessung, Ausbau der Beschneiung, Snowfarming etc.), ist mit einer weiteren (massiven) Technisierung des Wintersports zu rechnen.

Diese einseitige Entwicklung ist insofern problematisch, als dass sie der oben angetönten Heterogenität im alpinen Tourismus nicht gerecht wird. Es ist nämlich nicht so, dass alle Anbieter und Regionen gleichermassen schneeabhängig sind. Entsprechend unterschiedlich sind die mit dem Klimawandel verbundenen Chancen und Risiken. Wer nur auf Schnee und Ski setzt, forciert eine kapitalintensive, hoch technisierte und zu Monostrukturen neigende Form des alpinen Tourismus, die weder klima- noch umweltverträglich ist.

Mitunter werden aber auch die «falschen» Fragen gestellt. Stichwort Beschneiung: Es geht nicht nur darum, ob die Beschneiungsanlagen auch in einer wärmeren Zukunft eingesetzt werden können (technisch wird vieles möglich sein). Genauso wichtig ist die Frage, wer für die damit verbundenen Kosten aufkommen kann. Und was würde das Ausschöpfen der technischen Möglichkeiten für die Natur und die Ski fahrenden Gäste (Stichwort: fehlende Winteratmosphäre) bedeuten?

In diesem Zusammenhang muss auf das wachsende finanzielle Engagement der öffentlichen Hand eingegangen werden. Macht es wirklich Sinn, wirtschaftlich darbende Skigebiete mit öffentlichen Geldern zu unterstützen? Besteht nicht die Gefahr, dass hier in ein Fass ohne Boden investiert wird? Wäre es nicht klüger, in neue und zukunftsfähige Konzepte zu investieren? Und wenn schon öffentliche Gelder gesprochen werden, dann muss deren Vergabe an klare und überprüfbare Kriterien wie Rentabilität, Nachhaltigkeit und Klimaverträglichkeit geknüpft werden, was momentan nicht der Fall ist.

Gefragt sind also breitere Ansätze. Ansätze, welche nicht nur die Interessen von einzelnen dominanten Akteuren berücksichtigen. Ansätze, welche sich von der einzelunternehmerischen Sichtweise lösen und eine kommunale oder regionale Perspektive einnehmen. So können «Sachzwänge» (ohne Skifahren geht gar nichts) relativiert und «Denkblockaden» (es gibt keine Alternativen zum Skitourismus) aufgehoben werden. Und nur so kann der komplexen Realität im alpinen Tourismus genüge getan werden.

Der Tourismus ist eine bedeutende CO2-Quelle. Es gibt, wie die Beispiele in diesem compact zeigen, durchaus Touristiker, die sich für den Klimaschutz einsetzen. In der Summe ist das Engagement aber gering. Es gibt zwar viele Einzelinitiativen, auch einige nachahmenswerte «Leuchtturmbeispiele», aber kaum konzertierte Aktionen. Absichtserklärungen, wie sie in touristischen Nachhaltigkeits-Chartas formuliert werden, genügen nicht. In diesem Sinne wird auch das CO2-Einsparpotential nicht ausgeschöpft. Gefragt sind ein stärkeres Engagement eines jeden Einzelnen, der Branche als Ganzes, aber auch entsprechende Rahmenbedingungen, welche den alpinen Tourismus in die Pflicht nehmen. Man könnte zum Beispiel für alle neuen Ferienwohnungen einen Passivhaus-Standard einfordern. Wichtig ist, dass dort angesetzt wird, wo viel CO2 produziert wird, also bei den touristischen Unterkünften und im Verkehr.

Die grösste Knacknuss ist und bleibt der touristische Verkehr. Es fehlt gewiss nicht an Konzepten für ein umweltfreundlicheres Reisen, genauso wenig wie an gut gemeinten Absichtserklärungen von Seiten der Reisenden. Tatsache ist aber, dass sich der Tourismus nach wie vor in eine andere Richtung entwickelt: Nicht weniger, sondern mehr Verkehr und  CO2-Emissionen sind Realität. Die zurzeit umgesetzten Massnahmen sind nicht mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf den heissen Stein und werden nicht mal ausreichen, um das Wachstum des Freizeit- und Tourismusverkehrs und die damit verbundenen CO2-Emissionen aufzufangen.

Es hat lange gedauert, bis das Thema Klimawandel im alpinen Tourismus «angekommen» ist. Mittlerweile ist die früher weit verbreitete Abwehrhaltung zumindest einer partiellen Offenheit gewichen. Eine Schlüsselrolle in der tourismusinternen Kommunikation und Sensibilisierung spielen die nationalen und regionalen Tourismusverbände. Einige sind vergleichsweise offen, andern tun immer noch so, als ob der Klimawandel eine Mär sei. Dies ist insofern tragisch, als dass damit eines der wichtigsten Themen unserer Zeit einfach negiert wird. Hinzu kommt, dass die Verbände eine ihrer vordringlichsten Aufgaben, nämlich die Vorbereitung ihrer Mitglieder auf zukünftige Entwicklungen, nicht wahrnehmen. Es geht auch nicht, wie vielfach angenommen, nur um die Frage «Schnee oder kein Schnee», sondern vielmehr darum, wie sich der alpine Tourismus in einem rasant wandelnden Umfeld behaupten kann. Viele Massnahmen, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel diskutiert werden, können als potenzielle No-regret-Massnahmen betrachtet werden. Sie dienen nicht nur der Anpassung bzw. der Verminderung, sondern helfen den touristischen Unternehmen einseitige Geschäftsmodelle breiter abzustützen, Kosten zu reduzieren oder neue Positionierungsmöglichkeiten im Markt zu finden.

Abschliessend stellt sich die Frage: Wo sind die touristischen Pioniere geblieben? Die alpinen Visionäre und Querdenker? Leute, welche sich vom alpenweiten Gleichschritt verabschieden? Wer macht den Anfang und lanciert das erste Plus-Energie-Skigebiet? Wer den ersten solar betriebenen Tourismusort? Die erste klimaneutrale Destination? Entwicklungen, die aus Sicht des Klimaschutzes längst fällig wären und einen konsequenten Umbau des alpinen Tourismus erfordern würden. Sicher ist: Nur ein klimaverträglicher Tourismus ist nachhaltig. Und nur die Nachhaltigkeit bietet Gewähr, dass der alpine Tourismus auch in Zukunft prosperieren wird.

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