ZEIT-Kolumne: Die Medizin und das Geld

„Etwas läuft falsch“

Eine Ärztin, Anfang vierzig, schreibt an den Verwaltungsdirektor ihrer Klinik. Ihre Kritik: Dem Chef gehe es nicht um den Patienten, sondern nur ums Geld

Sehr geehrter Herr …,etwas läuft fundamental falsch in dieser Klinik. Seit Sie vor drei Jahren die Geschäftsführung übernommen haben, treibt die Ideologie der Profitmaximierung groteske Blüten.
Sie betreiben das »Geschäft« mit der medizinischen Versorgung von Kranken, Alten und Sterbenden so, als handele es sich um eine Dosenfabrik: Hohe Stückzahlen in kurzer Zeit mit geringstmöglichen Kosten sind das Ziel. Im Krankenhaus heißt das: hohe »Fallzahlen« (das sind die Menschen), kurze Liegezeit, geringe Personalkosten.

In Ihrer merkantilen Denkweise, die als »alternativlos« dargestellt wird, werden Kranke zu Kunden. Um Kunden muss man werben, sie notfalls den umliegenden Krankenhäusern und besseren Anbietern abwerben. Dazu geben Sie viel (Steuer-)Geld aus für Hochglanzprospekte, Internetauftritt, Werbeveranstaltungen. Kunden muss man etwas verkaufen, notfalls auch etwas, was sie gar nicht brauchen, Hauptsache, eine teure Leistung kann abgerechnet werden und die Investition in Großgeräte rentiert sich. Sie wollen »lukrative Geschäftsfelder erschließen«, womit gemeint ist, medizinisches Hightech an den kranken Mann zu bringen. Ich habe nichts gegen innovative Technologien in der Medizin, aber sie dürfen nicht die unspektakuläre, mühsame Basisarbeit des Arztes diskreditieren. Weil es viel Geld bringt, werden in Deutschland zum Beispiel so viele Herzkatheteruntersuchungen durchgeführt wie in keinem anderen Land Europas. Damit die Chefärzte mitziehen, werden sie bei den Vertragsverhandlungen geknebelt, aber am Gewinn beteiligt. Und Sie treffen »Zielvereinbarungen« mit ihnen darüber, wie viel von den höchstdotierten Leistungen sie zu erbringen haben; eine recht harmlos klingende Vokabel, hinter der sich Zwang, Selbstausbeutung und Missbrauch der Abhängigkeit des Patienten verbergen.

Völlig albern wirkt dabei Ihre blumige Rhetorik, die die kalte Kosten-Nutzen-Rechnung unseres Hauses kaschieren soll: »der Mensch im Mittelpunkt«; »Kommunikation, die von gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist«; »Hingabe und Kompetenz«. Wenn Sie unvorbereitet reden, ist Ihr Repertoire von Floskeln und Phrasen überschaubar. Die gleichen Wendungen werden ad nauseam wiederholt: Irgendwann holen Sie immer »die Kuh vom Eis«, meistens »am Ende des Tages«, Sie holen uns ab oder »ins Boot«, und wenn Sie versichern, für ein Problem werde »ganz konkret« und »zeitnah« »ein Konzept entwickelt«, dann ist allen klar, dass wieder Monate vergehen werden mit Vertrösten, Aufschieben, Aussitzen.

Niemand hat den Mut, die Kliniklandschaft aufzuräumen, die aussieht wie in der Postkutschenzeit. Anstatt sinnvolle Zentren zu bilden, versucht an jeder Ecke ein kleines Krankenhaus weiterzuexistieren und alles anzubieten, was der Medizinmarkt hergibt. Der Patient ist am Ende für das Überleben des Krankenhauses da, nicht umgekehrt. So auch bei uns: Der Politiker und Parteifreund, der Sie ins Amt gehievt hat, hat Ihnen den Auftrag erteilt, sein Krankenhaus und damit seine Wiederwahl zu retten. Dass der Patient eine viel bessere Versorgung hätte, wenn man ihn innerhalb von einer Stunde in das nächste Uni-Klinikum transportieren würde, das sagt ihm niemand.

