Niko Paech: Befreiung vom Überfluss

Grüne Bayern, 02.05.2012

Im Vorfeld des Zukunftskongresses “Was unsere Gesellschaft zusammenhält” führte unsere Online-Redaktion ein kurzes Interview mit Prof. Dr. Niko Paech vom Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an der Universität Oldenburg. Im April erschien sein aktuelles Buch “Befreiung vom Überfluss – Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie”.

So waren auch für das Interview die Themen schnell gesetzt: Nachhaltiges Wachstum, die Postwachstumsökonomie und politische Maßnahmen auf dem Weg zur Postwachstumsökonomie.

Redaktion: Warum kann es kein nachhaltiges Wachstum geben?

Niko Paech: Ein dauerhaft stabilisierbares Niveau an ökologischer Belastung ist längst überschritten. Folglich ist jede zusätzliche Belastung der Umwelt indiskutabel. Eine Erhöhung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) kann unter anderem aus zwei Gründen nicht ohne ökologischen Schaden möglich sein. (a) Herkunftsseite des Zuwachses an Wertschöpfung: Ohne zusätzliche Produktion, zusätzlichen Konsum und zusätzliche Mobilität lassen sich systematisch und langfristig keine Güter generieren, die das BIP erhöhen. Das gilt auch für Carsharing und PV-Anlagen. Wenn andere, schädlichere Güter den neuen Objekten Platz machen, gibt’s zwei Probleme, nämlich erstens, dass man Materie nicht zum ökologischen Nulltarif verschwinden lassen kann, und zweitens, dass das BIP – abgesehen von einem Strohfeuereffekt – nicht wachsen kann, wenn Dinge nur ausgetauscht, statt vermehrt werden. (b) Verwendungsseite des BIP: Wenn das BIP wächst, muss irgendwer mehr Geld haben. Es ist in einer globalen Ökonomie undenkbar, die Kaufkraft dieses Geldes ökologisch zu neutralisieren. Jeder zusätzliche durch BIP-Wachstum in die Welt gelangende Euro, Yen oder Dollar hinterlässt eine ökologische Schleifspur. Wer etwa in der Windkraftbranche Geld verdient, kann nicht verhindern, dass in die Produktion eines Teils der Dinge, der er/sie dafür kauft, sogar Atom- und Kohlestrom einfließt. Wenn also der Ausbau der Windkraft das BIP steigert, erhöht dies die Nachfrage nach Atom- und Kohlestrom. Darüber hinaus existieren noch viele andere Fallstricke einer ökologischen Modernisierung, die ein “grünes” Wachstums ad absurdum führen. Deren Darlegung würde den vorliegenden Rahmen sprengen.

Redaktion: Sie skizzieren in Ihrem Buch “Befreiung vom Überfluss” die Theorie der Postwachstumsökonomie. Wie muss man sich diese Alternative zu unserem wachstumsorientierten Wirtschaftssystem vorstellen?

Paech: Grob vereinfacht sind dazu zwei Stoßrichtungen vonnöten, nämlich erstens ein Zeitalter der Entrümpelung (Suffizienz) und zweitens eine neue Balance zwischen Selbst- und Fremdversorgung (Subsistenz). Die Suffizienzstrategie kehrt das moderne Prinzip der Steigerung von Güterwohlstand ins Gegenteil um: Warum lassen wir Reduktionsleistungen nicht zu einer Stärke werden? Wir könnten viele Energiesklaven, Komfortkrücken und Infrastrukturen ausfindig machen, die wir gar nicht nötig haben – ganz gleich ob elektrisches Küchengerät, Wellness-Rezeptur, Flugreise oder Tiefseehafen. Von derartigen Belastungen sollten wir unseren Alltag und die Gesellschaft als Ganzes frei machen. So sparen wir Zeit, Geld, Raum und ökologische Ressourcen. Weg mit dem überbordenden Wohlstandsschrott der nur unser Leben verstopft! Der zweite Ansatzpunkt zielt darauf, die schicksalhafte Abhängigkeit von geldbasierter Fremdversorgung zu überwinden. Wer durch handwerkliche und manuelle Versorgungsleistungen unendgeldlich produktiv ist, und zwar sowohl für sich selbst als auch das nahe soziale Umfeld, schlägt drei Fliegen mit einer Klappe: Erstens ist es der beste Selbstschutz gegenüber zukünftigen Ressourcenknappheiten (Peak Oil, Peak Everything), die das aktuelle Wohlstandsmodell unbezahlbar machen. Zweitens schützen wir direkt die Umwelt. Und drittens mildern wir strukturell Wachstumszwänge, die einem geldbasierten, arbeitsteiligen Industriemodell innewohnen.

Redaktion: Welche Wege müsste die Politik heute gehen, um eine Postwachstumsökonomie zu erreichen?

Paech: Ohne Anspruch auf Vollständigkeit…

Kurzfristig: Bodenversieglungsmoratorium (auch für Wind-, Bioenergie- und PV-Anlagen); drastische Optimierung des CO2-Zertifikatehandels: Einbeziehung des Flugverkehrs (andernfalls entsprechend hohe Kerosinsteuer), Versteigerung eines stetig zu reduzierenden CO2-Kontingentes; Durchforstung aller Subventionshaushalte, Reduktion und Umwidmung für energetische Sanierung von Gebäuden und ökologischen Anbau; Stopp baulicher Großprojekte; Ausstieg aus der Stein- und Braunkohle nebst Kraftwerksmoratorium; Einführung der Tobin-Tax im Sinne der Vorschläge von Attac; Abfederung sozialer Härten mittels eines Ökologischen Grundeinkommens (ÖGE), welches sich aus den Erlösen der CO2-Zertifikate speist…

Mittelfristig: Maßnahmen zur Erleichterung von Arbeitszeitverkürzungen und -umverteilungen, mit dem Ziel, im Durchschnitt eine 20-Stunden-Woche zu etablieren; Stilllegung eines hinreichenden Anteils von Autobahnen, Flughäfen und Tiefseehäfen, Nutzung der Fläche für Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien; Orientierung des Bildungssystems an Subsistenz sowie Befähigung zu handwerklicher Souveränität; Vorschrift für Unternehmen, den CO2-Fußabdruck aller Produkte und Dienstleistungen kenntlich zu machen; Orientierung der Umweltpolitik an individuellen Öko- oder zumindest CO2-Bilanzen (2,7 Tonnen CO2 pro Person und Jahr); Geldreform gemäß Vollgeld bzw. 100%-Money; Akzeptanz von Regionalwährungen als Zahlungsmittel in den jeweiligen Kommunen; Bodenreform; Lohn- und Vermögensobergrenzen; Entschuldung öffentlicher Haushalte durch Lastenausgleich

Langfristig: Entwicklung von Rückbau- und Entsieglungsprogrammen, um Industrieanlagen, Verkehrsflächen und die Bauwerke der verheerenden Intensivlandwirtschaft vorsichtig zu entsorgen; Renaturierungmaßnahmen

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Prof. Dr. Niko Paech ist seit 2008 Professor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an der Universität Oldenburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die Umweltökonomik, die Postwachstumsökonomik und die Nachhaltigkeitsforschung. Im April ist sein aktuelles Buch “Befreiung vom Überfluss – Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie” im oekom Verlag erschienen.

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