Sexten: Fritz Gurgiser an Hans Peter Stauder

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Hoher Frauentag 2013 – ein Brief an meinen Freund Hans Peter Stauder.

Der Kahlschlag – ein Mahnmal: Nicht eine Mure war am Werk, nicht ein Windwurf hat „kahlgeschlagen“, es waren kurzfristig denkende – und angeblich gar steuergeldsubventionierte – Profitgeier als Auftraggeber am Werk, denen das „Maß“ abhanden gekommen ist, denen die „Seele des Landes“ fremd ist, wie sie Altbischof Reinhold Stecher beschrieben hat und die uns allen wichtig sein muss; heute, morgen und übermorgen. Denn wir haben unsere Heimat nur einmal, eine zweite können wir nicht aus dem Ärmel schütteln.
Ein Befund zur aktuellen Situation im Umgang mit unserem gemeinsamen Naturerbe am Beispiel Sexten. 

Lieber Hans Peter,
würde der alte Grundsatz „Aug um Aug, Zahn und Zahn“ gelten, müssten die Auftraggeber – die lauten und die stillen – wohl genauso umgesägt und ein paar Tage liegen gelassen werden. Nun, das geht heute nicht mehr, wie wohl der Gedanke daran ja nicht verboten sein kann.

Es zeigt sich, dass die Seite, die ihre Raubinteressen an der Natur durchsetzen will, gelernt hat: Sie „scheißt“ sich nichts mehr, sie nützt legal jede juristische Möglichkeit aus (die ihr, wie in diesem Fall, von einem Richter unwissentlich oder wissentlich eingeräumt wird). Denn sie kennt keine Rücksicht und Moral, Anstand oder Charakter sind ihr ohnedies fremd geworden. Das ist es, was uns in vielen Bereichen immer wieder in die zweite Reihe stellt.Weil viele von uns noch an „Recht“ glauben, wenn längst „Unrecht“ geübt wird und eine alte Regel vergessen haben: „Dort, wo Recht zu Unrecht wird, ist Widerstand Bürgerpflicht“.

Weil viele von uns noch glauben, mit Einsprüchen oder anderen juristischen (teuren und müde machenden!) Möglichkeiten lebenswerte und auch langfristig wirtschaftlich vernünftige Interessen durchsetzen zu können (diese Naturzerstörung um jeden Preis ist keine langfristige wirtschaftliche Perspektive in einer Zeit, in der Wachstum neu zu definieren ist).

Weil viele von uns noch glauben, die anderen hätten noch ein Mindestmaß an Respekt im Umgang miteinander und im Umgang mit dem gemeinsamen Erbe und Kapital, unserer unwiederbringlichen Natur.

Das ist längst ein gefährlicher Irrglaube geworden, der offen diskutiert werden muss, sonst werden solche „unappetitlichen Wochenendschlägereien“ zum Standard der Natur- und Umweltzerstörer. Auch wenn sie mitten in der Saison vor genau denen durchgeführt werden, denen dieselben „Schläger“ (nicht die für diese Schandtat missbrauchten Arbeiter, sondern die Auftraggeber und im Hintergrund schiebenden und möglich machenden politischen Paten) die „heile Bergwelt“ mit Ruhe, Erholung, gesunder Luft und gesundem Wasser, versprechen.

Wenn ein Samstag und Sonntag unter größtmöglichem technischen Einsatz und größtmöglicher politischer und rechtlicher Duldung für so einen Kahlschlag genügen, dann werden nicht nur Bäume gefällt: Dann werden in einem Akt auch die Demokratie, das Miteinander und der Dorffrieden gefällt – ein neuer „Stil hält Einzug“. Wollen wir ihn dulden?

Das Bild werden wir uns als Mahnmal nehmen, um in den eigenen Reihen die Träumer von Demokratie, von Recht, von Diskussion, vom Miteinander aufzuwecken; um nicht schreiben zu müssen, ihnen dieses Bild so lange um die Ohren zu schlagen, bis auch die dümmsten unter ihnen merken, dass es anders geworden ist. Kälter, gnadenloser und rücksichtsloser geworden ist.