Eine der Hauptquellen für Hektik, Unzufriedenheit und schlechte Behandlung im Krankenhaus ist die drastische Verkürzung der Liegezeit in den letzten Jahren. Kaum hat der Patient die Station betreten, tickt die Uhr der abrechnungskonformen Verweildauer: Nicht zu kurz, aber vor allem bloß nicht zu lang darf er sein Bett hüten und seine Krankheit kurieren, sonst gibt es Abschläge am Gesamterlös. Was am meisten stört und unnötig Zeit kostet, ist das »weiche« Drumherum von Anamnese, Untersuchung, Entscheidungsfindung, Gespräch. Der ideale Partner Ihrer Geschäftsidee wäre das isolierte Organ: Die verkalkte Herzklappe wäre willkommen zur Reparatur, aber ohne die störrische alte Frau drum herum. Der alte, manchmal verwirrte und an allen Ecken gebrechliche Patient rechnet sich nicht.

Bei der Kürze der Liegezeit bleibt die Ausbildung der Assistenzärzte auf der Strecke: Weil sie den Patienten innerhalb der »Grenzverweildauer« durchgeschleust haben müssen, fehlt die Zeit für Supervision, Fallbesprechung, Reflexion. Frustriert vom Hamsterrad-Treten, gehen manche ins Ausland oder in die Industrie. Viele der Dagebliebenen gehen in die innere Emigration, entwickeln eine zynische Haltung der eigenen Arbeit und dem Patienten gegenüber.

Haben Sie sich je gefragt, warum so viele Assistenten in Ihrer Klinik nach kurzer Zeit wieder kündigen? Haben Sie sich wenigstens gefragt, warum zunehmend auch Ärzte in Leitungsfunktionen kündigen? Es hat damit zu tun, dass Sie zwar unseren Preis genau kennen, aber unseren Wert nicht schätzen. Sie sind blind für die Qualität der ärztlichen Arbeit, blind für das Engagement und die Fähigkeiten Ihrer Mitarbeiter. Sie nutzen uns als »Leistungserbringer«, reduzieren uns auf Human Resources.

Wenn Sie wüssten, wie spannend dieser Job eigentlich ist! Jeden Tag spült uns der Rettungsdienst Menschen ins Haus mit rätselhaften Krankheiten, schwer dechiffrierbaren Symptomen, verwinkelten Biografien. Der Körper, diese Terra incognita, verblüfft und überrascht jeden Tag. Und vergessen Sie nicht: Das Krankenhaus in seiner ganzen schäbigen Funktionalität ist doch eine Bühne für große Gefühle. Echte Dramen spielen sich hier ab, das ganze Spektrum von Geburt bis Tod. Vielleicht hat deshalb dieser Beruf eine Faszination, die ihresgleichen sucht. Von Helferglück bis Heldentum sind viele dankbare Rollen zu vergeben. Ich hoffe, dass die nächste Generation von Ärzten genug Mut und Selbstbewusstsein haben wird, um die Sklaventreiber der Verwaltung wieder zurück in die zweite Reihe zu jagen.

Mit freundlichen Grüßen
R.M.

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2 Antworten auf ZEIT-Kolumne: Die Medizin und das Geld

  1. forum sagt:

    … dumm, wenn man am Ende des Tages die Kuh vom Eis holen muss, und das auch noch zeitnah… da muss man verdammt gut aufgestellt sein…
    Fazit: das kommt heraus, wenn die „Wirtschaft“ das Maß aller Dinge wird, wir sind in der Hand von Leuten, die bald keine zwei Sätze mehr in menschlicher Sprache zusammenbekommen. Und das betrifft nicht nur die Medizin…

  2. forumonline sagt:

    Danke für den Artikel – da läuft so einiges falsch.

    Wenn ich den Artikel lese, dann kommen all die Aversionen gegen meine letzte Arbeitsstelle in Immenstadt hoch – genau so war es dort. Nur dass nicht nur der Geschäftsführer so war sondern auch der junge kardiologische Chefarzt – Herzkatheter bis zum Umfallen – hauptsache Geld und gute Fallzahlen. Dann wurden die Patienten möglichst schnell wieder entlassen, auch wenn das eine oder andere noch nicht in Ordnung war – das würde nur die Liegezeit verlängern und die Zahlen hässlicher erscheinen lassen.

    Aber scheinbar ist es so gewünscht – Gewinnmaximierung… der Mensch ist Wurst – wirklich!! Hier in Frutigen (Schweiz) ist es dank meines Chefs nicht so. Aber auch in der Schweiz kommen im Jahr 2012 die Fallpauschalen und er wird Druck von oben bekommen…

    Am Ende muss der Bürger entscheiden, was er will: Mehr zahlen oder das Krankenhaus macht dicht… oder endlich mal selber umdenken: mehr sport machen, weniger Fleisch essen, weniger Rauschen und Saufen…

    Lieben Gruss,

    Dr. Martin Leitl