Vor 20 Jahren – Viele werden sich noch daran erinnern! – wurde in der Gemeinde Ahrntal eine „aktivierende Volksbefragung“ durchgeführt, die unter Führung von Experten von ComunalConcept stand und vor allem von der öffentlichen Verwaltung in zukunftsorientierter Form mitgetragen wurde. Die Projektgruppe „Ahrntal – wohin?“ (Markus Weger, Matthias Bölli, Eduard Gartner, Paul Gruber, Franz Innerbichler, Max Innerhofer, Erich Kaiser, Johann Kirchler, Friedrich Kirchler, Kurt Knapp, Hermann Lunger, Almut Voggenreiter Oberhollenzer, Lois Steger, Herbert Stolzlechner, Jolanda Stolzlechner Seeber) erarbeitete „Leitlinien zu einem lebenswerten Ahrntal“, indem viele motivierte BürgerInnen ehrenamtlich in vielen Stunden Entscheidungsträger, Einzelpersonen und Familien nach ihren Meinungen und Ängsten befragten, die sonst nur mit vorgehaltener Hand geäußert wurden. Alle Befragten waren durchaus zuvorkommend, oft erleichtert, wenn sie ihren Frust herauslassen konnten. Die Ziele dieser in ganz Südtirol fast einmaligen und beispielhaften Befragung definierte die Projektleiterin Magdalena Grabmayr im Mitteilungsblatt der Gemeinde Nr.3-Dezember 1991 mit folgenden Worten: „Unsere Arbeitsweise besteht darin, dass wir für die notwendigen Entwicklungen möglichst viele jener Menschen, die von den Auswirkungen, Veränderungen o.ä. betroffen sind, am Gestalten, Steuern und Unterstützen der Entwicklung beteiligen wollen…Spürbar soll werden, dass die Anliegen weiter getragen werden, dass es sinnvoll ist, Hoffnung zu haben und zu äußern. Aufgezeigt werden soll auch, dass es uns ernst ist, möglichst viele Menschen miteinzubeziehen. Angeregt werden sollen Gespräche, Kritik, Auseinandersetzungen (im Sinne von in Frage stellen) und der Wunsch nach Information.“
In der schriftlichen Einladung zum Mitmachen „Ahrntal – Komm mit!“ standen folgende bezeichnenden Sätze: „Wir werden kleine Schritte setzen,
1. damit wir vor lauter Hast nicht das Ziel aus den Augen verlieren,
2. damit wir nicht so leicht auf die Nase fallen,
3. damit durch kleine Erfolge immer mehr Ahrntaler ermutigt werden, ihre Fähigkeiten für die Gestaltung des Lebens im Ahrntal einzusetzen.“
In vielen Gruppenarbeiten und Versammlungen wurden die Ergebnisse gefiltert und konsensträchtig formuliert, bis auch der Gemeinderat diese „Leitlinien für ein lebenswertes Ahrntal“ einstimmig genehmigen und in einer Broschüre an alle Haushalte verschicken konnte (siehe Beilage 1 vom 29.12.1992).
Warum meldet sich nun die projektgruppe „Ahrntal – wohin?“ nach 20 Jahren noch einmal zu Wort? Wir sind über die Entwicklung in der Wassere-Energiewirtschaft im Ahrntal enttäuscht und besorgt.
Die Wünsche der BürgerInnen sind nicht berücksichtigt worden.
Zum Thema Wasser und Energie liest man in der Broschüre der Gemeinde: „Wasser ist für alle eine wichtige Lebensgrundlage. Wir nützen unser Wasservorkommen mit großer Umsicht… Mit der Energie gehen wir sparsam um. Für die Energiegewinnung nützen wir in erster Linie die vorhandenen Energiespender: Sonne, Wasser, Holz. Wir verhindern Großkraftwerke. Kleinkraftwerke dienen dem Nutzen aller und müssen den Auflagen einer fundierten Umweltverträglichkeitsprüfung entsprechen.“ Das erarbeitete Leitbild sollte den Entscheidungsträgern als Orientierung für eine ganzheitliche Entwicklung im Ahrntal dienen. Gleichzeitig war es ein Appell, in Eigenverantwortung und Solidarität am Gemeinwohl zu arbeiten.
