ff 09/2014: Der Akt Brandstätter

ff Südtiroler Wochenmagazin, 27.02.2014 – Mehr als ein Dutzend Südtiroler Agenten arbeiteten in den Zwanzigerjahren für den Faschismus. Ein neues Dokument belegt, dass mit harten Bandagen gearbeitet wurde.

Der Akt trägt das Datum 4. März 1926 und ist 13 Seiten lang. Er enthält die Namen von 348 Boznern und deren entrichtete Gemeindesteuern. Diese Bürger, Hoteliers, Geschäftsleute, Handwerker, Bauern und Angestellte hatten, so geht aus dem Schreiben hervor, einen Rekurs gegen das Cesare-Battisti-Denkmal unterschrieben. Darunter bekannte Namen: etwa der Hotelier Franz Staffler, der Geschäftsmann Erich Amonn, der Rechtsanwalt Anton von Walther und der ehemalige Bozner Bürgermeister Julius Perathoner. Sie alle wehrten sich gegen den Bau des Denkmals, des heutigen Siegesdenkmals.

„Das Schreiben ist ein eindrucksvolles Zeugnis für den passiven Widerstand im Bozen der Zwanzigerjahre“, sagt ein Südtiroler Historiker. Die originale Liste mit den Unterschriften gegen das Siegesdenkmal ist nicht erhalten. Sie findet sich in diesem wertvollen Akt, einer Denunziationsliste, unterschrieben mit „Brandstätter, Comdt.“ und gerichtet an die Präfektur Bozen. Der Historiker zieht es vor, nicht genannt zu werden, da der Verfasser der Denunziationsliste aus dem Jahr 1926 den Nachnamen Brandstätter trägt. Der Historiker möchte anonym bleiben.

Kommandant Karl Brandstätter war der Großvater von Gerhard Brandstätter, heutiger Präsident der Stiftung Sparkasse und namhafter Bozner Rechtsanwalt. Im Gespräch mit ff bittet er darum, ausgewogen und korrekt über den Großvater zu berichten, der ein „überzeugter K.u.k.ler gewesen“ sei. Davon zeuge ein Bild, das den Großvater bei einem Empfang des österreichischen Kaisers auf dem Bozner Musterplatz zeigt.

Gerhard Brandstätter erzählt, sein Großvater sei um die Jahrhundertwende aus Kärnten nach Innsbruck und später nach Bozen gezogen. In Innsbruck sei Karl Brandstätter Chef der Fechtschule gewesen, bis er in Bozen eine Ausschreibung für den Posten des Kommandanten der städtischen Polizei gewonnen habe.

Als der Krieg für Österreich verloren war und Südtirol Italien zugeschlagen wurde, „brach für meinen Großvater eine Welt zusammen“, sagt Gerhard Brandstätter. Trotzdem blieb er Stadtkommandant – auch noch nachdem Bürgermeister Julius Perathoner im Oktober 1922 abgesetzt worden und an seine Stelle eine faschistische Stadtverwaltung getreten war. „Was hätte er auch anderes tun sollen?“, fragt Gerhard Brandstätter.

Widerstand sei nicht möglich gewesen, also habe sich Karl Brandstätter gefügt und seine Pflicht erfüllt, wie so viele damals. 1926 trat Karl Brandstätter in den Ruhestand, er starb 1930.

Die Agenten der Präfektur Bozen beschrieb bereits der Meraner Historiker Leopold Steurer. Im Buch von Gerald Steinacher „Im Schatten der Geheimdienste“ nennt Steurer 19 Vertrauensmänner, die im Dienste der Präfektur standen. Ihnen war die Aufgabe übertragen worden, politisch wichtige Informationen zu sammeln. Unter einem Decknamen schickten sie ihre Berichte wöchentlich an eine Deckadresse: „Signor Zustowitsch Vid – casella postale 149, Bolzano“.

