Arnold Tribus: Allerheiligen

TZ, Dienstag, 2. November 2010 – Nr. 213/18. Jg
Allerheiligen
Ich hab bei einer  Halloweenparty vorbeigeschaut, auch wenn ich mich sehr ärgere, dass dieses dumme Fest bei uns so Fuß gefasst hat, dass es schon in Kindergärten und Schulen zelebriert wird. Es hat sich bei uns eingebürgert, wird so begangen, als handelte es sich um eine urige Tiroler Tradition. In zahlreichen Bars finden Feste statt, verkleidet als Hexe, Totenkopf, Geiste und Gespenst. In den Familien werden fleißig Kürbisse ausgehöhlt, es werden Gesichter hinein geschnitzt, die dann beleuchtet werden, während die modernen Eltern mit dem übrig gebliebenen Kürbisfleisch Kürbismenus zubereiten, auch das ist ein Stück Südtiroler Moderne. Früher wurden Kürbisse den Facken verfüttert. Was mich besorgt ist der Umstand, dass á la longue unser Allerheiligen-Allerseelenfest ausstirbt, weil die neuen Generationen lieber als Hexen und Geister durch die Gassen ziehen, sich einen Halloween-Rausch genehmigen und ins Reich der Geister entschwinden.
Gestern war ich natürlich auf dem Friedhof. Die Tradition will das, aber ich gehe aus Überzeigung. Ich bin das meinen Eltern schuldig und dann kommt dazu, dass man einmal im Jahr Leute trifft, die man sonst nie sieht. Allerheiligen ist nur noch ein Fest nostalgischer Alter, lästige Pflicht, ein Fest der Traurigkeit, der Vergänglichkeit, der Depression, der Tränen, der Erinnerung. Wer denkt schon gern an die Vergänglichkeit? Allerheiligen wird der Schnelligkeit weichen und dem Abhanden gekommenen Glauben an das Leben danach, an das Paradies, die Hölle, das Fegefeuer. Der Tod wurde aus der Gesellschaft ausgegrenzt, man stirbt heute privat und in den Todesanzeigen des Tagblattes, der Rest ist  uninteressant, man kann doch nicht verlangen, dass jemand Begräbnis geht, die physische Anteilnahme von Personen wird immer unerwünschter, wer hat denn schon Zeit, wer nimmt sich schon Zeit, wer nimmt sich denn Urlaub um Begräbnis gehen zu können, also verzichten wir auf das Begräbnis. Wichtig ist, dass in den Dolomiten eine Todesanzeige erscheint, an der Anzahl der Todesanzeigen misst man die Bedeutung eines Toten, also sind alle bestrebt, aus Gründen des Ansehen und der typischen Südtiroler Angeberei viel Bekundungen zu haben. Auch der Tod ist Geschäft, das ist klar. Das Fest Allerheiligen verschwindet, weil es noch nicht gelungen ist,  es zu vermarkten,. Was die Kirche nicht kann, ist den Halloweenkürbissen gelungen, so absurd das auch klingen mag. Da haben einige Hohlköpfe geschickt eine heidnische irische Tradition auf unseren Kulturraum übertragen und schon tun alle so, als habe man schon immer Halloween gefeiert und Kürbisse gefressen. Ich hoffe natürlich immer noch, dass es den Katholischen gelingen möge, die Friedhöfe zu retten und unseren Totenkult. Man vergleiche mal die ausgehöhlten Kürbisse und  das Geistergetue mit der Schönheit eines Südtiroler Friedhofs, auf dem an Allerheiligen Tauende Kerzen brennen, die die Seelen unsere Toten symbolisieren. Ein Friedhof bei Nacht im Kerzenmeer ist geheimnisvoller als jeder Halloween-Zirkus, ist pure Magie des Geistes und der Seele. Kultur.
Ich würde mich freuen, wenn die katholische Jugend der Jugend das Verständnis von Allerheiligen erweckte, wenn auf den Friedhöfen des Landes Totenpartys stattfänden, nächtliche Begehungen unserer magischen Friedhöfe mit Lichterprozessionen, Meditationsmusik und dem Vortrag von Seelenlyrik. Vielleicht gibt es einen esoterischen Katholen, der  Kontakt mit den Toten im Jenseits herstellt, was man nun auch im Fernsehen haben kann. Wir sollen uns die Friedhöfe nicht nehmen lassen, diese Orte der Ruhe und der besänftigenden Stille, diese Museen des Imaginären, der Geschichte, der Melancholie.
Es ist traurig, wie gediegene Traditionen fallen gelassen werden um es mit Importware auszutauschen. Es ist wie mit der Religion. Die katholische wird verabscheut, dafür rennt man Scharlatanen nach und lässt sich von Esoterikern einlullen.
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