Spielsucht: „Das Hauptproblem sind Spielautomaten in Bars und Gaststätten“

CACTUS, Meran – http://www.cactus.bz.it/2012/02/das-hauptproblem-sind-spielautomaten-in-bars-und-gaststatten/

Interview mit Markus R. Frank, Sozialassistent im Dienst für Abhängigkeitserkrankungen in Meran zum Thema Spielsucht

Neue Spielhallen schießen wie Pilze aus dem Boden und zunehmend wird Spielsucht als Problem wahrgenommen. Gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Anzahl der Spielhallen und der Häufigkeit auftretender Spielsucht?

Ja, diesen Zusammenhang gibt es eindeutig. Anhand der Anfragen an unseren Dienst können wir feststellen, dass das Phänomen der Spielsucht seit 2004/2005 auch bei uns extrem zugenommen hat. Im Jahre 2006 ist von der Regierung mit dem sog. „Basani-Dekret“ eine verstärkte Liberalisierung auf dem nationalen Spielsektor eingetreten, und dem eigentlichen „Boom“ der Glücksspielautomaten wurde damit Tür und Tor geöffnet. War es im Jahre 2006 noch ein Klient, den ich wegen Spielsucht betreute, so ist diese Zahl 2010 auf 19 angestiegen; insgesamt haben wir hier in Meran in diesem Jahr 41 Personen wegen Spielsucht betreut. In ganz Südtirol waren es im selben Zeitraum immerhin 140 Personen, die von den Diensten für Abhängigkeitserkrankungen betreut worden sind. Wie bei allen Suchtmitteln, steigt der Konsum mit der vermehrten Verfügbarkeit der Substanz.
Das Hauptproblem sind in meinen Augen aber weder die Casinos, von denen es italienweit sechs, in Südtirol keines gibt, noch die Spielhallen. Das Hauptproblem sind die Spielautomaten, die mittlerweile in fast jeder Bar anzutreffen sind. Dort gibt es praktisch keine Zugangskontrollen, jeder und jede kann dort spielen. Insbesondere für Menschen mit einer Spielsucht ist das sehr problematisch, denn bei jedem Barbesuch wird er mit dem Phänomen Glücksspiel konfrontiert. Unsere Klienten sagen, dass es kaum noch Bars gibt, in denen keine Spielautomaten stehen. Die Versuchung ist somit allgegenwärtig. Dennoch: die Anzahl der Spielhallen muss auf jeden Fall begrenzt bleiben, wobei wünschenswert wäre, dass das Landesgesetz auch entsprechende Kontrollen zwingend vorsehen würde, was bisher ja nicht der Fall ist.

Warum spielen Menschen um Geld?

Zum einen hängt das mit der Vorstellung jedes Spielers zusammen, mit geringem Einsatz einen hohen Gewinn erzielen zu können. Es gibt aber auch Menschen, die den Kick erleben wollen, die z. B. auch in ihrer Freizeit extremen Sportarten nachgehen, die nicht einschätzbare Situationen beherrschen wollen und sich selbst als risikofreudig bezeichnen. Diese Personen sind eindeutig gefährdeter als andere.
Zum anderen kann aber auch eine schwierige finanzielle Situation zum Spielen verleiten. Durch den potentiellen Gewinn soll die eigene finanzielle Lage verbessert werden. Studien belegen auch, dass in wohlhabenden Staaten die Spielsucht weniger verbreitet ist als in ökonomisch weniger gut dastehenden Ländern.

Und wo verläuft die Trennlinie zwischen Freizeitspiel und Sucht?

