Arnold Tribus: Schmierer, TZ, 201211

Arnold Tribus

Schmierer

In Bozen gehen die Wandschmierer um. Es gibt im Stadtzentrum keine Fassade mehr, die sauber ist, jede Nacht kommt eine Schmierage dazu. Es sind nicht Graffitis, die berühmt-berüchtigten Malereien aus der Sprühdose, die ihre Quellen in einer subkulturellen Straßenkunst haben.  In den ausgehenden 70er-Jahren entwickelte sich in den Metropolen eine farbenfrohe Spraykunst mit oft witzigen und karikaturähnlichen Figurationen. Keith Haring, der seine Strichmännchen dann auf Leinwand übertrug, erreichte bald Kultstatus und wurde weltberühmt.

Unsere Stadtsprüher haben aber keinen Funken Kreativität, Ästhetik ist für sie ein Fremdwort, sie wollen nur beschmutzen und beschädigen und das anständige Bürgertum ärgern. Rompere i coglioni. Mein Weg in die Stadt ist von komischen Zeichen markiert, auch Verkehrsschilder werden angesprayt, es gibt keinen Elektrokasten, der nicht vol­ler schwarzer Symbole wäre, die verbliebenen Telefonkabinen sind total verdreckt und zugesprayt, und es gibt nicht eine einzige Mülltonne, die nicht zur Trägerin geheimer, stupider, nicht entzifferbarer Botschaften wäre. Überhapt habe ich noch nie saubere Mülltonnen gesehen. Als die Schmierer noch nicht unterwegs waren, sorgten sich besonders kreativ glaubende Lehrer dafür, dass die Mülltonnen mit Kindermalerei beschmiert wurden, mit Kinderhänden, Blümchen und Häuschen. Hätte wohl schön sein sollen, kreativ eben, war aber nur Beschmutzung, eine Dummheit. Sie sind eh nicht hübsch, die ganzen herumstehenden Tonnen, von Kinderhand und anonymen Sprayern beschmiert, dreckig sind sie, grausig. Aber was soll’s, was nicht beschmiert wird, wird mit  Reklame zugeklebt. Nehmen wir die Busse. Es gibt nicht einen sauberen Bus. Der Bus ist ein Werbeteräger, wie jedes Taxi. Dabei wären die Busse in ihrer originalen Farbe ja schön und elegant, nichts geht gegen eine saubere Monokromie, wirkt beruhigend, lenkt nicht ab.

Der Mitteilungsdrang dieser Schmierer muss groß sein, denn es kommen täglich neue Schmierereien dazu, keine Wand ist ihnen  heilig, selbst das Rathaus wurde beschmiert. Früher nutzten die Sprachlosen die Wände für ihre politischen Botschaften, „Freiheit für Südtirol“. Die ­Anarchisten sind heute noch aktiv und die Genger des PDL, gegen Berlusconi sieht man noch was, und auf dem Obstmarkt war eine unkeusche Schrift gegen die Frau On. Biancofiore, die auf eine mündische Tätigkeit anspielte. Sie wurde teilweise übertüncht, die Spuren sind gelieben. Die Liebeserklärungen sind geradezu wohltuend. „Hosni liebt Deborah“, las ich auf der Promenade. Ach, wie wird sich die Mutter des Mädchens freuen, dass ihre Tochter Hosni aus Ägypten liebt!

Besonders lieben die Schmierer frisch gestrichene Häuserwände, sehr zum Leidwesen der Besitzer dieser Liegenschaften, die für den Schaden aufkommen müssen, denn bisher wurde niemand beim Anrichten des Schadens entdeckt, die Künder absurder und dummer Botschaften wirken ungestört, in tiefdunkler Nacht, wenn die verhassten Bürger schlafen. Und so bleiben nur zwei Wege: Entweder man lässt die Wände dreckig, verschmiert wie die untere Hälfte der Häuserfassaden in Rom, Florenz und Turin sind, oder man bestellt sich den Maler und lässt den Stumpfsinn überpinseln, weil man nicht täglich an den Idiotien vorbeigehen  will. In den anderen Städten haben die Besitzer schon lange resigniert, da wird nicht mehr gesäubert, da bleiben die Slogans an der Wand, jahrzehntelang, man hat sich an die schmutzigen Wände gewöhnt, bei uns da ist das noch anders, da gehören Wandschriften noch nicht zur Alltäglichkeit, weshalb sich nicht nur die Besitzer der Häuser, sondern auch Passanten und Bürger ärgern. Es gibt ja immer wieder die rassistischen, antijüdischen und ausländerfeindlichen Sprüche der Leute, die mit dem Hakenkreuz unterschreiben. Müssen wir damit leben, Herr Bürgermeister, oder sollten diese Leute nicht endlich zur Rechenschaft gezogen werden?

arnold.tribus@tageszeitung.it

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