Sexten. Aus ff 34 vom 22. August 2013 Die Hauruck-Aktion. Kommentar Fritz Gurgiser

Nach den Holzschlägerungen für den geplanten Zusammenschluss der Skigebiete Helm und Rotwand im Hochpustertal üben sich Befürworter und Gegner des Projekts im Grabenkampf. Darf man von einem Déjà-vu sprechen? Dem Gefühl, eine Situation schon einmal erlebt zu haben? Die solcherart erlebte Situation liegt neun Jahre zurück und hatte für landesweite Schlagzeilen gesorgt. Gewissermaßen über Nacht hatte damals ein Baggerunternehmer (und Ortsbauernbundobmann) einen Fahrweg auf die im Natura-2000-Gebiet liegende Dickeralm auf dem Naturnser Sonnenberg gebaggert – um einer drohenden Einstellung der Arbeiten durch das Verwaltungsgericht zuvorzukommen. Der Baustopp folgte auf dem Fuß, doch der Fahrweg im ökosensiblen Gebiet war bereits gebaggert. Für die Auslösung des Déjà-vus hat kürzlich die Sextner Dolomiten AG gesorgt. Am Samstag vorvergangener Woche hatte die Liftbetreiber-Gesellschaft eine ganze Kohorte von Baumfällern in den Wald zwischen der Sextner Fraktion Moos und den Kreuzbergpass beordert – um zwei breite Schneisen für neue Pisten schlagen zu lassen. Diese sollen das Skigebiet Helm mit jenem der Rotwand verbinden. Als am Montag darauf das Verwaltungsgericht auf Antrag der Umweltschützer die Bauarbeiten stoppte, war das Werk bereits vollbracht, die Schneisen im Ausmaß von zehn Hektar vollständig geschlagen. Damit erreichte der Kampf um den Zusammenschluss der beiden kleinen Skigebiete Helm und Rotwand seinen vorläufigen Höhepunkt. Während die Sextner Skiliftbetreiber es über Nacht landesweit zu unrühmlicher Bekanntheit gebracht hatten, stiegen die Umweltschützer auf die Barrikaden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit, ob die Aktion rechtens war. Seitdem bleiben sich die Akteure im possenreichen Spiel nichts schuldig, eine Presseaussendung jagt die andere, es gibt Unterstellungen und Lügenvorwürfe. Während man sich im Hochpustertal im Grabenkampf übt, hat der Konflikt eine landesweite Dimension angenommen. Zum einen weil er von seiner Dynamik her an ähnlich gelagerte Fälle im Land erinnert (etwa an die Errichtung der Raut-Piste im Skigebiet Helm); zum anderen weil sich Vereine, Verbände und nun auch die Politik an dem Fall reiben und profilieren können. Sexten ist so gesehen überall im Lande. Die Frage, ob wir sorgsam genug mit unserer Landschaft umgehen, bleibt politisch unbeantwortet. Dürfen wir Aufstiegsanlagen in noch unberührte Berghänge bauen? Im aktuellen Landschaftsleitbild des Landesentwicklungsplans (Lerop) heißt es: „Es sollen keine neuen Skigebiete und keine weiteren Zusammenschlüsse bestehender Skigebiete vorgesehen werden. Auch eine weitere Ausdehnung in ökologisch und landschaftlich sensible Bereiche ist untersagt.“ Der Fall Sexten offenbart eine altbekannte Problematik: Auf der einen Seite stehen wirtschaftliche Forderungen, auf der anderen Seite die Ressource Natur, die es zu schützen gilt. Ein schwieriger Spagat. Auf Lokalaugenschein im Hochpustertal. Auf halbem Weg zwischen Sexten und dem Kreuzbergpass, der in das bellunesische Val Comelico führt, befindet sich die Talstation der sogenannten Signaue-Piste unterhalb der Rotwandspitze. Einen Steinwurf entfernt und nur vom vorbeifließenden Sextner Bach getrennt, liegt der Ausgangspunkt jener Schneise, die man am vorvergangenen Wochenende in den kompakten Wald unterhalb des sogenannten Stiergartens geschlagen hat. Bis weit den Berg hinauf liegt ein Meer von geschlägerten Bäumen am Boden, der Bereich der geplanten neuen Talstation