ff 27/2013, Raumordnung: Weiterwursteln

ff Südtiroler Wochenmagazin 27/04.07.2013 – Statt der einen großen Reform der Raumordnung kommen viele kleine Neuerungen. Landesrat Pichler-Rolle lobt die Vereinfachungen, der Grüne Dello Sbarba spricht von einem „Gesetz der Ausnahmen“.

Geht es dem Ende zu, bekommen es die Menschen eilig. Wurden zu Anfang der laufenden Legislaturperiode Sitzungswochen des Landtages vorzeitig abgeschlossen, wird in der Julisitzung ein fünfter Sitzungstag eingeschoben, um die Reform des Raumordnungsgesetzes noch vor den Wahlen im Herbst zu verabschieden.
Die Eile ist nicht unbedingt verständlich. Seit Anfang der Legislatur wird über die große Reform der Raumordnung gesprochen, an der herumgebastelt wird, seit der strenge Landesrat Alfons Benedikter nicht mehr seine Hand schützend darüber hält. Vier verschiedene Landesräte haben sich seit 2008 daran versucht, seit Februar ist Elmar Pichler-Rolle für den Bereich zuständig. Er will, wenn schon nicht die große Reform, so zumindest ein Reförmchen auf den Weg bringen. Der große Wurf wird, wieder einmal, auf die Zeit nach 2013 verschoben.

Dabei gäbe es viel zu tun, sagt nicht nur Riccardo Dello Sbarba von den Grünen. Er hat sich durch Berge von Papier gearbeitet, hat Gesetzestexte und Abänderungsanträge studiert und als Mitglied der zweiten Gesetzgebungskommission einen Minderheitenbericht verfasst. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich die Unterlagen. Und was er da sieht, gefällt ihm nicht. „Uns wurde eine große Reform versprochen, ohne Ad-hoc-Artikel, ein lesbares Gesetz, nicht Futter für die Anwälte“, sagt er. Die Realität sehe anders aus: „Es ist ein Reförmchen, das alles noch komplizierter macht. Es ist falsch, voller Schweinereien, von denen ich vielleicht erst die Hälfte entdeckt habe.“

Hauptkritikpunkte von Dello Sbarba sind: die Ausweisung von Gewerbezonen aufgrund von privaten Interessen sowie die sogenannte Lex Benko. Bisher war es so, dass die Verwaltung entschied, wo eine neue Gewerbezone entstehen soll. Die Gründe wurden enteignet und den Firmen zugewiesen, die die Erschließungskosten bezahlten.
In Zukunft kann ein Privater auf seinem Grund der Gemeinde eine Gewerbezone vorschlagen. Ist die Gemeinde einverstanden, nimmt das Verfahren, gesteuert von einer Kommission unter Vorsitz der Landesstandortgesellschaft BLS, seinen Lauf. Statt günstig enteignet, wird in Zukunft zum Marktpreis gekauft. Die Gemeinde zahlt außerdem einen Teil der Erschließung. Dello Sbarba befürchtet, dass die Gemeinden dem Druck der Investoren nicht standhalten würden.

Roland Tinkhauser von den Freiheitlichen sagt, das Gesetz komme zehn Jahre zu spät: „Heute müssen wir bestehende Gewerbeflächen an den Mann bringen, bevor wir neue ausweisen.“

Die Lex Benko spiele ebenfalls Privaten in die Hände, sagt Dello Sbarba. Grundsätzlich sei die urbanistische Aufwertung einer Zone eine gute Sache: Es gehe um Sanierung, ein Abkommen mit dem Flächeninhaber, um öffentliches Interesse. Solange die Gemeinde entscheide, wo eingegriffen werde: „Aber im Fall Benko ist das genaue Gegenteil der Fall.“
Der Private schlage der Gemeinde eine Sanierungszone vor, diese müsse entscheiden, ob der Vorschlag von öffentlichem Interesse ist. Einwände von Anrainern sind nicht vorgesehen. Einigt sich der Antragsteller mit dem Bürgermeister, geht die Konvention in den Gemeinderat, der darüber abstimmt. „Ändern können die Räte nichts mehr, sie können nur ja oder nein sagen“, sagt Dello Sbarba. Also würden sie dem Projekt zustimmen, alles andere wäre ein Misstrauensvotum gegen den Bürgermeister. Der Gemeinderat werde entmachtet. Noch dazu sei Benkos Projekt keine Aufwertung: „Wenn es in der Zone einen vom Verfall betroffenen Bereich gibt, ist das die Garibaldistraße. Aber genau diese Gebäude rührt Benko gar nicht an.“

Die Lex Benko ist auch innerhalb des Partito Democratico (PD) und in der Bozner Regierungsmehrheit umstritten. Man habe den Konflikt „à la PD“ gelöst, sagt Dello Sbarba: Alles sei möglich, und nix ist fix. So kann jeder das bekommen, was er möchte. Für die Raumordnung ist das der Tod.

