Initiative für mehr Demokratie: Offener Brief an Heiner Geißler

Offener Brief an Heiner Geißler
zu seinem Auftritt bei der Landesversammlung der SVP

Bozen, den 21. März 2011

Sehr geehrter Herr Heiner Geißler,

Sie sind von der Südtiroler Volkspartei eingeladen worden, am 26. März bei der Jahresversamm­lung in Meran zu sprechen. Man könnte sich darüber freuen, wenn man nicht, mit wenigen löbli­chen Ausnahmen, tagtäglich mit dieser Partei die Erfahrung einer vollständigen Unfähigkeit zur Konsensfindung im Sinne einer Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger machen und in diesem Zusammenhang eine Doppelbödigkeit der Parteileitung erleben müsste. Diese bekundet öffentlich die Wichtigkeit der Mitbestimmung und ihren Willen dazu und verhindert sie zugleich seit jeher mit allen Mitteln.

Wir verstehen und bewerten diese Einladung an Sie vor diesem Hintergrund. Ihr Name steht mittlerweile für eine Politik der Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in die Entscheidungs­prozesse. Mit Ihrem Auftreten bei der Landesversammlung geht es der SVP-Leitung auch darum, ihre wirkliche Haltung in Sachen Mitbestimmung zu verschleiern, nachdem auch für sie der Beteili­gungswille der Bevölkerung unübersehbar geworden ist. Vor allem aber kommt die Einladung an Sie zu einem Zeitpunkt, an dem es der SVP-Leitung im Sinne des Machterhaltes ganz besonders darum geht, nach außen hin den Anschein zu erwecken für neue Formen der Mitbestimmung offen und zugänglich zu sein und diese zugleich weiter zu verhindern. Dies geschieht unter dem Eindruck eines ständig wachsenden Drucks von innen und außen auf die Partei die von ihr ganz bewusst verhinderte Ausübbarkeit der politischen Mitbestimmungsrechte mit einem Landesgesetz endlich wirksam anwendbar zu machen. Der mehrheitlich von der SVP besetzte Südtiroler Landtag ist den Bürgerinnen und Bürgern bis heute die Erfüllung der Pflicht, die ihm seit dem Jahr 2001 aus dem, auch in dieser Absicht reformierten Autonomiestatut erwächst, schuldig geblieben.

Im Oktober 2009 hat in Südtirol die erste landesweite Volksabstimmung stattgefunden. Sie wurde vor allem wegen und, mit großem Aufwand, trotz der schwierigen landesgesetzlichen Bedingungen erwirkt in der Absicht, die politischen Mitbestimmungsrechte mit einem zur Abstimmung gebrachten besseren Landesgesetz zur Direkten Demokratie endlich anwendbar zu regeln. An dieser in Südtirol ersten Volksabstimmung haben trotz einer irreführenden und wahrscheinlich gesetzeswidrigen Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch die Landesregierung und einer vollkommen unzu­länglichen und einseitigen Information durch die zwei maßgeblichen Tageszeitungen, 38,1 % der Stimmberechtigten teilgenommen und es haben 83,2 % dem Vorschlag zu einem besseren Gesetz zur Direkten Demokratie ihre Zustimmung gegeben.
Zum Vergleich: in Bayern ist 1995 ein Landesgesetz zur Regelung der Direkten Demokratie in den Kommunen per Volksabstimmung in Kraft gesetzt worden, an der sich 33 % der Stimmberechtigten beteiligt haben und dem 64 % zugestimmt haben. Das Ergebnis der Volksabstimmung in Südtirol ist hingegen aufgrund des um ein paar tausend Stimmen verfehlten 40 % Beteiligungsquorums für ungültig erklärt worden.
Obwohl sich der Willen der Bevölkerung mit einer im internationalen Durchschnitt liegenden repräsentativen Beteiligung so klar ausgedrückt hat, ist diese jetzt wieder mit der Absicht der Leitung der SVP konfrontiert, mit einem neuen Gesetz zur Regelung der politischen Mitbestimmung diese noch wirksamer verhindern zu wollen, als dies bisher der Fall war. Zugleich wird die Arbeit an dieser Neuregelung von ihr schamlos angepriesen als Zeichen einer, das bisherige Verhalten bedauernden, neuen Sensibilität für den Mitbestimmungswillen der Bevölkerung.
Dies geschieht, während die Landesregierung – sie ist seit nunmehr 64 Jahren uneingeschränkt Domäne der SVP – mit derselben Missachtung des Stimmvolkes, gegen alle ihre Versprechungen und gegen das Mediationsergebnis, jetzt den Ausbau des Flugplatzes beschließen will, obwohl die Bevölkerung sich in eben derselben Volksabstimmung mit ebenso überwältigender Mehrheit dagegen ausgesprochen hat. Dies sind nur die eklatantesten von vielen weiteren belegbaren Beispielen für die immer wieder erlebbare Missachtung eines mehrheitlichen Willens in der Bevölkerung.

Mit der Einladung Ihrer Person wird die SVP-Führung einmal mehr ihre Anerkennung des Mitbe­stimmungswillens der Bevölkerung demonstrieren. Wir bitten Sie deshalb um klare Worte und sich nicht missbrauchen zu lassen von der derzeitigen Führung der SVP, die mit ihren Verlautbarungen sehr wohl weiß, wie sie dem Willen ihrer Basis begegnen muss, die zugleich aber mit ihren Handlungen alles daran setzt, den Bürgerinnen und Bürgern eine wirksame Handhabe ihres Mitbestimmungsrechtes vorzuenthalten und deren Mitbestimmungswillen immer wieder zu enttäuschen.

Sehr geehrter Herr Geißler, wir schätzen Ihre Aussagen zu Politik und Wirtschaft, sonst würden wir uns jetzt nicht an Sie wenden. Wenn Sie wissen wollen, von wem Sie diesen Brief erhalten, bitten wir Sie, unsere Webseite www.dirdemdi.org zu besuchen. Im Anhang finden Sie auch eine knappe Beschreibung unserer Organisation.

Mit freundlichen Grüßen

Stephan Lausch
Koordinator der Initiative für mehr Demokratie

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