Der Profit und die Demokratie
Die Versprechungen der Liberalisierung, niedrigere Kosten, mehr Arbeit, hätten sich ins Gegenteil verkehrt, sagt Christian Felber. Doch was sind die Alternativen?
ff: Seit wann ist Liberalisierung Mode?
Christian Felber: Es hat in den 80er-Jahren mit Margaret Thatcher und Ronald Reagan begonnen. Die englische Regierungschefin und der US-Präsident haben das marktliberale Ideengut der neoliberalen Schule in Realpolitik umgesetzt. Seither rollt eine Liberalisierungs- und auch Privatisierungswelle um den Globus. Liberalisierung ist die Herstellung eines Marktes, wo vorher keiner war, weil etwa Bildung, Gesundheit, Energieversorgung oder Bankwesen als öffentlicher Bereich betrachtet wurden. Diese Bereiche möchte der Neoliberalismus anders organisieren – über die Konkurrenz zwischen privaten und gewinnorientierten Anbietern.
Was sind die Versprechen?
Das erste große Versprechen der Neoliberalen ist, dass Private Dienstleistungen kostengünstiger erbringen – es hat sich aber herausgestellt, dass die Systemkosten nicht gesunken sind und dann die Konsumenten in ihrer Rolle als Steuerzahler für diese Kosten aufkommen müssen. Das zweite große Versprechen ist, dass Private die Kunden besser behandeln, dass durch den Wettbewerb Kreativität und Innovation entfacht werden und schlussendlich mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, weil die Privaten neue Produkte und Dienstleistungen erfinden.
Was zeigen die Erfahrungen?
Unter dem Strich kann man sagen, dass die Versprechungen nicht nur nicht erfüllt wurden, sondern das Gegenteil eingetreten ist: Die Gesamtkosten haben sich erhöht, die Gesamtbeschäftigung ist dramatisch zurückgegangen, die Qualität hat sich in vielen Fällen verschlechtert – vom Trinkwasser, wo das eindeutig belegt ist, über Bahndienstleistungen, bis zu Finanzdienstleistungen. Die kleine Bank vor Ort hat uns vor 30 Jahren besser bedient als die globalen Finanzkonzerne von heute.
Was hat(te) die Liberalisierungswelle für Auswirkungen?
Die Liberalisierung des Strommarktes brachte großflächige Ausfälle in allen Kontinenten mit sich – der spektakulärste Ausfall fand 1998 in Kalifornien statt. Dort haben die privaten Stromanbieter Kraftwerke zur Wartung stillgelegt, um den Strompreis an den Strombörsen künstlich zu erhöhen und so ihren Finanzgewinn zu maximieren. Eine zweite Strategie war die Verknappung des Stroms durch Exporte. Das zusammen führte wiederum zu Stromausfällen über den Zeitraum von sieben Monaten – im reichsten Bundesland des modernsten Industriestaates der Welt. Die Maßnahme, die zur Beruhigung der Lage geführt hat, war eine dramatische Erhöhung der Strompreise.
In Großbritannien ging die Liberalisierung der Eisenbahn so schief, dass das Schienennetz wieder verstaatlicht werden musste, weil es von den Privaten so schlecht gewartet wurde. Die Universität Bristol hat bereits vor 2008 50 Prozent der Briten ein Leben in Altersarmut vorhergesagt, weil die Leistung der privaten Pensionen so miserabel ist. In Österreich müssen die Menschen jetzt die Umwelt verschmutzen und weit fahren, um ihre Post zu holen, weil nach der Privatisierung der Post ein Drittel der Postämter geschlossen wurde. Umgekehrt bekomme ich jetzt womöglich vier Pakete am Tag von vier verschiedenen Paketzustellern, die vor meinem Haus vorfahren.
Ja, aber das Telefonieren ist billiger geworden.
Wenn man genauer hinschaut, gibt es auch hier differenzierte Ergebnisse. Die Innovation im Telekommunikationssektor – die Erfindung des Handys – ist zufällig mit der Liberalisierung des Sektors zusammengefallen. Aber gerade bei der Telekommunikation wäre es einfacher, kostengünstiger und zeitsparender, wenn es ein einziges Netz geben würde, zu dem alle Zugang haben, mit einer Einwahl – und man nicht die ganze Zeit Anbieter wechseln und Vergleiche anstellen muss, damit man gut wegkommt. PensionistInnen, die wenig und nur am Festnetz telefonieren, zahlen heute mehr als vor der Liberalisierung. Ich finde auch, dass das Internet das allergrößte Liberalisierungsversagen ist – es wäre doch das Einfachste, würde es ein Netz geben, das für alle zugänglich ist, das Internet müsste ein öffentliches Gut sein, ein Monopol, über Steuern finanziert. Dass der Markt immer besser ist, hat sich in der Mehrzahl der Fälle als falsch herausgestellt.
Wer profitiert vom Glauben an die Kraft der Märkte?
Die Verbraucher verlieren, weil sie höhere Tarife zahlen und die Qualität der Dienstleistung sinkt, der Staat verliert, weil er weniger Steuern einnimmt, die Aktionäre der privaten Unternehmen, die diese Dienstleistung erbringen, profitieren. So hat es etwa eine Studie zur Liberalisierung der Trinkwasserversorgung in Großbritannien eindeutig festgestellt. Bei den Banken ist es noch deutlicher.
Liberalisierung, sagen die Befürworter, fördert Wachstum und schafft Arbeitsplätze?
Die Liberalisierung von Energie, Telekommunikation und Bahn hat EU-weit 500.000 Arbeitsplätze zerstört. Wie kann da die Wirtschaft wachsen, frage ich mich, wie kann man da behaupten, dass zusätzliche Arbeitsplätze entstehen? Selbst wenn die Prognosen stimmen würden, dürften wir nicht für die Möglichkeit, dass das Bruttoinlandsprodukt wächst, in Kauf nehmen, dass Hunderttausende von Arbeitsplätzen vernichtet werden, die Versorgungsqualität schlechter und die Verteilung ungerechter wird. Die Liberalisierung ändert die Machtverhältnisse in der Regel zugunsten der großen Wirtschaftsunternehmen, deren Macht steigt so sehr, dass sie die Demokratie in Bedrängung bringt.
In Italien sagt man, es geht nicht anders als so. Geht es anders?
Ich sage nicht, dass man die öffentlichen Monopole beibehalten soll. Aber mein Vorschlag ist: Demokratisierung statt Liberalisierung und Privatisierung. Öffentlich oder privat ist nicht das entscheidende Kriterium, beides ist per se noch keine Garantie, dass ein Unternehmen gut geführt wird. Die entscheidenden Kriterien sind, ob ein Unternehmen auf den maximalen Profit ausgerichtet ist oder ob es gemeinwohl-orientiert arbeitet; und ob es demokratisch organisiert ist, wenn es öffentlich ist.
Ein Beispiel bitte!
Der Energieversorger der kalifornischen Hauptstadt Sacramento versorgt anderthalb Millionen Menschen mit Strom. Dort werden Vorstand und Aufsichtsrat seit 1946 direkt gewählt – das Unternehmen ist eines der beliebtesten und umweltfreundlichsten in den USA, weil die Unternehmenspolitik auf Energiesparen ausgerichtet ist. Demokratisierung der Unternehmen ist für mich die Lösung, oder gemeinwohlorientierte Genossenschaften, die keinen Gewinn ausschütten.
Interview: Georg Mair