Andreas Gottlieb Hempel: Renovieren statt Abriss

Im Bild: Huberhof in Natz (Foto Georg Hofer): Beispielhafte Erneuerung alter Substanz.

Viele alte Bauernhöfe mussten in den vergangenen Jahrzehnten Neubauten weichen. Deren häufig gesichtslose Austauschbarkeit kann es nicht mit der Atmosphäre der oft jahrhundertealten Höfe aufnehmen. Ein Großteil der bäuerlichen Baukultur Südtirols ist damit verloren gegangen. Hier wird ein Beispiel sorgfältigen Erhalts vorgestellt. 

Ein geschichtsträchtiger Ort

Die fruchtbare Hochebene von Natz ist uraltes Siedlungsgebiet. Hier konnte, geschützt vor dem Hochwasser von Eisack und Rienz, schon in prähistorischer Zeit Ackerbau und Viehzucht betrieben werden. Zeugnisse dafür sind Keramikfunde der Laugener Kultur, die aus den Pfahlbauten im ehemaligen großen See des heutigen Raier Mooses stammen. Immer noch werden Archäologen dort fündig. Was im 300 m tiefer liegenden Gebiet rund um das Kloster Neustift der Weinbau bedeutet, das ist auf 900 m Meereshöhe auf dem Plateau von Natz der Apfel. Mitten im Ort Natz liegt der Huberhof, der seit 1182 kurz nach der Gründung von Kloster Neustift 1142 dokumentiert ist. Als zinspflichtig wird er 1278 im Neustifter Urbar aufgeführt. Achtmal wechselte der Hof im Laufe der Jahrhunderte den Besitzer, bis er 1895 in das Eigentum der Familie Kofler -Töll – Fusco überging, die ihn heute bewirtschaftet. 90 Jahre später, 1985, wurde der Hof unter Denkmalschutz gestellt.

Landwirtschaft im Wandel

Waren die Bauern noch nach dem Zweiten Weltkrieg großteils Selbstversorger, vor allem die Bergbauern, so sind bäuerliche Betriebe als Selbstversorger heute eine Seltenheit. Die Bauern sind zu spezialisierten Produzenten von Milch, Obst oder Wein geworden. Südtirol erzeugt heute nur noch zwei Prozent des in der Region benötigten Getreides. Stammten 1982 etwa 85% der in Südtirol verspeisten Kartoffeln von heimischen Äckern, so sind es heute nur noch 4 Prozent. Die Milchproduktion hat sich dagegen in den vergangenen drei Jahrzehnten mehr als verdoppelt, und beim Frischobst produziert Südtirol 1637 % des Eigenbedarfs. Die Bauern sind dadurch von den Genossenschaften abhängig geworden und benötigen trotz aller Subventionen und Förderungen neben dem Einkommen aus der Landwirtschaft oft noch ein weiteres wirtschaftliches Standbein als Nebenerwerb – etwa durch das erfolgreiche Modell ,,Urlaub auf dem Bauernhof“ des Südtiroler Bauernbundes mit dem ,,Roten Hahn“.

Umbau oder Neubau?

Dafür hat sich die Familie Fusco mit dem Huberhof schließlich entschieden. Zunächst aber führte Alios Töll zusammen mit seinem Neffen Alexander den Hof mit Milchkühen, Obst und Gemüse. Ab 1993 wurde dann allmählich von Mischwirtschaft auf Obstbau umgestellt, und 2006 übernahm Alexander Fusco mit seiner Familie den Hof. Das denkmalgeschützte Gebäude war seit Jahrzehnten unbewohnt und in einem beklagenswerten Zustand. Jeder andere mit weniger Sinn für eine jahrhundertelange Tradition und die Seele eines Hauses hätte das alte Gemäuer abgerissen oder einem Neubau weiter verfallen lassen. Nicht so das Ehepaar Fusco. Alexander und seine Frau Emanuela entschieden sich für einen äußerst mühevollen Umbau mit großem persönlichen Einsatz und begannen eine sensible Renovierung in enger Abstimmung mit dem Denkmalamt. Architekt Stefan Gamper, der für seine beachtenswerten modernen Bauten bekannt ist, übernahm die Aufgabe, bei allem Erhalt der alten Struktur zeitgemäße Neubauteile so feinfühlig einzufügen, dass beides -Tradition und Moderne – eine neue Einheit bilden.