ist bereits planiert. Touristen stapfen durch das Gehölz auf der Suche nach dem Wanderweg Nr. 139, der hier noch vor zwei Wochen vorbeiführte; zwei Mountainbiker schieben ihre Räder zwischen die stillstehenden Bagger, bleiben stehen und betrachten einigermaßen konsterniert die trostlose Szenerie. Seit das Bozner Verwaltungsgericht nach der Hauruck-Aktion der Skiliftbetreiber-Gesellschaft die Bauarbeiten auf Antrag von World Wildlife Fund und Dachverband für Natur und Umweltschutz ausgesetzt hat, hat sich eine gespenstische Ruhe über das Areal gelegt. Sie wird zunächst bis kommenden 24. September andauern. An diesem Tag soll verhandelt werden, man erhofft sich definitiv Klarheit in der Streitsache Skigebietsverbindung. „Das ist ein Gewaltakt gegen die Natur“, sagt Hans Peter Stauder. Der Vertreter der oppositionellen Bürgerliste im Sextner Gemeinderat und historischer Gegner des Skiverbindungsprojekts Helm-Rotwand spricht von „Machtarroganz“ und von „Rechtsmissachtung“ der Skiliftgesellschaft. Für ihn hat man mit der Aktion vollendete Tatsachen schaffen wollen. Stauder zeigt auf den Bergrücken in Richtung der Sextner Fraktion Moos und meint: „Die zweite Trasse, die man in den Wald geschlagen hat, sieht man von hier aus gar nicht. Sie stellt die Verbindung zur Helm-Piste dar.“ Dreimal, so sagt der Naturschützer, habe seine Bürgerliste im Gemeinderat eine Volksbefragung zum Projekt beantragt – und dreimal sei man damit bei der Dorf-SVP abgeblitzt. „Man behauptet, die große Mehrheit der lokalen Bevölkerung stehe hinter dem Zusammenschluss. Ja, warum hat man sich dann nicht gleich die Zustimmung von den Bürgern geben lassen und einen Volksentscheid gefürchtet?“, fragt sich Stauder. Tatsächlich hat es 1997 bereits einmal eine Volksbefragung gegeben. Sie betraf allerdings ein einzelnes Liftprojekt nahe der bestehenden Helm-Piste. Der Volksentscheid fiel damals negativ aus. „Wir konnten damals glaubhaft machen, dass es sich dabei um einen ersten Baustein eines Zusammenschlusses der Skigebiete Helm und Rotwand handelte“, interpretiert Stauder nachträglich das Njet der Sextner Bürger. In der Außenstelle der Sextner Dolomiten AG bei der Talstation der Helm-Bahn sieht man die Sachlage naturgemäß anders. Mark Winkler, der Geschäftsführer der Skibetreiber-Gesellschaft, ist beim ff-Besuch am vergangenen Freitag damit beschäftigt, eine Presseaussendung vorzubereiten, die den Anschuldigungen der Kritiker Paroli bieten soll – „auf fundierten Grundlagen“, wie Winkler sagt. Noch am selben Tag will er es auch einem Fernsehteam des Senders Bozen der Rai in die Hand drücken, das auf Intervention seitens der Dolomiten AG hin anrückt. „Man muss doch beide Seiten zu Wort kommen lassen, oder?“, meint Winkler und suggeriert damit, dass bislang die Umweltschützer medial die Oberhand hatten. Für ihn steht natürlich die große Mehrheit der Sextner hinter dem Zusammenschluss der Skigebiete Helm und Rotwand. Man sei als Betreiber der Skigebiete Haunold (Innichen), Helm, Rotwand und der Skiarena Val Comelico hinter dem Kreuzbergpass ein wichtiges Rad im lokalen Wirtschaftsmotor. Und schließlich würden rund 80 Prozent der Arbeitsplätze mit der lokalen Tourismuswirtschaft zusammenhängen.Dass man sich mit der Hauruck-Aktion marketingstrategisch landesweit einen Image-GAU eingehandelt hat, will Winkler nicht erkennen. „Es ist zu früh, Bilanz zu ziehen, immerhin kennt man uns jetzt.