Raumordnungslandesrat Elmar Pichler-Rolle (SVP) sagt, die Materie sei kompliziert, das Gesetz aber nicht. Er lobt vor allem die Vereinfachungen, die es mit sich bringe. So werden die Raumordnungskommissionen, eine der Landschaftsschutzkommissionen und das Forstkomitee in einer einzigen Kommission vereint. „Will man heute einen Wald in einem Schutzgebiet in eine Tourismuszone umwandeln, muss man in alle drei Kommissionen. In Zukunft behandelt eine einzige Kommission alles“, sagt Pichler-Rolle.

Neu ist auch der Ablauf vieler Verfahren. Leitete bislang der Gemeinderat das Verfahren zur Umwidmung, etwa von Wald in Wiese, ein, liegt die Zuständigkeit in Zukunft beim Gemeindeausschuss. Laut Pichler-Rolle bringe das mehr Transparenz. Bei Durchführungs- und Wiedergewinnungsplänen geht die Entscheidungsgewalt bei Gemeinden über 10.000 Einwohner an den Gemeindeausschuss über, in kleineren entscheidet weiter der Gemeinderat. Das gesamte Verfahren sei öffentlich, es gebe Einspruchsmöglichkeiten, und es stehe im Einklang mit dem Regionalgesetz.

Dello Sbarba sieht das anders: „Die Vereinfachungen nützen nur den Starken und den Freunden der Freunde, für den einfachen Bürger bleibt nur die übliche Schikane.“
Die Kritik geht noch weiter. Die ab sofort mögliche Umwandlung von Hotels in Wohnungen und die Verlegung von Höfen, bei denen mehr Kubatur geschaffen wird, sei abzulehnen, so Dello Sbarba. Auch an der Form gibt es Kritik: „Das Gesetz ist ein Omnibus und muss so behandelt werden, das heißt, dass die einzelnen Abschnitte in die entsprechenden Kommissionen kommen“, sagt Roland Tinkhauser. Eine Verletzung der Geschäftsordnung des Landtages sei es auch, wenn mit Abänderungsanträgen ganze Gesetze neu eingebracht würden und die entsprechende Dokumentation fehle. „Auf einmal ist ein Gesetz über gentechnisch veränderte Organismen enthalten. Was soll das? Diese Gesetze haben keine Dringlichkeit.“ Das Gesetz habe zudem unübersehbare Auswirkungen auf das bestehende Raumordnungsgesetz, sagt Dello Sbarba: „Allein Artikel 3 dieses Gesetzes ändert 30 Artikel des Raumordnungsgesetzes.“

Roland Tinkhauser will die Vertragsurbanistik neu geregelt wissen, die selten in öffentlichem Interesse erfolge.

Selbst in der SVP haben nicht alle Freude mit dem Gesetzentwurf. „Es ist nicht der große Wurf“, sagt etwa Arnold Schuler, der vor einem Jahr als Raumordnungslandesrat vorgesehen war. „Aber das war vorherzusehen, man hätte Michl Laimer gleich nachbesetzen müssen.“ Stattdessen kümmerten sich Luis Durnwalder und Hans Berger um das Ressort, bevor Pichler-Rolle übernahm.

Besonders den Hoteliers schmeckt gar nicht, dass in Zukunft acht statt sechs Zimmer oder fünf statt vier möblierte Wohnungen als Urlaub auf dem Bauernhof angeboten werden können. Besonders kleine Hotels der unteren Kategorien leiden unter der Konkurrenz. Manfred Pinzger, Obmann des Hoteliers- und Gastwirteverbandes (HGV) und bis vor kurzem SVP-Senator, kritisiert die „zusätzlichen Erleichterungen unter total anderen Voraussetzungen“ und meint damit die Vorteile bei Steuern und Sozialabgaben, die Bauern genießen. „Bei Kleinbauern auf dem Berg meinetwegen, aber mit den Vorteilen für die Obstbauern in der Ebene muss endlich Schluss sein.“

Schließlich ist man sich uneins, ob man sich bei baulichen Änderungen, die weniger als 20 Prozent der Baumasse ausmachen, den Gang in die Baukommission in Zukunft sparen kann. Es entscheiden nur mehr Bauamt und Bürgermeister.

Ob die Reform der Raumordnung Gesetz wird, entscheidet sich nächste Woche. Es geht das Gerücht, dass das Gesetz erst einmal auf das Abstellgleis geschoben wird. „Aber Pichler-Rolle will es durchziehen, damit er etwas vorweisen kann“, vermutet ein Landtagsabgeordneter.

Es wird knapp: Über 27 Artikel muss abgestimmt werden. Dazu kommen 231 zu behandelnde Abänderungsanträge. Ein solides und durchdachtes Gesetz sieht anders aus.

Matthias Mayr

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