Neue Funktion in überkommener Hülle

Im Jahr 2011 erstrahlte der Hof in neuem Glanz und ist jetzt zum Blickfang in einem Dorf geworden, in dem die Zahl der üblichen Neubauten jene der alten bäuerlichen Strukturen längst übersteigt. Der Huberhof ist mit vier geschmackvoll ausgestatteten Wohnungen zum beliebten Ferienaufenthalt für deutsche Gäste geworden, die auf der Suche nach Südtirols Identität sind und hier das finden, was sie sich unter Südtiroler Baukultur vorstellen: die Verbindung von geschichtsträchtiger bäuerlicher Atmosphäre mit moderem Komfort. Moderen Komfort gibt es schließlich fast überall in meist ähnlicher Gestalt. Warum sollte ein Gast nach Südtirol kommen, wenn er Ähnliches auch anderswo, aber vielleicht preiswerter findet? Er sitzt lieber in einer alten Stube als in der der Siematic -Küche seines Gastgebers, die von bäuerlicher Atmosphäre weit entfernt ist.

Was lernen wir daraus?

Atmosphäre ist nur sehr schwer neu zu bauen. Glücklich der Bauherr, der sie mit einem historischen Gebäude gratis mitgeliefert bekommt. Dass ein solcher Umgang mit alter Bausubstanz großen persönlichen Einsatz, qualifizierte architektonische Beratung und vor allem hohe Kosten erfordert, ist klar. Aus diesem Grunde sollten die Fördermittel künftig anders eingesetzt werden. Statt die Allerwelts -Neubauten finanziell zu stützen, sollte eine andere Gesetzgebung die sorgfältige Erneuerung alter Höfe ermöglichen, statt geradezu deren Abriss und den Neubau im Grünland zu provozieren. Damit könnten Südtiroler Baukultur und Identität sowie deren Fortführung in die Moderne gewährleistet werden. Der Huberhof ist ein exzellentes Beispiel dafür.

Andreas Gottlieb Hempel
Dolomiten, 11.12.2012

 

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2 Antworten auf Andreas Gottlieb Hempel: Renovieren statt Abriss

  1. Elisabeth Weber-Selbenbacher sagt:

    Ich finde es sehr gut das alte Bauernhäuser erhalten werden sollen,leider muss mein Elternhaus,wo einst meine Wiege stand weichen.Schade um das alte Gewölbe,Kuchl,Labe und’s Garnile.1934 im September wurde Gottra durch ein Feuer ein Raub der Flammen,1935 wurde es wieder aufgebaut.Mein Vater hat mir erzählt,das in der Labe nur ein einziges Brett erneuert wurde,alle anderen sind noch die gleichen,auch im Garnilan sind noch die alten Bretter erhalten geblieben.Lieber Habra Michl,bitte behalte es bei dir,wir haben schon öfter unter uns Geschwister uns unterhalten,das es uns in der Seele weh tut,wenn es soweit ist und den Erdboden gleich gemacht wird.Liebe Grüße sendet dir Gottra Liese aus HH

  2. forumonline sagt:

    Eigenartig, dass ein Bundesdeutscher Prof. Dipl. -Ing. Architekt und Publizist ausgerechnet uns Südtirolern erklären muss, dass wir eine besonders wertvolle authentische Südtiroler Baukultur haben, die es zu schützen und zu erhalten gilt. Die Bundesrepublik Deutschland hat viele historische Städte nach dem Zweiten Weltkrieg wieder rekonstruiert, zahlreiche Fachwerkhäuser, Ansitze, Burgen und Schlösser zeugen von jahrhundertealter Baukultur und Tradition. In Südtirol hingegen werden denkmalgeschützte Objekte einfach niedergewalzt, der touristische Mehrwert von Ensembles verkannt und gering geschätzt. Dieses Manko ist ein klares Zeichen von mangelndem Geschichtsbewusstsein, Kulturlosigkeit und wohl auch Ausdruck einer fehlgeschlagener Bildungs – und Schulpolitik!

    Michael Burger, Gsies