Gekommen ist alles ganz anders:
Nach der großkundgebung in Sand in Taufers gegen das ENEL-Großkraftwerk in Rein (30.03.1988) wurde von der Autonomen Provinz Bozen im Einvernehmen mit den Gemeinden ein Alternativprojekt mit sechs E-Werk-stufen entlang der Ahr in Auftrag gegeben. Für die Ahrstufe St. Jakob – Steinhaus und Baustufe Gisse interessierten sich bald die privaten Energiegesellschaften. Bereits 1992 genehmigte der Gemeinderat die Bauleitplanausweisung des E-Werkes Gisse St. Johann. Die Ahr-Energie-Gesellschaft und die TEG (Tauferer Energie Gesellschaft) wollten 1993 nachziehen, was die Projektgruppe „Ahrntal wohin?“ zu dem Mahnschreiben an den Bürgermeister Dr. Josef Kirchler veranlasste (siehe Beilage 2 vom 24.11.1993). Drei Tage später genehmigte der Gemeinderat die Eintragung der Wasserkraftanlage St. Jakob – Steinhaus, von einer klaren Beteiligung der Bevölkerung gab es noch keine konkreten Vorstellungen, was uns zu einem offiziellen Rekurs veranlasste (siehe Beilage 3 vom 18.03.1994).
Ein Treffen der Bürgermeister des Tales mit Landeshauptmann Dr. Luis Durnwalder und den Abgeordneten Dr. Helga Thaler Außerhofer und Hans Berger führte zu einem in der Politik üblichen Kompromiss: „Alternativen ja; 51-prozentige Beteiligung der öffentlichen Körperschaften mit gemeinsamer Trägerschaft“.
Von dieser Beteiligung haben wir bis heute nichts gesehen!
Die spätere Auseinandersetzung zwischen der Gemeindeverwaltung unter Bürgermeister Dr. Hubert Rieder und den lokalen Energiegesellschaften um gemeindeeigene E-Werke ist zur Genüge bekannt und lässt auf interessante Besonderheiten zurückblicken: Am 22. Juni 1994 ersuchte die Ahr Energie Ges.m.b.H die Gemeindeverwaltung unter Bgm. Dr. Josef Kirchler um Hilfe, dass alle gemeinsam Anstrengungen gegen eine Ableitung der Ahr ins Reintal (Alternativprojekt 2) unternehmen sollen, damit dieser Plan nicht verwirklicht werden kann. Es wäre wohl das wirtschaftlich effizienteste und auch ökologisch interessanteste E-Werk geworden, auch im Sinne des gemeinwohls, wenn man dafür die restlichen Gewässer intakt belassen hätte (siehe Beilage 4). nachdem sie ihr Ziel erreicht hatten, drohte dieselbe Gesellschaft mit Schreiben vom 28.05.2009 der Gemeindeverwaltung mit „strafrechtlichen Implikationen“ und Schadenersatz in Millionenhöhe, falls sie den Bau der Ahrstufe St. Peter verzögern möchte. Man stellte sogar in Aussicht, durch eine Anzeige beim Rechnungshof eine „persönliche Haftung aller Gemeindeverwalter“ zu erwirken (siehe Beilage 5). Ein wirklich erstaunliches und hohes Maß an Demokratieverständnis! Wo kämen wir wohl hin, wenn auch die Bevölkerung auf ähnliche Weise mit Sammelklagen das Allgemeingut Wasser vor dem Zugriff
der Macher schützen möchte? Die Privatisierung des Trinkwassers ist längst Gespräch auf allen politischen Ebenen und steht uns wohl noch bevor!
Als BürgerInnen fragen wir uns schon seit längerer Zeit, warum im Ahrntal das Stromgeschäft fast immer zu Gunsten privater Unternehmer ausfällt und nicht im Interesse aller? Eine Demokratie fördernde landespolitik hätte längst das Ungleichgewicht in der Ahrntaler Energiewirtschaft wahrnehmen und korrigieren müssen, auch um des sozialen Friedens willen. Es ist ganz klar die Aufgabe der Politik, der Bevölkerung zu dienen, wenn es um das Allgemeingut Wasser geht!
Was kommt noch auf uns zu?
Die Ahrstufe Luttach – Sand in Taufers ist im Visier von kapitalkräftigen Panern, die uns den schönsten Abschnitt der Ahr nehmen möchten. Wir haben Rekurs eingereicht (siehe Beilage 6 vom 22.12.2011). Auch einige Touristiker haben erkannt, dass die Trockenlegung des Tales wirtschaftlich ein Bumerang werden könnte. Der Tourismusverein Ahrntal hat somit ebenfalls Rekurs eingelegt und in löblicher Form endlich den Wert von intakter Natur in den Vordergrund gestellt (siehe Beilage 7 vom 22.12.2011). Durch den Naturpark Rieserferner-Ahrn bleiben zumindest die orographisch linksseitigen Gewässer mehr oder weniger unter Schutz gestellt. Dieser Text ist aber auch Verpflichtung für das gesamte Ahrntal: Es ist relativ einfach, gegen Unternehmer aus sand in Taufers zu rekurieren, während in den eigenen vier Wänden vielfach Tourismustreibende hinter neuen E-Werksplänen stecken und dabei die letzten Ahrreste und alle Seitenbäche in Rohre zwängen möchten. Wie weit soll diese Gier nach dem weißen Gold noch führen? „Wasser ist das Blut der Erde“, hat Jörg Schauberger geschrieben, „aus Wasser ist alles entstanden. Das Wasser ist daher der universelle Rohstoff jeder Kultur oder das Fundament jeder körperlichen und geistigen Entwicklung“.