Es gelten im Prinzip für die Spielsucht jene Kriterien, die auch bei der Alkoholabhängigkeit Anwendung finden. Daher spricht man von Spielsucht, wenn z. B. die folgenden drei Verhaltensweisen festgestellt werden können: Toleranzentwicklung (d. h. die Person hat den Drang, immer öfter zu spielen), Entzugssymptome, anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Substanzgebrauch (das Spielverhalten) zu verringern oder zu kontrollieren. Bezogen auf die Spielsucht könnte man noch anführen: wenn ich den Großteil meiner Zeit für das Spiel nutze und andere Dinge dadurch vernachlässige, wenn ich meinen Spieleinsatz nicht mehr kontrollieren kann, wenn ich mich verschulde, um spielen zu können, wenn ich nicht mehr für den potentiellen Gewinn spiele, sondern nur noch um des Spielens willen – dann spricht man von einem Suchtverhalten. Es ist jedoch auch hervorzuheben, dass der Großteil der Bevölkerung mit dem Glücksspiel zurechtkommt. Laut Studien sind europaweit 1,0 bis 1,5% der Bevölkerung spielsüchtig.

Es gibt also auch Freizeitspieler, die monatelang regelmäßig am Automaten spielen und dennoch nicht abhängig sind?

Bei Automatenspielern scheint mir das nur sehr schwer möglich zu sein. Freizeitspieler sind meines Erachtens eher Casinobesucher, die vielleicht auch wöchentlich spielen aber nie größere Summen einsetzen. Sie haben ihr Spielverhalten und ihren Spieleinsatz unter Kontrolle; man spricht hier von einem „kontrollierten Spielverhalten“. Gelegenheitsspieler bilden im Grunde die größte Gruppe unter den Glücksspielern. Bei den Automaten ist es, wie gesagt, sehr schwierig, kein Suchtverhalten zu entwickeln. Auch das ist ein Grund, weshalb ich die Spielautomaten und den unkontrolierten Zugang in öffentlichen Lokalen als Hauptproblem sehe.

Wie sieht das Angebot des Dienstes für Abhängigkeitserkrankungen aus?

Wir beraten Betroffene und Angehörige, bieten ambulante Therapien an und arbeiten im Bereich Prävention (auch in Zusammenarbeit mit dem Forum Sucht). Es steigt sowohl die Anzahl der Betroffen, wie auch jene der Angehörigen, die sich hilfesuchend an uns wenden. Wir können allerdings nur mit motivierten Personen arbeiten, die ihr Problem erkannt haben und professionelle Hilfe in Anspruch nehmen möchten. Niemand kann zu einer Therapie gezwungen werden. Vor ein paar Tagen hat uns z. B. eine Frau aufgesucht, deren Bruder sein gesamtes Vermögen verspielte. Er selbst ist sich aber nicht bewusst, dass sein Spielverhalten pathologisch ist. In solchen Fällen können wir wenig unternehmen, selbst wenn Haus und Hof auf dem Spiel stehen sollten. Hier ist den Angehörigen dringend zu empfehlen, den Antrag um eine Sachwalterschaft einzureichen, um das Schlimmste zu verhindern. Dieser Antrag wird an das zuständige Vormundschaftsgericht oder an die Staatsanwaltschaft gestellt.
Volljährige Personen können sich auch anonym an uns wenden und eine ambulante Therapie oder Beratung in Anspruch nehmen. Ist allerdings ein stationärer Therapieaufenthalt in Bad Bachgart notwendig, muss die Person namentlich erfasst und registriert werden.

Und wie wird Spielsucht behandelt?

In einem Erstgespräch wird abgeklärt, ob ein Spielsuchtverhalten vorliegt oder nicht. Zu uns kommen ja auch Menschen die regelmäßig spielen und für sich abklären wollen, ob sie spielsüchtig sind oder nicht.
Wenn es sich um eine Spielsucht handelt, bieten wir regelmäßige Gespräche und eine Rundumberatung an. Bei uns arbeiten verschiede Berufsgruppen, wie Sozialassistenten, Psychologen und Ärzte eng zusammen; die Problematik wird somit von mehreren Seiten beleuchtet: es geht nicht nur um die Spielsucht, sondern auch um die Folgeerscheinungen. Häufig führt die Spielsucht in eine Abwärtsspirale, die Folgen können sein: vermehrter Alkoholkonsum, Beziehungsprobleme und Trennung, Arbeitsverlust, Verschuldung – manchmal bis in die Obdachlosigkeit.
Wir sehen uns also die familiäre Situation und die finanzielle Lage der Person an, arbeiten mit der Schuldnerberatung zusammen, erarbeiten eine Haushaltsplanung oder einen Tilgungsplan für die Klienten mit Schulden. Unser Arzt prüft die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung, die, falls erforderlich, begleitend angeboten werden kann.

