ff 13/2012: „Die Leute wollen mitreden“

Die Mehrheit der Südtiroler findet, Südtirol sei erreichbar genug. Meinungsforscher Ulrich Becker hat dazu eine Umfrage gemacht, aus der hervorgeht, dass vor allem der Zugverkehr verbessert werden sollte.

ff: In Südtirol verkehren altertümliche Lokomotiven und Waggons, immer wieder klagen Bahnfahrer über unhaltbare Zustände im Zugverkehr. Hat er trotzdem eine Zukunft?

Ulrich Becker: Absolut. Unsere Umfrage hat ein starkes Votum für den Schienenverkehr ergeben. Damit ist erstens der Ausbau des Nahverkehrs auf der Schiene gemeint: Der Südtirol-Zug im Vinschgau und im Pustertal kommt gut an. Man würde sich wünschen, dass man so etwas im ganzen Land haben kann; eventuell auch die Straßenbahn ins Überetsch. Und zweitens hätte man gerne bessere Verbindungen in große Städte wie etwa München oder Mailand, wo es letzthin immer wieder Probleme gegeben hat.

Sie reden vom Zug. Wollen die Menschen auch den Bus?
Den wollen sie ein bisschen weniger. 81 Prozent wünschen sich den Ausbau des Schienen-Nahverkehrs; einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs auf der Straße befürworten 68 Prozent.

Warum ist der Zug so gefragt?
Da ist zum einen das gute Beispiel von dem, was das Land schon gemacht hat. Und zum anderen genießt der Zug ein gutes Image: Er ist umweltfreundlich, die neuen Zuggarnituren sind geräuscharm, praktisch – das kommt gut an.

Sie haben 500 Personen aus Privathaushalten und 200 Wirtschaftstreibende befragt. Sind „die Normalbürger“ der gleichen Meinung wie „die Wirtschaft“?
„Die Wirtschaft“ gibt es in dieser Form nicht. Jeder Wirtschafts­treibende ist auch eine Privatperson. Daher sind die Ansichten unter Wirtschaftstreibenden ähnlich verschieden wie innerhalb der gesamten Bevölkerung.

Beispiel Unzufriedenheit mit der Mobilität in Südtirol. Was sagen die beiden Gruppen dazu?
35 Prozent der gesamten Bevölkerung sind der Meinung, die Erreichbarkeit Südtirols sei nicht so gut und müsse verbessert werden. Bei den Wirtschaftstreibenden, also bei Inhabern und Geschäftsführern von Betrieben, sind es 42 Prozent. Der Unterschied ist also nicht so groß, wie man vielleicht meinen möchte.

Wenn Handelskammer-Präsident Michl Ebner die fehlende Erreichbarkeit Südtirols anprangert, stimmt das nur bedingt?
Die Mehrheit ist eigentlich ganz zufrieden.

Was sagen die Südtiroler zum Thema Flughafen?
Unter den Wirtschaftstreibenden sind 24 Prozent deutliche Befürworter des Flughafens in Bozen, innerhalb der Gesamtbevölkerung sind es 16 Prozent. Da gibt es schon einen starken Unterschied, aber es ist nicht wie Tag und Nacht.

Laut Apollis-Umfrage kommt der Flughafen Bozen insgesamt nicht so gut an?
Stimmt. Eine klare Mehrheit ist gegen den Ausbau. Die Gruppen, die dafür sind, sind genau umgrenzt: da sind die italienischsprachigen Südtiroler, die etwa zur Hälfte dafür sind; und da sind die Branchenvertreter aus Tourismus und aus global vernetzten Unternehmen. Sie wünschen sich den Flughafen.

Warum die italienischsprachigen Südtiroler?
Das ist nicht klar: Auf der einen Seite hätten sie unter dem Fluglärm am meisten zu leiden, da sie zum Großteil in Bozen leben. Auf der anderen Seite würden sie wegen der kurzen Anfahrtswege am meisten von guten Flugverbindungen profitieren.

Hat die generelle Abneigung gegen den Flughafen auch mit den Ticketpreisen zu tun?
Das Hauptargument gegen den Flughafen besteht aus der Sicht der Befragten darin, dass der Ausbau hohe öffentliche Kosten verursacht, aber nur einzelne Personengruppen davon profitieren – gemeint sind die großen Leute aus Politik und Wirtschaft. Das finden die Normalbürger ungerecht. Für sie kommt ein Flug von Bozen wegen der hohen Ticketpreise meistens sowieso nicht in Frage.

Und die Menschen möchten daher lieber Bahnverbindungen zu anderen Flughäfen?
Zunächst einmal Bahnverbindungen mit anderen Städten. 82 Prozent der Befragten wünschen sich bessere Verbindungen beispielsweise nach München oder Mailand. Zwei Drittel der Befragten sagen, dass die Ziele, die vom Flughafen Bozen aus angeflogen würden, mit dem Zug genauso gut zu erreichen wären.

Also Rom, Mailand, Frankfurt und Wien?
Genau. Das sind alles Ziele, die mit dem Zug bequem und nachhaltig erreicht werden können; wenn man die Zeiten zusammenrechnet, meistens sogar schneller. Das Ergebnis unserer Umfrage würde vielleicht etwas anders aussehen, wenn der Bozner Flughafen schon ausgebaut wäre – und viele Ziele zum Beispiel mit einem Billigflieger wie Ryanair angeflogen würden. Dann hätten viele Bürger einen effektiven Vorteil und könnten billig in den Urlaub fliegen.

Was muss besser werden?
Die Leute wollen mitreden – gerade was die Verkehrsinfrastrukturen betrifft. Das ist ein wichtiges Ergebnis unserer Umfrage. Interessant ist das auch deswegen, weil die Menschen mit der Landesregierung eigentlich zufrieden sind.

Warum gerade Verkehrsinfrastrukturen?
Weil die jeden Menschen unmittelbar betreffen. Bei großen Verkehrsinfrastrukturen soll angesichts der Finanzkrise eher gespart werden, sagt eine Mehrheit der Befragten. Allerdings sind zugleich 61 Prozent für den Bau des Brennerbasistunnels.

Das heißt, man möchte zwar den Brennerbasistunnel, nur kosten solle er nichts?
Genau. Daraus kann man ableiten, dass viele Bürger zu wenige Informationen haben. Hier wäre mehr Transparenz gefragt, Kosten und Nutzen müssten besser aufgezeigt werden.

Interview: Karl Hinterwaldn

Ulrich Becker, 39, ist wissenschaftlicher Projektleiter für Medien und Marktforschung beim Bozner Meinungsforschungsinstitut Apollis. Becker hat eine repräsentative Umfrage zur Mobilität in Südtirol betreut, die vom Dachverband für Natur- und Umweltschutz in Auftrag gegeben wurde. Apollis hat dazu 702 Südtiroler befragt, die Ergebnisse findet man auf apollis.it und umwelt.bz.it.

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