Das Material erhielt der Quästor von Bozen, Ercole Conti, der es zusammen mit dem Präfekten sichtete, auswertete und an die politische Polizei nach Rom sandte.
Von diesen 19 Agenten, schreibt Steurer, „waren es allenfalls drei, die mit ihren Mitteilungen einigermaßen den Anforderungen eines effizienten politischen Nachrichtendienstes“ entsprachen: Giovanni Füstöss, Deckname „Sport“, Hans Pernthaler, Deckname „XY“ und eben Karl (Carlo) Brandstätter, Deckname „Capa“.
Die restlichen 16 Vertrauensmänner der Präfektur können „eigentlich nur als inkompetente Hochstapler beschrieben werden, die zum Teil nicht einmal imstande waren, einen ganzen Satz richtig zu schreiben, geschweige denn, ihrer Aufgabe gerecht zu werden“ (Steurer). Dafür leisteten die drei Erstgenannten ganze Arbeit.

1. Giovanni Füstöss, „Sport“. Er war nach dem Ende des Krieges nach Bozen gekommen und arbeitete als Journalist bei der von den Faschisten eingerichteten Druckerei und Nachrichtenagentur „Tipografia Eco“. Wöchentlich erstellte Füstöss eine Presserundschau über Italien und nannte speziell Südtirol betreffende Berichte. Er arbeitete professionell, gelegentlich schafften es einige seiner Meldungen zur OVRA in Rom, die sie auch an andere Stellen weiterleitete. Die OVRA (Opera Volontaria per la Repressione dell’Antifascismo) war die von Mussolini aufgebaute geheime politische Polizei, die zum Vorbild der berüchtigten Gestapo in Adolf Hitlers Drittem Reich werden sollte. Giovanni Füstöss war, das bestätigt der Bozner Historiker Giorgio Delle Donne, der Vater von Ermanno Füstöss, der 1995 für Forza Italia für das Amt des Bürgermeisters in Bozen kandidierte.

2. Hans Pernthaler, „XY“. Der Eisenbahner übersiedelte 1925 von Südtirol nach Innsbruck. Dort nahm Pernthaler Kontakt zu politisch rechts stehenden Kreisen auf: Turnerbund, Heimwehr, Andreas-Hofer-Bund. In der Folge arbeitete er als Informant für die Bozner Präfektur und berichtete über die Aktivitäten von Heimwehr und Hofer-Bund in Südtirol. Hans Pernthaler habe sich laut Historiker Steurer dabei als „kluger Beobachter der Situation“ erwiesen.

3. Karl (Carlo) Brandstätter, „Capa“. Er verkehrte offenbar viel in Kreisen des Bozner Bürgertums. Immer wieder berichtete er von der ,pangermanistisch-irredentistischen Einstellung‘ der Bozner Kaufleute, Intellektuellen und Freiberufler; über private Zusammenkünfte zwischen Mitgliedern und Freunden des aufgelösten Deutschen Verbandes; und vor allem aber über die Einrichtung und Abhaltung von ,Katakombenschulen‘. Im Buch „Im Schatten der Geheimdienste“ heißt es über Karl Brandstätter: „Seine Berichte waren zumeist in einem auffallend unterwürfigen, sich anbiedernden Stil gehalten, enthielten nicht selten auch abfällige Bemerkungen über den Charakter beziehungsweise die beruflichen Qualifikationen der observierten Personen und schlossen oft mit der Floskel: ,Del resto tutto è quieto e tranquillo e tutto va bene per la causa italiana‘.“

Gegen die italienische Sache war auch der Rekurs der 348 Bozner gerichtet. Seine Unterschrift gegen das Siegesdenkmal zu leisten, war im März 1926 ein mutiger Schritt. Einen Monat zuvor hatte die Abgeordnetenkammer in Rom beschlossen, in Bozen ein faschistisches Denkmal zu errichten. Diktator Benito Mussolini machte persönlich den Vorschlag, das Siegesdenkmal anstelle des in Teilen erbauten Kaiserjäger-Denkmals zu errichten. Drei Millionen Lire wurden für den Bau gesammelt.

Die Bozner erwiesen sich als wenig spendabel, wohl auch deswegen listete Karl Brandstätter die entrichteten Steuern der Rekurssteller auf.
Die Denunziationsliste wird eines der zentralen Dokumente im neuen Dokumentationszentrum unter dem Siegesdenkmal sein, das voraussichtlich im Frühsommer eröffnet wird.

Karl Hinterwaldner

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