Wie groß sind die Erfolgsaussichten der Therapie?

Die Erfolgsaussichten sind vergleichbar mit anderen Abhängigkeitserkrankungen, vorausgesetzt, die Therapie wird langfristig eingesetzt. Wir stellen fest, dass es eine sehr lange Therapiedauer braucht, auch vier und fünf Jahre. Die Betroffenen werden immer wieder rückfällig. Wir sprechen dann darüber, welches die Ursachen für den Rückfall waren und wie diese Situationen in Zukunft vermieden werden können. Oft ist auch die Einweisung in eine Einrichtung notwendig, die eine stationäre Behandlung anbietet (bei uns ist das Bad Bachgart). Zentral dabei ist aber, dass anschließend an die stationäre Therapie die ambulante Nachsorge in Anspruch genommen wird, die unser Dienst anbietet.

Was sind Ihre Erfahrungen: Ist Spielsucht heilbar?

Meine Erfahrung ist, dass es für pathologische Spieler unmöglich ist, kontrolliert zu spielen. Auch nach Jahren der Therapie bezeichnen sich unsere Klienten als gefährdet, das Spiel ist für sie immer wieder eine Verlockung. Keiner meiner Klienten ist bisher völlig geheilt, alle haben während der Therapie Rückfälle erlebt, jedoch ist es ihnen gelungen, sowohl die Spielhäufigkeit als auch die Einsätze für das Spiel stark zu reduzieren.

Ist der Dienst für Abhängigkeitserkrankungen auch im Bereich Prävention aktiv?

Ja, hier in Meran in Zusammenarbeit mit der Gemeinde. So bieten wir z.B. gemeinsam mit unseren Kollegen von Bad Bachgart und dem Forum Prävention Schulungen für die Mitarbeiter der Spielhallen in Meran an. Kolleginnen und Kollegen gehen in die Schulen und halten Vorträge über das Thema Sucht. Auch die Gemeinde Lana ist an uns herangetreten. In Lana haben wir an einer öffentlichen Diskussion zum Thema Spielsucht teilgenommen.

Was müsste in Italien an den gesetzlichen Rahmenbedingen geändert werden? Gibt es gute Erfahrungen in anderen Ländern?

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind in Italien in diesem Bereich denkbar schlecht, ich erwähnte es bereits. In keinem anderen europäischen Land gibt es eine so liberale Gesetzgebung zum Glücksspiel. Nur in Slowenien ist die Situation noch schlimmer, dort spielen 2 bis 3% der Bevölkerung. Dass die Spielleidenschaft in Italien so groß ist, kommt also nicht von ungefähr.
Ich nenne als Gegenbeispiel gerne die Schweiz. Die Schweiz hat in diesem Bereich eine sehr rigide Gesetzgebung. Es gibt dort 19 Spielcasinos, jedoch keine Spielautomaten in Bars und Restaurants. Da die gesetzlichen Bestimmungen sehr streng sind, ist die Zahl der Spielsüchtigen in den letzten Jahren kaum angestiegen. In der Schweiz wird genau erfasst, wer in einem Casino auffällig wird, und für deren Erfassung sind die Betreiber per Gesetz selbst zuständig, und der Bund führt entsprechende Kontrollen durch. Auffälligen Spielern wird vom Casino ein Psychologe bzw. ein psychologisch geschulter Mitarbeiter zur Seite gestellt; bei einem problematischen Spielverhalten wird der Betroffene aufgefordert, sich in externe Beratung zu begeben. Unter Umständen darf die Person in keinem Casino mehr spielen. Hält sich das Casino nicht an die strengen Auflagen, kann es die Lizenz verlieren.
Der Zugang zum Glücksspiel muss kontrolliert erfolgen. In Italien kann jede Person an den Spielautomaten spielen; selbst Minderjährige haben laut Umfragen erklärt, bereits Erfahrungen mit Spielautomaten gemacht zu haben. Die Betreiber müssten eigentlich, ähnlich wie beim Alkohol, überprüfen, ob die betreffende Person bereits volljährig ist. Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob dies in der Praxis auch geschieht und ob dies jemand kontrolliert.
Eine sehr interessante Erfahrung mit Spielautomaten in Bars hat die Schweiz gemacht. Dort wurden 2006 die klassischen Spielautomaten in den öffentlichen Lokalen verboten. Stattdessen wurden in der Folge Geschicklichkeitsautomaten zugelassen, bei denen die Spieler ihr Ergebnis aufgrund ihrer eigenen Fähigkeiten und Geschicklichkeit beeinflussen können. Was ist passiert: die „Fähigen“ haben ständig gegen den Automaten gewonnen, die weniger geschickten haben immer mehr verloren und schließlich nicht mehr gespielt. Dadurch wurden die Automaten nicht zur Einnahmequelle, sondern zum Kostenfaktor für die Betreiber und sind schließlich ganz aus den Bars verschwunden. Bei uns hingegen sind die Spielautomaten eine wichtige Einnahmequelle für die Barbetreiber. Und das Spiel wird völlig ohne Kontrolle konsumiert.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind also zu ändern. Haben Sie auch Verbesserungsvorschläge für die Gemeindeverwaltung von Meran?