“ Und dann räumt der agile Manager mit einem Vorwurf auf, der die AG seit der Holzschlägerung auf Schritt und Tritt begleitet. Man habe mit der allseits beanstandeten Wochenendaktion nichtnichten einem möglichen Baustopp durch das Verwaltungsgericht zuvorkommen wollen. „Unser Fahrplan für die neue Aufstiegsanlage ist seit dem vergangenen 6. Juni derselbe“, sagt Winkler. Zum Beweis legt er eine Mail vor, die er an jenem Tag dem Rechtsanwalt der Sextner Dolomiten AG, Dieter Schramm, zukommen ließ. Tatsächlich heißt es darin: „Samstag, 10. August, 12 Uhr. Beginn der Holzschlägerarbeiten.“ „Man wirft uns eine hinterhältige Aktion vor. Aber wie, bitte, organisiert man 34 Waldarbeiter, 30 Assistenten und knapp ein Dutzend schwere Geräte wie Bagger in einem Tag?“, fragt Winkler. Auch verbittet man sich in der Sextner Dolomiten AG jegliche Vergleiche mit anderen Fällen im Lande, wo ohne Genehmigungen über Nacht vollendete Tatsachen geschaffen wurden. „Wir haben sämtliche erforderliche Genehmigungen, von der positiven UVP bis zur Baukonzession, von der positiven Beurteilung des Projekts durch den Umweltbeirat bis zum positiven Bescheid der Landesraumordnungskommission“ (für die Abänderung des Fachplanes, Anm. d. Red.), sagt Winkler. Und er ergänzt: „Wir sind rechtlich in Ordnung, haben aber keine Rechtssicherheit.“ So viel ist klar: Der Streit, der seit 2010 schwelt, ganze Ordner füllt und alle nur erdenklichen verwalterischen Verfahrensebenen durchlaufen hat (mit durchaus kuriosen Kapriolen), wird mittlerweile hauptsächlich auf emotionaler Ebene geführt. Das ist auch das Dilemma in der aktuellen Diskussion. Jede Seite hat mittlerweile ihre eigene Facebook-Seite eingerichtet und rechnet sich gegenseitig die Zahl der Fan-Gemeinde vor: Von Schwindel ist die Rede, ja von gehackten Seiten.Mittlerweile melden sich parteiergreifend landesweit Vereine und Verbände wie der Verband der Handwerker zu Wort, Landesräte und Oppositionsparteien sowieso. Der Weg zu einer sachlich geführten Diskussion ist verstellt. Zu Fragen nach Sinn und Unsinn des geplanten Projekts etwa, Fragen nach der Wirtschaftlichkeit. Die Sextner Dolomiten AG weist in ihrer Bilanz (2011) Schulden in Höhe von rund 28 Millionen Euro aus. Die neue Verbindung soll zwischen 27 und 28 Millionen Euro kosten. Das Land hat einen Zuschuss zwischen 7 und 8 Millionen Euro zugesichert. Ist das neue Projekt bei einem Umsatz von knapp 13 Millionen Euro so einfach realisierbar?, fragen wir nach. „Das ist es“, sagt Winkler bestimmt. Man habe eine stolze Verschuldung, aber auch einen stolzen Cashflow (Umsatz minus Kosten), der bei 32 Prozent liege. Und außerdem gebe es eine große Vision. Die Vision, die die Gesellschaft umtreibt, ist ein großer Zusammenschluss der einzelnen Skigebiete. Da ist zum einen der Zusammenschluss mit den kleinen Liftanlagen in Val Comelico über den Kreuzbergpass. Und schließlich wartet man auch jenseits der Grenze im Osttiroler Sillian auf die Möglichkeit eines Zusammenschlusses, wie der dortige Bürgermeister Erwin Schiffmann bestätigt. „Die Vision einer großen Skischaukel Sexten-Sillian haben wir schon seit Jahren“, sagt Schiffmann – und bestätigt, dass eine Gesellschaft bereits in den Startlöchern stehe. Sie nennt sich „Erlebniswelt Dolomiten“. Ein Gesellschafter ist der Unternehmer Franz Kraler („Hella Markisen“), ein weiterer der Innichner Speckkönig Franz Senfter. Dessen gleichnamige Holding ist bereits Hauptaktionär bei der Sextner Dolomiten AG (21,3 Prozent). Ob eine Verbindung über die ökologisch sensiblen Hänge am Karnischen Höhenweg auch umweltverträglich ist, steht auf einem anderen Papier. Sicher ist: Man möchte die Dolomiten auch weiterhin als Erlebniswelt anpreisen.

