Josef Stricker über die Empörungsdemokratie

Katholisches Sonntagsblatt, 16.03.2014 – -> Interview salto.bz

Politik in Schieflage. In Leserbriefen, Höreranrufen, Internetforen stürzen sich aufgebrachte Bürger auf Politker und knüppeln sie verbal nieder.

Erleben wir den Übergang von der Mediemdemokratie zur digitalen Empörungsdemokratie? Die Öffentlichkeit wird von Aufregungsmeldungen regelrecht überflutet. Wer das Wort Skandal bei Google eingibt, erhält über 16 Millionen Treffer. Kein Thema bisher hat die Gefühle so vieler Südtiroler derart in Wallung gebracht wie die ausgehandelte Neuregelung der Pensionen für Regionalratsabgeordnete. Einige Überlegungen dazu.

Die Politiker

Ich bin dafür, dass Abgeordnete gut bezahlt werden. Ich halte nichts von Minimalvergütungen. Die für den Landtag bis dato geltende Pensionsregelung geht in der Substzanz auf die 60er -Jahre zurück. In der Zwischenzeit sind zwar mehrere Reformanläufe gemacht worden, eine grundlegende Neuausrichtung ist allerdings ausgeblieben.

Vor zwei Jahren ist jener Kompromiss erzielt worden, der jetzt die Gemüter erhitzt. Er sieht vor, dass Guthaben von Anspruchsberechtigten bereits vor dem Erreichen des vorgesehenen Rentenalters in Form von Vorschusszahlungen ausgeschüttet werden.
Eine solche Regelung enthält unterschwellig eine Botschaft, die ich für fatal halte. Wie sollen Bürger Vertrauen in das gegenwärtige Pensionsystem haben, wenn ihnen von Politikern vorexerziert wird, es ist besser, die zurückbehaltenen Beträge jetzt zu kassieren und nicht erst bei Erreichung des Rentenalters? In meinen Augen ist das Ganze ein abschreckendes Beispiel dafür, wie oberflächlich von Regierenden mit sensiblen Themen umgegangen wird. Ich halte das Wasser-Wein-Prinzip (Wasser predigen, selber aber Wein trinken) für den eigentlichen Skandal in diesem Zusammenhang. Allen Politikern – einerlei, ob in der Regierung oder Opposition sei geraten, in Zukunft mehr Hirnschmalz in das Nachdenken zu investieren und weniger Zeit für mediale Selbstdarstellung zu verschwenden.

Die Wutbürger

Mit dem Internet steht den Bürgern ein Instrument zur Verfügung, wo sie mit ihren Erregungsbotschaften ohne viel Aufwand Stimmung machen können. Es braucht lediglich einen Netzzugang und ein Thema, das in der Öffentlichkeit ankommt. Dann lassen sich Spott – und Hassbotschaften rasend schnell verbreiten. Man kann lästern, schimpfen, die aufgestaute Wut loslassen – das meiste im Schutz der Anonymität. Was in manchen Internetforen zu Politikerrenten, aber auch zu anderen Themen mitunter feilgeboten wird, stammt aus der untersten Schublade einer außer Kontrolle geratenen Gefühlswelt.
Gewiss, in erregten Zeiten mag es schwerfallen, Fairness walten zu lassen. Mag auch sein, dass Sprache und Komplexität von Politik für politisch wenig versierte Bürger schwer zu begreifen sind. Trotzdem: Demokratie braucht mündige Bürger. Menschen, die denken gelernt haben, die Verantwortung übernehmen. Mit Empörung und Wut allein kann weder ein Staat regiert noch eine gut ausgestattete Autonomie verwaltet werden.

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