Die Geschichte vom Esel (ff 46/2010)

Handelskammer, Unternehmververband, LVH, HDS, HGV, Bauernbund & Co. ziehen alle Hebel, um ihre Interessen durchzudrücken. Ein neuer Klassenkampf von oben, der Südtirol verändern wird.

Es waren einmal ein Hahn, eine Katze, ein Hund und ein Esel. Sie waren alt, nicht mehr von Nutzen und sollten deshalb getötet werden. Aber den Tieren gelingt die Flucht. Der Esel Findet, dass das Quartett das Zeug hat, als Stadtmusikanten aufzutreten. Also brechen sie nach Bremen auf Da sie die Stadt nicht an einem Tag erreichen, suchen sie ein Quartier. Sie finden es mitten im Wald, in einer Hütte. Die Räuber, die dort hausen, vertreiben sie mit wildem Geschrei. Dem Hahn, der Katze, dem Hund und dem Esel gefällt es dermaßen gut in ihrer Bleibe, dass sie beschließen, hier zu bleiben. ]etzt sind sie Herr im Haus.

Vor dem Haus der Tierzucht kann man eine Südtiroler Spielart dieses Grimm-Märchens bewundern, wobei der Esel, den es hierzulande kaum mehr gibt, mit einer Kuh ausgetauscht wurde. Eine Skulptur, die zur Landwirtschaft passt, keine Frage – und die gleichzeitig auch andere interpretationen zulässt: Seht hier, jetzt sind wir Herr im Hause Südtirol.

Symbolträchtig. Das Haus der Tierzucht in Bozen Süd ist das kleinste der vielen Hauptquartiere, die von den Lobbyisten der Südtiroler Wirtschaft an strategischen Punkten der Landeshauptstadt bezogen worden sind. Palazzi, die schon mit ihrer zum Teil extravaganten und provokanten Architektur symbolisieren: Hier sind Macht und Einfluss zu Hause. Hier werden Fäden gesponnen, Netzwerke gebildet. Hier sitzen die Männer (Frauen sind eine Ausnahmeerscheinung), die in Süd-tirol das Sagen haben.

In Frankreich gehen die Proleten auf die Straße, in Deutschland stemmt sich eine neue „grüne Volkspartei“ (Der Spiegel) gegen die Energiepolitik der Regierung – in Südtirol hingegen gehen die Uhren wieder mal anders: Hier erleben wir derzeit eine Art Klassenkampf von oben, Kein Tag, an dem nicht einer der potenten Vertreter eines Wirtschaftsverbandes die Propagandatrommel rührt: die Sozialausgaben zu hoch, die Beamten zu viele, der Flughafen zu klein, die Steuern zu erdrückend, die Vorschriften zu streng…

Südtirol hat sich jahrzehntelang erfolgreich dagegen gewehrt, zu einem Verbandsstaat auszuarten wie zum Beispiel Österreich. Der Sinn der Verbände bestand im Wesentlichen darin, Dienstleistungen Hir ihre Mitglieder zu erbringen und – gewiss – ihre Interessen zu vertreten. Darüber hinaus funktionierten sie – ähnlich den Musikkapellen und Feuerwehren – als politische Vorfeldorganisation der Sammelpartei SVPdie ihre Fühler traditionell in alle Bereiche der Gesellschaft ausstreckt. Politik {and aber immer in den politischen Gremien statt. Funktionäre mit politischen Ambitionen mussten konsequenterweise in die Politik wechseln.

Jetzt hat sich das Blatt gewendet. jetzt sind es immer mehr Funktionäre, Präsidenten und Obmänner, die Politik machen. Sie scheinen es nicht mehr nötig zu haben, sich dem Wähler zu stellen, um dann im Landtag oder im Europaparlament zu sitzen und dort ihren Einfluss geltend zu machen. jetzt sind es oft ehemalige Politiker, die an die Spitze eines Verbandes wechseln – und hier Einfluss und Macht ausspielen.

Beispiel Handelskammer. Laut italienischem Rechtsverständnis und Tradition ist die Handelskammer kein Wirtschahsverband, sondern eine Institution, ja eine Behörde. Die Präsidenten der 105 Handelskammern in Italien haben denn auch eine vor allem repräsentative Aufgabe.

Ferruccio Dardanello: diesen Namen schon mal gehört? Er ist Präsident von Unioncamere. Signor Dardanello ist in Italien ein Nobody Ein netter Herr, aber sein politisches Gewicht ist gering. Michl Ebner hingegen, sein Südtiroler Kollege, ist – gerade weil er jetzt Handelskammerpräsident ist – die Nummer zwei in der Hitliste der Macht in Südtirol.