Markus Larcher

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2 Antworten auf Sexten. Aus ff 34 vom 22. August 2013 Die Hauruck-Aktion. Kommentar Fritz Gurgiser

  1. forumonline sagt:

    tz-online. Kommentar zu „Totholz“

    Guenther
    23. August 2013 um 11:54

    tja, informier du dich mal besser – warst Du schon mal im Wald? Benutze einfach mal deine Augen!

    u.a.: “Totholz wird durch eine Vielzahl von Organismen genutzt, die sich im Laufe der Evolution an diesen Lebensraum angepasst haben. Je nach Holzart und Stand des Verfallsprozesses sind etwa 600 Großpilzarten und rund 1350 Käferarten an der vollständigen Remineralisierung eines Holzkörpers beteiligt. Zwischen Pilzen und Insekten bestehen unterschiedlichste Abhängigkeiten. Insekten übertragen Pilzsporen auf den Holzkörper, die Pilze können wiederum Nahrungsquelle und Teillebensraum für Insekten sein.

    Dies führt dazu, dass jeder Totholztyp (ob liegend oder stehend, Stamm- Kronenholz oder Holzart) mit seiner eigenen Flora und Fauna assoziiert ist. Es entstehen Lebensgemeinschaften in der Rinde, im Holz, im Baummulm, in Baumhöhlen und in Sonderstrukturen wie Saftflüssen, Ameisennestern oder Brandstellen.

    Viele Tiere und Pflanzen, die auf Totholz angewiesen sind, stehen auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten. Diese Arten sind in ihrer Lebensweise hochgradig auf bestimmte Zerfalls- und Zersetzungsphasen von Holz angewiesen. Pilze, Flechten, Moose, Farne und viele Insektenarten, wie etwa Ameisen, Hautflügler und Schmetterlinge finden hier ihre Habitatnische. Der überwiegende Teil unserer 1000 Wespen- und Bienenarten ist auf Alt- und Totholz angewiesen.”

    siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Totholz

    Antworten

  2. forumonline sagt:

    Sehr geehrter Herr Larcher,

    Frau Aschbacher hat mich an Sie verwiesen und daher meine persönliche Bitte als langjähriger Abonnent und nach dem Online-Lesen Ihrer heutigen „Hau-Ruck“ Beitrags:

    Bitte legen Sie noch einmal satt nach, denn dem Vernehmen nach werden mittlerweile durch eine „landesforstwirtschaftliche Genehmigung“ die geschlagenen Bäume wegen der „Borkenkäfersorge“ entfernt (als ob die plötzlich mitten im Sommer auftreten – wird also eine spezifische Sextener Spezies sein) und parallel dazu sollen bereits Betonierarbeiten für Stützen im Gang sein. Die sind allerdings strikt untersagt, soweit ich informiert bin.

    Es ist mehr als nur ein Kahlschlag von Bäumen, da wird jede Auseinandersetzung und Diskussion mit der Motorsäge zerschnitten und der Gipfel der Unverfrorenheit ist wohl, dass dieses unerträgliche, demokratiefeindliche Verhalten auch noch zwangsweise vom Steuerzahler finanziert werden soll. Wobei die Frage offen bleibt, ob das Projekt so grottenschlecht ist, dass es ohne Steuermittel nicht auskommt oder ob es sich halt um eine Zuwendung unter „amici“ handelt, wie sehr oft kolportiert und behauptet wird.

    Sei dies wie es sei – in jedem Fall ist diese Vorgangsweise und die Art des Umgangs miteinander keinesfalls eine, die auch noch mit Steuermitteln „gefördert“ werden muss. Es wäre ein Gebot der Stunde, diese Mittel anderweitig zu verwenden, ich denke, es gibt auch im Süden des Landes Tirol genug Familien, die Null Verständnis dafür haben, dass für solche Projekte Millionen an Steuergeldern verschenkt werden, während sie selbst am Rande der Armutsgrenze dahinwursteln müssen.

    Ich verweise schlussendlich auf einen, den zumindest wir rund um die Uhr im Herzen mittragen, unseren Reinhold Stecher, dessen Standpunkt wir in Fragen des Natur- und Lebensraumschutzes weitertragen.

    mfg
    Fritz Gurgiser