Dr. Karl Hellweger, der Sprecher der Ahr Energie GmbH, die jetzt die Ahrstufe St. Jakob – Steinhaus bauen möchte, vertritt in einem Zeitungsinterview („Dolomiten“ vom 20/21.03.2010) die Meinung, „es habe noch keiner den Beweis geführt, dass es besser ist, wenn die Gemeinden selbst Unternehmer spielen mit allen finanziellen Risiken, anstatt die privaten Produzenten ordentlich zur Kasse zu bitten und sie die Arbeit machen lassen.“
Gibt es denn im Land Südtirol keine gemeindeeigene E-Werke, die erfolgreich geführt werden? Es scheint ja ein recht profitables Geschäft zu sein. Kann dieser Gewinn nicht der Allgemeinheit, sprich der Gemeindeverwaltung, zugute kommen? Sollte sich der Großteil der Bevölkerung nur mit den Brosamen von verbilligtem Strom bzw. die Gemeindeverwaltung mit Steuereinnahmen abfinden? Man sollte endlich mit diesem Gerede aufhören, und die Bevölkerung nach dem erlittenen Schaden nicht auch noch für dumm verkaufen!
Die Liberalisierungsbestrebungen des „Berlusconismus“ reichen scheinbar bis ins Ahrntal. Das Ergebnis solcher Vorgangsweisen führte zur weltweiten Wirtschaftskrise und fast zum Bankrott des Staates Italien. Die folgenden sparmaßnahmen der Regierung Monti haben wir in den letzen Monaten leider am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Bezahlen müssen zum Großteil die breite Bevölkerung und nicht die Unternehmer!
Unsere Vorstellungen gehen in eine ganz andere Richtung:
Noch im Jahre 2000 hat der BM-Kandidat Dr. Andreas Waldner (SVP) in einem interview der Tageszeitung „Dolomiten“ vom 15./16. April zum Thema Elektroenergie folgende Aussage gemacht:
„Da vertrete ich den Standpunkt, dass die Ressourcen zum Nutzen der gesamten Bevölkerung zu nutzen sind. Ob beim Projekt Gisse oder bei jenem in St. Jakob – es müssen vernünftige Kompromisse zwischen Gemeinde, Genossenschaft und Privaten gefunden werden. Und auch beim Projekt St. Peter muss es weitergehen. Dort könnte sich die Gemeinde gar zu 100 Prozent beteiligen.“
Bürgermeister Dr. Hubert Rieder (Bürgerliste) hat im Grunde dieselben Ziele verfolgt. Wir greifen diesen Grundgedanken als überparteiliche Gruppe nochmals auf und stellen uns folgende Perspektiven vor:
- Wir erwarten uns bei den Ahrstufen Gisse – St. Johann und St. Peter eine klare Beteiligung der Gemeinde Ahrntal, wie sie damals Landeshauptmann Luis Durnwalder eingefordert hat. Es sei uns folgender Hinweis erlaubt: im Dezember 2005 warb die SVP-Ahrntal in einem Schreiben an alle Haushalte (unterzeichnet vom Koordinierungsausschuss, Wirtschaftsausschuss, Sozialausschuss, Ehrenobmann und der Ratsfraktion) mit einer „einvernehmlichen Ahrntaler Lösung: Verwirklichung der Alternativprojekte mit der Möglichkeit der Beteiligung von Bevölkerung, Ahrntaler Betrieben und der Gemeinde Ahrntal.“
- Es stellt sich die Frage, wie viele weiteren Eingriffe durch E-Werke der lebensraum Ahrntal eigentlich noch verträgt? Es ist wohl höchst an der Zeit, alle weiteren Projekte zu stoppen, bevor durch kurzsichtiges Gewinnstreben unserem Tal auf lange Sicht gewaltige Schäden zugefügt werden.
- Nur in Solidarität wird uns eine gute Zukunft gelingen und der soziale Frieden erhalten bleiben!