Die Wirtschaft und die Partei (ff 46/2010)

Interview mit Günther Pallaver
 
Die Verbände, ihre steigende Macht, ihre enge Verbindung mit der Südtiroler Volkspartei.
Der Politikwissenschaftler Günther Pallaver über eine Lobby, die sich immer mehr traut.
 

 

ff: Wozu dienen Verbände?

Günther Pallaver: Sie haben die Funktion, Interessen zu artikulieren, zu bündeln. Und durchzusetzen. Der Unterschied zu einer Partei ist, dass Verbände nicht zu den Wahlen antreten.

Was für eine Rolle spielen sie im politischen System?

Eine wichtige. Früher hat man gesagt, die Regierung regiert, heute ist das Regieren komplexer geworden, es stützt sich auf ein Modell, das man mit den Begriffen „Neokoporatismus“, „Sozialpartnerschaft“ oder „Governance“ benennt. „Governance“ bedeutet, alle gesellschaftlich wichtigen Akteure in die Entscheidungsfindung einzubinden. Und die Verbände, die wichtigsten sind Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände, sind in der neokorporativen Verhandlungsdemokratie wichtige Akteure, weil so die unterschiedlichen Interessen in einer Gesellschaft auf einen Kompromiss hin gelöst werden.

Wie funktioniert das in Südtirol?

Es gibt unterschiedliche Modelle in den Beziehungen eines Verbandes zu einer Regierungspartei. ln Südtirol haben wir eine besondere Form dieser Beziehung – und das betrifft sowohl Wirtschaftsverbände wie auch Gewerkschaften. Alle Verbände waren seit jeher stark mit der Südtiroler Volkspartei vernetzt, die Verbände waren über Ausschüsse und Kommissionen in der Partei verankert. Dadurch sind Konflikte, die in der Gesellschaft hätten auftreten können, schon im Vorfeld kanalisiert und geglättet worden – in der Logik der Sammelpartei, in der ja auch verschiedene Interessen vertreten sind und die deshalb den inneren Konsens braucht. Das hat lange Zeit gut funktioniert.

Und jetzt?

Dieses Modell hat den Beteiligten eine ganze Reihe von Vorteilen gebracht. So konnten nicht nur Konflikte kanalisiert und gedämpft werden, so konnte man auch auch entscheidenden Einfluss auf das Wählerverhalten der Mitglieder dieser Verbände nehmen. Dieser Einfluss ist in der Zwischenzeit weniger geworden, weil heute innerhalb der Verbände zumindest Ansätze von Pluralismus erkennbar sind. Früher war es undenkbar, dass Wirtschaftsxierbände Kandidaten von anderen Parteien als der SVP unterstützen.

Sind die Verbände in Südtirol stark oder schwach?

Ich muss jetzt eine Antwort geben, die für Sie vielleicht wenig befriedigend ist: Sie nehmen eine Mittelposition ein. Auch weil sie immer noch im Sinn der alten Logik versuchen, die Konflikte im Vorfeld zu entschärfen und trotz allem immer noch eng mit der Südtiroler Volkspartei verbunden sind. Die Verbände haben Gewicht, aber das Primäre ist die Partei. In Österreich etwa, einem Verbändestaat, haben Verbände ein noch viel stärkeres Gewicht, dort muss die Politik sich außerhalb der institutionen mit den Verbänden verständigen, um zu gemeinsamen Entscheidungen zu kommen.

In den letzten Monaten gab es in Südtirol einen geballten Angriff der Wirtschaft. Michl Ebner & Co. tauchen nahezu täglich in den Medien auf und bringen so ihre wirtschaftsliberalen Interessen zur Geltung. Man untermauert dabei geschickt dieses Anliegen durch Wissenschaftlichkeit. Das hat sich im Vergleich zu früher geändert. Es ist eine konzertierte Aktion, an der sich alle Wirtschaftsverbände beteiligen, es gibt einen Gleichklang der Forderungen.

Wie geht die Politik damit um?

Typisch für Südtirol ist, dass wir uns am Makrokosmos orientieren – wenn von außen der Wind kommt, richten wir uns danach. Die Wirtschaftsverbände nutzen es aus, dass in Europa der Wirtschaftsliberalismus sich noch einmal aufbäumt – sozialdemokratische Regierungen muss man in Europa ja mittlerweile mit der Lupe suchen – und machen Druck auf die Regierung. Die SVP kann nicht ganz glücklich sein mit dieser geballten Macht der Wirtschaft – als Sammelpartei muss sie auch andere Interessen vertreten. In den vergangenen fünf sechs Jahren war die Wirtschaft dominant, aber es kann nicht im Interesse der Partei sein, diesem Flügel nachzugeben – Landeshauptmann Luis Durnwalder ist sich, habe ich den Eindruck, dieses Problems durchaus hewusst. Es wäre falsch, ihn eindeutig der Wirtschaft zuzuordnen.

Ist die Macht der Wirtschaftsverbände größer geworden?

Das Ungleichgewicht zwischen Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften hat schon immer bestanden, doch die Asymmetrie ist noch größer geworden. Wer redet heute schon noch von paritätischen Entscheidungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder gar von Wirtschaftsdemokratie? In den 70er-jahren war Wirtschaftsdemokratie ein Dauerthema und das Kapital musste Zugeständnisse machen, weil es schwach war. Heute haben es die Gewerkschaften aufgrund der vielen atypischen Arbeitsverhältnisse schwer, die Arbeitnehmer zu organisieren. Das Kapital tut also heute fast, was es will, die Wirtschafrsxierbände dominieren, das Pendel schlägt eindeutig in Richtung Kapital aus.

Interview: Georg Mair

Günther Pallauer ist Professor für Politikwisensehaften an der Uniuersität Innsbruck. Er lebt in Branzoll und ist auch regelmäßiger Mitarbeiter dieser Zeitung.

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