Als nationaler und internationaler Preisträger für Natur- und Umweltschutz bin ich über diesen Kahlschlag an der Natur auf der einen, vor allem aber über diesen Kahlschlag in der demokratie- und rechtspolitischen Auseinandersetzung auf der anderen Seite, sehr betroffen und noch mehr zornig. Weil ich spüre, dass es auch einem Kahlschlag in den Herzen aller entspricht, die sich seit Jahren und Jahrzehnten mit ihrem angeborenen und vererbten „Herzbluat“ für ein geordnetes Miteinander zwischen Naturschutz auf der einen Seite und Naturnutzen zum Wohler ALLER auf der anderen Seite einsetzen und engagieren. Im Gegensatz zu einer kleinen „Ehrenwerten Gesellschaft von ewiggestrigen Wachstumsträumern“. Wie schlecht muss es ihnen wohl gehen, dass sie zu solchen Mitteln greifen müssen und sich angeblich auch noch öffentlich darüber freuen, statt sich bis zum Erdmittelpunkt zu schämen. Oder, auch das kann ja sein wie anders wo, wie gut muss es ihnen gehen, dass sie unbedingt mit „Gewalt investieren“ müssen – nach dem überlieferten und nie bestrittenem Motto: „Lieber etwas Sinnloses bauen, als die Gewinne zu versteuern“.

Einer „Ehrenwerten Gesellschaft“, die meint, sie würde dieses Land nur deshalb für kurze Zeit bewohnen, um Gelder anzuhäufen und dabei vergisst, dass ihr ganzes Geld nichts mehr nützt, wenn die letzte Stunde geschlagen hat.

Dann gilt auch für sie eine unumstößliche Regel: „Das letzte Hemd hat keine Tasche“ – sie müssen all das zurücklassen, was sie ihr Leben lang zusammengerafft haben und über ihrem Totenbett kreisen keine Geier, sondern viel schlimmer: Die lieben Erben.

Die einen wollen das zusammengeraffte „Erbe“ weiter anhäufen und die andern verprassen es; wie erbärmlich muss so ein Leben sein, wenn am Ende all das Raffen umsonst war und sich der Unterschied zu uns höchstens in einem besseren Grabstein ausmacht; falls der Geiz der Erben den besseren Grabstein überhaupt zulässt.

Diese Rücksichtslosigkeit, diese Respektlosigkeit und diese politische Packelei im Hintergrund aber gilt es anzuprangern und die eigenen Strategien zu überarbeiten. Denn dieses Beispiel steht für viele andere Bereiche auch in allen Teilen unseres Landes Tirol, wo es darum geht, aus angeblich „übergeordneten Interessen“ (die nie näher definiert werden können, sondern einfach behauptet werden) die Grundrechte der BürgerInnen zu beschneiden, sie ihnen schlichtweg zu stehlen und zu rauben und aktiven Natur- und Umweltschutz im Interesse der nächsten Generationen sowie einer Tourismuswirtschaft, die auf Qualität setzt, zu zertrampeln. Oder wie in diesem Fall sich mit „Raupen in den Wald zu fressen“.

Gerade jetzt müssen wir hinschauen und sind es uns selbst schuldig. Und sollten auch unseren Altbischof Reinhold Stecher nicht vergessen, dessen Erbe wir im Herzen weitertragen und der gesagt hat:

„Wir müssen in Tirol mit der Natur Maß halten,
damit wir nicht auf einen Verlust der Seele des Landes zusteuern.
Wenn wir die Natur verachten, sägen wir unseren eigenen Ast ab“.

In diesem Fall wurde nicht nur ein Ast, sondern gleich ein ganzer Wald abgesägt und der Region sowie dem Land Schaden zugefügt, ohne den Rechtsweg abzuwarten. Ganz besonders unanständig wird diese Vorgangsweise, wenn sie von uns allen noch mit unserem schwer erwirtschafteten Steuergeld hoch subventioniert wird, wie geschrieben wird: Die große Herde wird gemolken,  um ein paar Turbokühe zu mästen – das kann es wohl nicht sein.

LG
Fritz Gurgiser
Konrad Lorenz-Staatspreisträger für Natur- und Umweltschutz
Großer Binding Preisträger für Natur- und Umweltschutz
www.transitforum.at
www.gurgiser-team.at

Hintergrund:
http://www.salto.bz/de/article/11082013/harzblut

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