Ebner hat aus einer Behörde, die sein Vorgänger Benedikt Gramm jahrelang zahnlos geführt hat, eine Kampfmaschine gemacht. Die Handelskammer wurde dadurch zum Flaggschiff jener Armada, mit der die Wirtschaftsverbände der Politik auf die Pelle rücken.

Alberto Stenico, der Präsident des Bundes der Genossenschaften, verfolgt die Entwicklung mit gemischten Gefühlen, Zum einen betont er die Wichtigkeit dieser „Zwischen0rganisationen“: oben die Politik, unten die Menschen. Ohne die Verbände würde das Vermittlungsscharnier fehlen. Zum anderen verweist Stenico darauß dass letzthin gleich mehrere Gleichgewichte aus dem Lot gefallen sind: „Erstens, während die Wirtschaftsverbände immer mächtiger geworden sind, hat die Durchschlagskraft der sozialen und gewerkschaftlichen Verbände kontinuierlich nachgelassen. Und zweitens ist die Wirtschaftslobby fast ausschließlich in der Hand deutschsprachiger Südtiroler. Die Italiener Südtirols sind zu Zuschauern degradiert.“

Handelskammer, Unternehmerverband, LVH, HDS, HG\L Bauernbund: In den Schaltstellen der Südtiroler Wirtsehaltt wird Deutsch gesprochen. Italiener sind bestenfalls Vizepräsidenten – oder sitzen in einem weit weniger einflussreichen italienischen Schwesternverband.

Der Wirtschaftsexperte Gottfried Tappeiner zeigt sich von dieser Entwicklung wenig überrascht. Der Rückgang der traditionellen industrie und die Zunahme des Dienstleistungssektors haben eine fast natürliche Selektion und Neuverteilung der Macht zur Folge gehabt.

Tappeiner hat zwar auch eine verstärkte Lobbytätigkeit der Wirtschaftsiierbände beobachtet, findet daran aber nichts Außergewöhnliches. Zum einen sei es „allemal besser, deklariert Lobbyarbeit zu machen als versteckt“, zum anderen sei es „die Aufgabe der Demokratie, für das richtige Gleichgewicht zu sorgen.“

Lange haben Wirtschaftsexponenten darüber gemault, dass Südtirol ein fast schon sozialistischer Kleinstaat geworden sei. Die Macht der SVP-Arbeitnehmer, der hohe Einfluss von gleich vier Gewerkschaften mit nahezu 100.000 Mitgliedern, und nicht zuletzt die alles beherrschende Rolle der öffentlichen Verwaltung, das alles hätte eine „deutliche Schieflage“ zu Gunsten der Sozialpolitik und zu Lasten der WirtschaFtspolitik zur Folge gehabt.

Inzwischen scheint das Pendel in die andere Richtung auszuschlagen: Die SVP-Arbeitnehmer sind in der Defensive und ohne sichtbaren Leader, die Gewerkschaften haben sich fast in die Bedeutungsiosigkeit zurückdrängen lassen – und die öhcentliche Verwaltung gerät immer mehr unter Beschuss. Der Grund: Die Wirtschaft hat sich straff organisiert – und Personen an die Spitze gehievt, die kein Blatt vor den Mund nehmen. Neben beziehungsweise hinter Michl Ebner stehen wortgewaltige Unternehmer wie Stefan Pan (Präsident des Unternehmerverbandes) und Christof Oberrauch (Präsident des Wirtschaftsringes) oder alterprobte Lobbyisten wie Walter Meister (HGV-Chef), Werner Frick (Direktor des Verbandes der Kauiieute) und Hanspeter Munter (LVH-Direktor) Gewehr bei Fuß. Ein Blick in die beiden auflagenstärksten Tageszeitungen Dolumitm und Alm Adzge bestätigt: Die Wirtschaft ist es, die den Ton angibt.

Dermaßen laut und heftig sind ihre Forderungen, dass es sogar Luis Durnwalder mitunter zu viel wird. Beispiel Technologiezentrum: Es war das allererste Mal, dass ,,die WirtschaH“ eine Entscheidung der Landesregierung, die „im lnteresse der Wirtschaft getroffen wurde“, massiv kritisierte und – fast – aushebelte. Der Landeshauptmann spürt den Atem potenter Männer im Nacken.

Das Märchen der Bremer Stadtmusikanten endet mit einem Happy End. Die Geschichte vom unaufhaltsamen Aufstieg der Südtiroler Wirtschaftsverbände hat, wie es scheint, erst begonnen.

Norbert Dall’O

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