Die Gemeinde Meran ist an unseren Dienst herangetreten und hat uns ersucht, gemeinsam Möglichkeiten zu erarbeiten, die dazu dienen, dem Phänomen Spielsucht entgegen zu wirken. Diesbezüglich sind erste Schritte bereits umgesetzt worden (Informationskampagne über das Gemeindeblatt), andere Maßnahmen sind geplant, z. B. die Schulung der Mitarbeiter in den Spielhallen durch Kolleginnen der landesweiten Arbeitsgruppe Spielsucht. Mein Vorschlag wäre: Die Gemeinde könnte z.B. jenen Barbetreibern eine Prämie geben, die auf Spielautomaten in ihren Lokalen bewusst verzichten. Zudem ist es in meinen Augen auch eine ethische Entscheidung, ob ich als Barbesitzer Spielautomaten aufstelle oder nicht.
Wenn das einschlägige Landesgesetzt richtig interpretiere, dann ist zudem jegliche öffentliche Werbetätigkeit „für die Eröffnung oder den Betrieb von Spielhallen und ähnlichen Vergnügungsstätten“ verboten. Mir ist aber aufgefallen, dass überall große Werbeplakate das Glücksspiel anpreisen, auch hier in Meran. Hier ist zu prüfen, ob diese Art der Werbung wirklich zulässig ist. Auch hier könnte man eingreifen. Man spricht in diesem Fall von einer „Verhältnisprävention“, die der Gesetzgeber verstärkt in Anspruch nehmen könnte, um dadurch die „Verhaltensprävention“ zu erleichtern.

Danke für das Gespräch.

Markus R. Frank arbeitet seit 2006 als Sozialassistent im Dienst für Abhängigkeitserkrankungen in Meran. Einer der Schwerpunkte seiner Arbeit ist der Bereich Spielsucht.

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2 Antworten auf Spielsucht: „Das Hauptproblem sind Spielautomaten in Bars und Gaststätten“

  1. Ob die Automaten in Bars und Gaststätten wirklich das HAUPTproblem sind, wie in der Überschrift suggeriert wird, sei einmal dahingestellt. Hinter Spielsucht stehen viele ungelöste Konflikte bei einem Menschen und diese Probleme werden nicht dadurch gelöst, dass es keine Automaten mehr gibt. Wer keine Automaten findet, spielt möglicherweise in Pokerrunden, Lotterien, Sportwetten oder im Internet.

    • forum sagt:

      Stimmt, die Automaten entfernen ist nicht „die“ Lösung für das Problem – wer spielsüchtig ist, findet genug andere Möglichkeiten. Aber man muss nicht auch noch einladen zum Spielen, indem man die Maschinen an öffentliche Orte wie Gaststätten hinstellt. Außerdem stören sie ganz einfach.
      HP Niederkofler